Außer Atem: Das Berlinale Blog

Leiden im Kino: mit Dietrich Brüggemanns 'Kreuzweg' (Wettbewerb)

Von Friederike Horstmann
10.02.2014. Dietrich Brüggemann erlaubt seiner jungen Heldin nicht, von ihrem vorgezeichneten Kreuzweg auch nur einen Millimeter abzuweichen. Dafür gibt's am Ende ein Wunder.


Schon das Kinoplakat menetekelt: Leiden im Kino! Ein junges Mädchen bekränzt mit einer Dornenkrone. Weiß wächsern ihre Haut, von fast marmorhafter Transluzenz. Ihre Rehaugen blicken nach oben. Über Schlüsselbein und Halsgrube legt sich der Filmtitel: Kreuzweg.

In 14 Plansequenzen erzählt der dritte deutsche Wettbewerbsbeitrag von der 14-jährigen Maria, deren Familie der streng gläubigen, katholischen Lehre einer Priesterbruderschaft folgt. Strukturiert wird der Film von Dietrich Brüggemann von den 14 Kreuzwegstationen Jesu Christi, die als Bildwerke in katholischen Kirchen den Golgathaweg visualisieren. Damit die Analogien zwischen dem Leidensweg Jesu Christi und dem der Maria Göttler – auch ihr bedeutungsschwerer Nachname ist hermeneutisch herausfordernd – nicht missverstanden werden, wird der Erzähllauf nummeriert und von Zwischentiteln durchbrochen, jede der 14 Kreuzwegstationen von der Todesverurteilung bis hin zur Grablegung weiß auf schwarzem Grund benannt.

In der ersten Filmstation "Jesus wird zum Tode verurteilt" fällt spärliches Licht durch Glasbausteine, die statische Kamera erfasst einen symmetrischen Bildaufbau, zeigt in der Bildmitte einen Pastor. Um ihn und einen hölzernen Tisch, sitzen jeweils zu beiden Seiten drei Firmlinge. Firmunterricht auch für den Zuschauer. Die sieben Sakramente werden abgefragt, Maria weiß fast alle Antworten. Dann wird der Inhalt martialischer, die Haltung reaktionärer: Von den Soldaten Christi müssen Schlachten gekämpft werden, in der Schule, im Alltag, gegen die aufreizenden Rhythmen, die obszönen Bilder, gegen teuflische Teenagermagazine. Denn der Satan kämpft unter vielen Flaggen. Wie Maria weiß, wird die größte aller Schlachten im eigenen Herzen ausgefochten wird. Mit jovial veronkelter Stimme predigt der Pfarrer von Verzicht, Keuschheit und Opferung, spricht über gottgewollte Krankheiten, die eine Prüfung darstellen und Zwiegespräche mit Gott ermöglichen. Auch die blassgesichte Maria (eindrücklich von Lea van Acken verkörpert) hat einen kleinen 4-jährigen Bruder Johannes, der krank ist und noch nicht spricht – ihm und Jesus kann das eigene Leben geopfert werden.

Schon nach der allerersten der 14 Stationen sind alle weiteren Konfliktlinien des rigiden Regimes vorhersehbar. Dabei wirken die visuellen Verschränkungen von Jesu Christis Golgathapfad und Maria Göttlers Kreuzweg einfach nur schrecklich bemüht. Wie auch die bedeutungsvollen Namen aller Figuren, die übereindeutig etabliert werden. Vor allem ist es jedoch die strenge Strukturierung in 14 Plansequenzen, die wohl hermetische Abgeschlossenheit und Unausweichlichkeit evozieren sollten, und die fixierten Kamerapositionen, die im Ganzen nicht funktionieren. Denn durch die starren, stark komponierten, oftmals symmetrischen Einstellungen werden die Figuren derart umkastelt, das es einer weniger hinkebeinartigen Handlung und weniger schultheaterhafter Dialoge bedurft hätte. So wird "Kreuzweg" zu einem Stationendrama mit überambitionierter Form- und Gestaltungswillen. Retrospektiv wird die verquere Bigotterie, Schwesterchens Selbstopferung auch noch dadurch legitimiert, dass Brüggemann sie als Wunder inszeniert und der bislang an Mutismus erkrankte Bruder nun doch noch endlich spricht.

In der letzten Einstellung erlaubt sich die Kamera durch einen vertikalen Schwenk vom offenen Grab zum verwolkten Himmel auch noch eine quasi Apotheose, eine Mariä Himmelfahrt. Auch hier bleibt nicht nichts im Vagen oder Ambivalenten. So geht es in "Kreuzweg" nicht nur um indoktrinierten Fanatismus, sondern auch um den "Pfad der Heiligkeit" der beschritten wird, wie Dietrich Brüggemann selbst resümierte. Der nach all den starren Bildern nur als exzessiv zu umschreibende Schwenk kann als Empathie gegenüber der Protagonistin gelesen oder von evangelikal Indoktrinierten gemocht werden – ich fand diesen Kameraeinfall auf jeden Fall unangenehm. Schon das Kinoplakat menetekelte: Leiden im Kino – es waren auch die meinigen an einem Sonntagvormittag.

Friederike Horstmann

Kreuzweg. Regie: Dietrich Brüggemann. Darsteller: Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter. Deutschland / Frankreich 2014, 107 Minuten (Wettbewerb, alle Vorführtermine)