Außer Atem: Das Berlinale Blog

Laura Bispuris 'Vergine Giurata' (Wettbewerb) und die Abenteurerinnen vor und hinter der Kamera

Von Thekla Dannenberg
13.02.2015. In Laura Bispuris Film "Vergine Giurata" versucht eine junge Albanerin sich als Mann den traditionellen Gesetzen zu entziehen. Sie ist eine von vielen Abenteurerinnen auf dieser Berlinale - vor der Kamera. Dahinter ist es eine andere Sache.


Laura Bispuris Film "Vergine Giurata" muss man sich als Krönung für einen Wettbewerb vorstellen, der wie kaum einer zuvor von Fragen nach dem Bild und der Rolle der Frau bestimmt wurde, in dem dann aber doch wieder die alten Männer das Geschehen beherrschten und jüngere Männer sich vor allem auf der Suche nach Sinn verloren.

Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das nach dem Tod seiner Eltern bei einer eigentlich recht freundlichen Pflegefamilie aufwächst. Doch in der nördlichen Bergwelt Albaniens schreibt der Kanun noch genau vor, was eine Frau vom Leben zu erwarten hat: Eine Braut wird mit verhüllten Gesicht in das Dorf ihres Ehemanns gebracht, damit sie keinesfalls den Weg zurück kennt. Keine Frau darf ihren Mann ansehen und denken, dass er im Unrecht sei. Bei einer Hochzeit übergibt der Vater seiner Tochter eine Gewehrkugel, mit der ihr Ehemann sie erschießen kann, wenn sie nicht gehorcht.

Die ältere Schwester Lila entflieht dieser eisigen Welt nach Italien, doch Hana wählt einen anderen Weg: Sie schwört ewige Jungfräulichkeit und darf daher das Leben eines Mannes leben. Aber auch ihr Leben als Mark ist kein selbstbestimmtes, und so macht sie sich nach zehn Jahren auf den Weg zu ihrer Schwester nach Bozen.

Alba Rohrwacher, eigentlich eine Elfe, spielt diese androgyne Rolle grandios. Mit abgeschnürten Brüsten, in einem eingefrorenen Körper so gefangen wie in den Rollenbildern, ist sie nicht Mann und nicht Frau und doch beides zugleich. Sie war Schwester, jetzt ist sie Cousin, sie hat geschworen, nicht zu lieben und will doch wissen, was Sex ist. Sie ist eine Albanerin in Italien, die nicht einmal versteht, wie ein Supermarkt funktioniert. Vor allem aber ist sie so unfrei, dass jede ihrer Sehnen zum Zerreißen gespannt wird.

Laura Bisputi, die dritte Regisseurin im Wettbewerb, erzählt die bewegende Geschichte einer Emanzipation mit vielen Rückblenden, die immer wieder die archaische Bergwelt in ihrer grausamen Schönheit vor Augen führen, aber auch mit viel Symbolik. In Albanien die schneebedeckten Berge, in Italien das warme Wasser des Schwimmbads, in dem Mark beziehungsweise Hana langsam auftaut, während ihre Nichte als Synchronschwimmerin trainiert: Was schon über Wasser in seiner Künstlichkeit unerträglich erscheint, erweist sich unter Wasser als heilloses Gestrampel.

Lars Eidingers Auftritt als Bademeister ist in diesem Film in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Ihm ist die wahrscheinlich kälteste und leidenschaftsloseste Sexszene des Festivals zu verdanken, und auf der anschließenden Presskonferenz trug er eine mädchenhafte Haarspange, die viel über das verunsicherte Männerbild sagte, das auf diesem Festival ebenfalls zum Ausdruck kam.

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Die Italienierin Laura Bisputi ist eine von drei Regisseurinnen im Wettbewerb und sie hat mit der Schwurjungfrau Hana eine beeindruckende Figur in einem schönen, aber auch etwas braven Film geschaffen. Doch wenn man ihren Film und die ihrer Kolleginnen ansieht, denkt man sich, das kann doch noch nicht alles gewesen sein? Isabel Coixet durfte mit ihrem Drama "Nobody Wants the Night" über die Polarreisende Josephine Peary die Berlinale eröffnen, zeigte dann aber eher unfreiwillig, dass es für eine Frau wenig zu gewinnen gibt, wenn sie nur dahin will, wo der Mann schon ist. Malgorzata Szumowska bewies in ihrem Film "Body" am Ende ein bisschen Angst vor der eigenen Courage und ließ ihren Film über zugerichtete Körper, der als feministischer Tiger springt, als tragikomischen Bettvorleger landen.

Am Ende werden andere Filme im Gedächtnis bleiben, Filme von meist älteren Männern, die nicht dahin wollen, wo andere sind, sondern dahin, wo niemand zuvor gewesen ist: Jafar Panahis kluge und komische Teheran-Komödie "Taxi", Andrew Haighs Ehedrama "45 Years", Jayro Bustamantes Maya-Film "Ixcanul", Werner Herzogs bombastische Wüstenschnulze "Queen of the Desert", Terrence Malicks Bilderrausch "Knight of Cups" oder auch Wim Wenders Gefühlsdrama in 3D "Everything will be fine".

Juliette Binoche, Nicole Kidman, Alba Rohrwacher haben grandiose Frauenfiguren verkörpert. Sie haben vor Verzweiflung in den Schnee gebissen, gekochtes Hundefell gegessen, die Wüste durchquert, sich von Schlangen beißen lassen, die Feuer des Vulkans besänftigt, dem Kanun widerstanden und dem Alter getrotzt. Abenteurerinnen vor der Kamera sind eine tolle Sache, aber hinter der Kamera wären sie das auch.

Laura Bispuri: "Vergine giurata - Sworn Virgin". Mit Alba Rohrwacher, Flonja Kodheli, Lars Eidinger, Luan Jaha u.a. Italien / Schweiz / Deutschland / Albanien / Republik Kosovo 2015, 90 Minuten. (Vorführtermine)