Außer Atem: Das Berlinale Blog

Weniger sonderbar als andere Côté-Filme: Denis Côtés 'Boris sans Béatrice' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
13.02.2016. Denis Côté führt seinen eitlen, stinkreichen Helden an der Nase herum, bis dem die Tränen kommen.


Denis Côté ist regulärer Gast auf der Berlinale, inner- und außerhalb des Wettbewerbs. Mit "Boris sans Béatrice" betritt er nicht nur soziologisches Neuland: Die Außenseiter- und Unterschichtsfiguren früherer Filme weichen einem grantigen, arroganten und stinkreichen Kapitalisten - was genau in seiner Fabrik hergestellt wird, interessiert den Film wenig, solange sich die Maschinenhalle für ein schmuckes Travelling gebrauchen lässt. Boris, wie der glatzköpfige, drahtige Mann mit dem akkurat getrimmten Bart heißt (gespielt wird er von James Hyndman) ist obendrein mit einer kanadischen Ministerin, der Béatrice des Titels, verheiratet.

Neben Luxusproblemen (nerviges Personal in der Chemiserie; ein linkspopulistischer Bürgermeister, der den Bau einer Zufahrt zu Boris' Anwesen verschleppt, womöglich aus politischer Ranküne) steckt Boris in echten Schwierigkeiten, auch wenn sie ihn zunächst wenig anzugehen scheinen: Béatrice liegt seit Wochen unansprechbar im Bett, die vom Premierminister angeheuerte Psychiaterin diagnostiziert irgendetwas zwischen Melancholie und Katatonie - nichts, was sich nicht medikamentös einstellen ließe, sagt die, wenn man sie nur in Ruhe arbeiten lässt.

Während Boris sich mit einer Angestellten seines Betriebs im Hotelzimmer, auf der Rennstrecke und am Schießplatz vergnügt, und später ein Techtelmechtel mit der russischen Haushaltshilfe beginnt, die eigentlich Béatrice auf dem Landgut der beiden Gesellschaft leisten soll, leiden seine Nächsten: nicht nur die ausgeklinkte Gattin vernachlässigt er, auch seine aufmüpfige Tochter und die ins Altenheim abgeschobene Mutter (also Frauen aus gleich drei Generationen) bedürften eigentlich der sorgenden Anteilnahme oder Pflege. Allein, Boris ist ein narzisstisches Arschloch. Ideale Ausgangsbedingungen für eine wenn auch verspätete education sentimentale, eingeleitet durch einen aus dem Nichts in die Diegese intervenierenden mystery man aus der David-Lynch-Mottenkiste, dem auch ein durchaus motivierter Denis Lavant, theatral überartikuliert in goldbestickter Nehruweste, nicht mehr abgewinnen kann als seine schiere Funktion: den selbstsüchtigen Kapitalisten erst das Fürchten und dann das Lieben zu lehren.



"Boris sans Béatrice" ist weniger sonderbar als andere Côtéfilme, aber vielleicht besteht darin gerade seine Sonderbarkeit. Die Volten und gewaltaffinen Überraschungsangriffe, denen Côte seine Figuren sonst aussetzt, bleiben diesmal aus. Weil wir sie fast schon erwarten, stellt sich das dunkle Gefühl ein, sie würden uns vorenthalten. Fast enttäuschend, wie viel Geduld Côté mit seinem mindestens larmoyanten, oft nachgerade infantilen Protagonisten hat. Statt Gewalt enigmatisches Nasführen des eitlen Narziss, bis ihm die Tränen kommen und mit den Tränen das Glück. Als sonderbar geradlinig erzählt und psychologisch unkomplex entpuppt sich das alles vom Ende her besehen. Im vollen Lauf fühlt sich der Film dennoch offen und unberechenbar an, vielleicht auch, weil er in seine bildgestalterisch effektvoll entleerten Räume ein Surplus von Details investiert, die, anders als die geradlinige Moralerzählung rund um den Antihelden Boris, nirgendwohin führen.

"Boris sans Béatrice" hat mich immer wieder genervt (das will er auch), manchmal gelangweilt (das kann er nicht wollen) und endlich in überraschend heiterer Stimmung zurückgelassen. Die ausgestellte Leichtigkeit, mit der die ganze Konstruktion des Films sich in der letzten Einstellung auflöst und erübrigt, als ob es sich die ganze Zeit über nur darum gehandelt hätte, einen Hebel im Erzählmechanismus von aus auf ein zu schalten: viel Lärm um einen geglückten Augenblick.

Boris sans Béatrice. Regie: Denis Côté. Mit James Hyndman, Simone-Élise Girard, Denis Lavant, Isolda Dychauk, Dounia Sichov. Kanada 2016, 93 Minuten (Vorführtermine)