Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wie filmt man Hässlichkeit? Arabische Filme von Avo Kaprealian und Tamer El Said (Forum)

Von Thekla Dannenberg
13.02.2016. Avo Karealian filmt in "Houses without Doors" den syrischen Bürgerkrieg aus seinem Fenster. In Tamer El Saids Film "In the Last Days of the City" schließt die Trauer über die verlorenen Träume des ägyptischen Frühlings nahtlos an die Trauer über die verlorene Jugend.


Vom syrischen Bürgerkrieg müssen wir uns seit Jahren selbst ein Bild machen: Filmen ist in Damaskus ebenso lebensgefährlich wie in den vom IS kontrollierten Gebieten. Immer wieder werden auf Smartphones die Zerstörungen nach Bombenangriffen auf Aleppo dokumentiert, gelegentlich verstecken Frauen in Rakka unter ihrem Niqab eine Kamera und halten fest, wie sie von IS-Milizen schikaniert werden. Es sind Schnipsel einer Wirklichkeit, dem Krieg und der Macht abgetrotzt und in die Welt geschmuggelt. Doch meist lösen sie sich im großen Datenstrom des Internets so schnell auf wie die automatischen Aufzeichnungen der Drohnen, die über das verwüstete Homs kreisen.

Umso mehr Erwartungen richtet man auf einen Film wie den des Syriers Avo Kaprealian, der vom Balkon seiner Wohnung in Aleppo aus dokumentiert, wie die herannahenden Gefechten das Leben aus der Straße vertreiben. Kaprealian hat in Damaskus Schauspiel studiert. Als 2011 der Krieg ausbrach, kehrte er zu seinen Eltern nach Aleppo zurück, die wie viele Armenier im bürgerlich-wohlhabenden Viertel Midan leben.

Zunächst erschüttern nur vereinzelte Granateneinschläge das ruhige Geschäftsleben, die Rauchsäulen steigen in der Ferne gen Himmel. Noch werden rauschende Hochzeiten gefeiert, die wenigen Begräbnisse sind nahezu genauso prächtig. Kaprealian filmt, wenn sich unten auf der Straße etwas regt, wenn etwas passiert, wenn es knallt. Allmählich rücken die Einschläge näher, Feuer brechen aus, auf den Straßen postieren sich Agenten, Barrikaden werden errichtet. Der Vater mahnt Kaprealian zur Vorsicht, nicht nur wegen der Scharfschützen, sondern auch wegen der Agenten und Spitzel, die nur darauf warten, jemanden mit einer Kamera in der Hand zu denunzieren. Die Familie verhängt die Fenster. Draußen schließen die Geschäfte, irgendwann werden Schutt und Splitter nicht mehr weggeräumt.

Kaprelian vermittelt einem eine gute Vorstellung, wie ein Krieg näherrückt, wie eine Straße zerfällt: nicht mit einem Schlag, sondern langsam, aber unaufhaltsam vorwärtsdrängend. Der Krieg ist hier ein äußeres Ereignis, Häuser zerfallen. Doch den Zusammenbruch eines Staates, die Erschütterungen des Lebens zeigt Kaprelian nicht. Nur sporadisch tritt seine Familie ins Bild, gesprochen wird weder über den Krieg noch über Assads Herrschaft, weder über die Opposition noch über den IS. Niemand versucht zu begreifen oder zu erklären, niemand diskutiert.

Hin und wieder werden die Propagandasendungen des syrischen Fernsehens eingeblendet, und diese mögen für sich sprechen. Dies tun jedoch nicht die eingespielten Bilder und Tondokumente vom armenischen Völkermord, die von düsteren Chorälen unheilvoll untermalt sind. Natürlich müssen bei einer armenischen Familie Erinnerungen an Mord und Vertreibung hochkommen, aber wie das historische Ereignis die Familiengeschichte berührte, erfährt man nicht. Ebenso wenig, was der alte Groll auf die Türkei für die Armenier im heutigen Syrien bedeutet. Kaprealian fängt vielfältige Bilder ein, alltägliche und grauenvolle. Man kann sich nur keinen Reim darauf machen, was sie bedeuten sollen. Am Ende flüchtet sich Kaprelian, der mit seiner Familie inzwischen im Libanon lebt, ins allgemein Humanistische oder mit Ausschnitten aus Alejandro Jodorowskys Westernepos "El Topo" ins Surreale. "Houses without Doors" ist nicht nur das Dokument eines Kriegs, sondern auch das Dokument einer Unfreiheit.

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Der Ägypter Tamer El Said ringt in seinem Film "In the last Days of the City" auf andere Weise um die Position des Filmemachers in Zeiten der Revolution und Gegenrevolution. Wie in einem Tagebuch vergangener Jahre hält Tamer El Said die Monate vor dem Sturz Mubaraks im Januar 2011 fest. Der Smog taucht Kairo in einen roten Glanz, als wäre immer Sonnenuntergang in der Stadt am Nil. Imposant strecken sich die Brücken über den Fluss, auf dem malerische Felucken treiben, die Ufer sind von Palmen gesäumt. Khaled, das Alter ego des Regisseurs, streift durch die Straßen, filmt seine Freunde bei Theaterproben, und immer wieder bleibt die Kamera an den unverhüllten Gesichtern schöner Frauen hängen.

Für ein Festival reisen seine Freunde aus den verschiedensten Länder der krisengeschüttelten Welt an: Aus dem Libanon, dem Irak und Deutschland. Auf einem Podium sprechen sie darüber, was der Krieg für ihr Leben bedeutet. Der Freund aus Bagdad fasst den alltäglichen Horror in einer Szene zusammen: Als seine Schwester ihre vierjährige Tochter rausschickte, um beim Bäcker Brot zu holen, rief sie ihr hinterher: "Aber tritt nicht auf die Leichen." Der Freund aus Beirut meint resigniert, dass Krieg in der Stadt seit 1840 die Normalität sei. Der dritte erklärt seinen geschockten Zuhörern, dass er nicht in den Irak zurückkann, wenn er in Deutschland nicht seinen Status als anerkannter Asylbewerber verlieren will. Anschließend ziehen sie zu viert durch die Nacht, reden über die Hure Beirut, die Poesie Bagdads, das Sterben in Berlin. Und fragen: Wie filmt man Hässlichkeit?

Für Khaled sind es nicht die Monate des Aufbruchs, der Revolte gegen das Alte und Korrupte. Für ihn sind es Monate, in denen sein Leben verloren geht. Er muss seine Wohnung verlassen, seine Freundin trennt sich von ihm, seine alte Mutter liegt im Krankenhaus, an den verschiedenen Straßenkreuzungen demonstrieren Arbeiter, Muslimbrüder, Studenten. Es herrscht reine Melancholie. Alles zerfällt.

Die Arbeiten an dem Film zogen sich über etliche Jahre. In dieser Zeit wurde Mubarak gestürzt und Mursi aus dem Amt geputscht, al-Sisi hat das Land wieder in den eisernen Griff des Militärs genommen. Wir sehen Regisseur und Cutter beim Schneiden zu, wir erleben die Frustrationen des Kameramannes und wir ahnen, welche reelle Macht Bilder entfalten können, wenn Saids zufällige Aufnahmen prügelnder Polizisten im Netz kursieren. Doch nie verändert sich der Grundton des Films. Die Trauer über die verlorenen Träume schließt fünf Jahre später nahtlos an die Trauer über die verlorene Jugend an. Der arabische Frühling mag dem Winter gewichen, aber nur in der Realität. In Tamer El Saids Kairo ist ewiger Herbst.

Manazil bela abwab - Houses without Doors. Regie: Avo Kaprealian. Syrien/Libanon 2016, 90 Minuten. (Vorführtermine)

Akher ayam el madina - In the Last Days of the City. Regie: Tamer El Said. Mit: Khalid Abdalla, Laila Samy, Hanan Youssef, Maryam Saleh und Hayder Helo. Ägypten/Deutschland/Großbritannien/VAE 2016, 118 Minuten. (Vorführtermine)