Außer Atem: Das Berlinale Blog

Über Fußball und Freiheit: Corneliu Porumboius "Fotbal Inifinit" (Forum)

Von Thekla Dannenberg
16.02.2018.


Corneliu Porumboiu ist einer der intelligentesten Filmemacher Rumäniens, er gehört zu jener Nouvelle Vague, die in den Nuller Jahren so viel Lust auf die Entdeckung des bis dahin oft geschmähten Landes machten. Mit seinem Film "12 Uhr 8 östlich von Bukarest" gewann er die Goldene Kamera, den Preis für das beste Debüt: In einer Fernseh-Debatte streiten ein Historiker und ein Weihnachtsmann über die revolutionären Ereignisse in ihrem Dorf. Der Film war eine so kluge wie komische Parabel auf die Wende von 1989, auf das Fernsehen, die Unzuverlässigkeit der Erinnerung und den Opportunismus.

Seitdem erkundet Porumboiu in tiefsinnigen Spiel- und Dokumentarfilmen die Schichten der rumänischen Gesellschaft, mit Hang zur absurden Tragik, mit Intelligenz und makabrem Witz. In seiner vielschichtigen Dokumentation "Fotbal Infinit" porträtiert er den Bezirksbeamten Laurențiu Ginghină aus Vaslui, der sein Leben der Verbesserung des Fußballspiels gewidmet hat. Seit Jahrzehnten versucht der Mann auszutüfteln, wie man die Regeln des Spiels ändern kann, um es schöner zu machen.

Laurențiu Ginghină war schon als Jugendlicher verrückt nach Fußball, er musste 1986 mit dem Sport aufhören, als er sich sehr schlimm das Bein brach und dann allein fünf Kilometer in ein Krankenhaus humpeln musste, wo er mehr schlecht als recht versorgt wurde. Seitdem kann er nur noch zusehen und will mehr davon haben. Zuerst überlegt er, die Ecken des Spielfelds abzuschneiden, um es in ein Oktogon zu verwandeln, das würde mehr Tempo ins Spiel bringen. Dann ersann er eine Regel, nach der einige Spieler die Mittellinie nicht überschreiten dürfen. Das ging nicht mit den Abseitsregeln zusammen. Schließlich zog er noch mehr Linien und unterteilte die Mannschaften in noch mehr Untergruppen. Das war super, meint er, nur leider konnte der Ball nicht mehr bewegt werden.



Einmal spielt eine Mannschaft nach den neuen Regeln, es wird ein gelinge gesagt trauriges Spiel. Den Großteil des Films unterhält sich Porumboiu jedoch einfach mit diesem tragikomischen Visionär, oder hört ihm einfach zu. Auf einem schneebedeckten Fußballplatz, in der Wohnung oder vor einer Magnettafel ordnet Ginghină das Feld und die Figuren immer wieder neu. Er spricht über das Verhältnis von Regeln und Freiheit. Von der Notwendigkeit, neu zu denken, wenn man an Grenzen stößt. Vom europäischen Reglement. Von den Möglichkeiten in den USA, wo er in Florida Orangen pflückte. Und ohne jeden Anflug von Ironie, sondern mit anrührender Offenherzigkeit spricht er von Superhelden, die in den Augen der anderen nur ein gewöhnliches Leben führen: "Ich fühle mich ein bisschen wie sie."

Einmal begleitet Porumboiu ihn in sein Büro in die Bezirksverwaltung von Vaslui: Eine alte Frau fleht geradezu um Hilfe, weil ihr von den Behörden der eigene Grund und Boden nicht anerkannt wird und sich schon eine private Klinik darauf breitmacht. Man ahnt, dass Laurențiu Ginghină seine Fantasie und seinen Verstand allein auf den Fußball konzentriert.

Aber dann bricht der reflektierte Soziologe in ihm durch, und er empört sich, wie aus dem griechischen Paradigma der Erziehung der christliche Wille zur Strafe wurde. Wie sich Gewalt legitimiert. Und dann sagt er einen sensationellen Satz: "Utopie ist für die, die sich selbst keine Freiheit gewähren." Porumboiu wäre nicht der Regisseur der makabren Raffinesse, wenn er ihn so stehen lassen würde. Deswegen lässt er Ginghină nicht anfügen: "Fußball ist eine echte Lösung."

Fotbal infinit - Infinite Football. Regie: Corneliu Porumboiu. Rumänien 2018, 70 Minuten. (Vorführtermine)