19.02.2018. Mit Christian Petzolds "Transit" rufen die Kritiker den ersten Bärenfavoriten aus. Aleksei German Jrs "Dovlatov" halten die einen für atemberaubend, die anderen für einen bräsigen Fernsehfilm - das Wochenende im Rückblick.
Mit
Christian Petzolds "Transit" hat das Festival den ersten klaren Bärenfavoriten - zumindest wenn es nach den Kritikern geht: Der Berliner Regisseur greift einen Exilantenroman von Anna Seghers auf und versetzt das Melodram deutscher Exilanten, die auf der Flucht vor den Nazis in Marseille landen und nicht weiterkommen, rein von der Kulisse her in die Gegenwart. Hier "existieren die Toten neben den Lebenden",
schreibt Andreas Busche in seiner begeisterten Besprechung für den
Tagesspiegel. Eine "sehr kluge" Verfilmung ist Petzold gelungen,
schreibt Thekla Dannenberg im
Perlentaucher. "Nichts ist düster in diesem Film,
alles strahlt: die sonnendurchflutete Stadt, die brillanten Bilder in Cinemascope-Format, die uns immer nahen Gesichter, die Körper. Selbst die Momente des Todes, des Abschieds und der Verzweiflung sind
voller Licht." Auch Dominik Kamalzadeh vom
Standard hat der Film
überzeugt: "Der nüchterne Realismus, den der Regisseur bisher gepflegt hat, bleibt auch hier bestimmend. Doch eine gleichnishafte Anmutung, eine Idee von Bestimmung durchzieht ihn. 'Transit' hat deshalb etwas von einem modernen
Film noir, in dem die Gegenwart sich nicht vom
Schatten der Vergangenheit lösen kann. Die
Hölle, heißt es einmal sinngemäß, ist
ein Ort des ewigen Aufschubs." Susanne Lenz (
FR) und Gunda Bartels (
Tagesspiegel) haben Hauptdarsteller Franz Rogowski getroffen. Weitere Besprechungen in
taz,
Berliner Zeitung,
ZeitOnline und
Welt.
"Das hat der arme
Sergei Dowlatow nicht verdient: sein Leben als
Fernsehfilm, in schlechten Kostümen und zu
grellem Winterlicht, damit man die Realität von heute jenseits der Fenster nicht erkennt",
schreibt Anja Seeliger sichtlich unterwältigt über "Dovlatov" von
Alexei German Jr., der im Berlinale-Wettbewerb seine Weltpremiere feierte. Etwas positiver
sieht Anke Westphal diesen Film, der auf einige Tage im Winter 1971 fokussiert: "Immer wieder öffnet Alexey German Jr.
atemberaubend souverän die Türen zur Unbedingtheit eines Staates und die Gräber der Geschichte. ... In schönen Tableaus und langen Kamerafahrten erinnert der Regisseur indes nicht allein an einen Schriftsteller, der heute zu den Meistgelesenen in Russland zählt - nein, er bindet seinen Protagonisten zugleich in
bedeutsame Traditionen der russischen Intelligenzija und des sowjetisch-jüdischen Künstlertums ein." Nach Claus Lösers Ansicht ist dem Regisseur "ein dunkler, aber auch ein
erhellender Film über den 'Homo Sovieticus' (Alexander Sinowjew) gelungen", wie er in der
Berliner Zeitung schreibt: Die "dicht aufgeschlossenen, entfärbten Bilder machen
die Enge des Systems und die Verkrümmung der darin lebenden Menschen fast körperlich spürbar." Auch
taz-Kritikerin Barbara Wurm
sieht in diesem Film "eine große Allegorie: auf eine Zeit, die
bleiern ist und
zermürbend."
Aus dem Wettbewerb außerdem besprochen werden
Benoît Jacquots "Eva", der die Kritik einhellig enttäuscht hat (
Perlentaucher,
taz,
Berliner Zeitung,
Tagesspiegel),
Laura Bispuris "Figlia Mia" (
Perlentaucher,
taz,
Berliner Zeitung) und
Cedric Kahns "La Prière" (
Perlentaucher,
Berliner Zeitung,
Tagesspiegel). Außerdem schreiben Dominik Kamalzadeh (
Standard), Daniel Kothenschulte (
FR) und Andreas Kilb (
FAZ) über die aktuellen Wettbewerbsfilme.
Weitere Artikel: Für den
Tagesspiegel spricht Patrick Wildermann mit
Emily Atef über deren heute im Wettbewerb gezeigten
Romy-
Schneider-Film "3 Tage in Quiberon". Hanns-Georg Rodek hat für die
Welt den Schauspieler
Rupert Everett getroffen, der in seinem (im
Tagesspiegel besprochenen) Regiedebüt "The Happy Prince"
Oscar Wilde spielt. Im Kurzfilmprogramm des Festivals sind
Filme von 1968 zu sehen,
schreibt Claudia Lenssen im
Tagesspiegel. Außerdem
schreibt Lenssen im
Tagesspiegel über
arabische Filme im Forum und im Panorama. Helmut Merker hat für den
Tagesspiegel koreanische Filme im Forum
gesehen. Birgit Rieger
führt im
Tagesspiegel durch das
Forum Expanded. Für die
NZZ porträtiert Susanne Ostwald die Schauspielerin
Luna Wedler, die zu den diesjährigen Shooting Stars der Berlinale zählt. Thomas Vorwerk führt in der
FAZ durch das Programm des
Jugendfilmfestivals Generatin. Außerdem
meldet der
Tagesspiegel, dass
Nazif Mujić, der vor fünf Jahren als Laiendarsteller einen Silbenen Bären für seine Leistung in "Aus dem Leben eines Schrottsammlers" gewonnen hat, mittellos gestorben ist. Auf der Suche nach dem Skandal haben sich Fabian Tietke (
taz), Christiane Peitz und Jan-Phillip Kohlmann (
Tagesspiegel) und David Steinitz (
SZ) in die
Pressekonferenz mit
Kim Ki-
Duk begeben, der derzeit wegen einer Ohrfeige am Set und dem Vorwurf, eine Schauspielerin zu einer Sexszene gedrängt zu haben, in der Kritik steht.
Besprochen werden
Sergei Loznitsas Dokumentarfilm "Victory Day" über das Sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow (
Tagesspiegel),
Josephine Deckers "Madeline's Madeline" (
Tagesspiegel),
Hong Sangsoos "Grass" (
Tagesspiegel),
Katharina Muecksteins "L'Animale" (
Perlentaucher),
Fernando E.
Solanas "Reise in die vergifteten Dörfer" (
Perlentaucher),
Timur Bekmambetovs IS-Thriller "Profile" (
Tagesspiegel),
Lance Dalys "Black 47" (
Tagesspiegel),
Philipp Jedickes Dokumentarfilm "Shut Up and Play the Piano" über den Musiker Chilly Gonzales (
taz),
Karim Aïnouz' Dokumentarfilm "Zentralflughafen THF" (
Perlentaucher,
Berliner Zeitung),
Ruth Beckermanns Dokumentarfilm "Waldheims Walzer" (
Perlentaucher,
taz),
Lauren Greenfields Dokumentarfilm "Generation Wealth" (
ZeitOnline) und die soeben erschienene Autobiografie des früheren Berlinale-Leiters
Moritz de Hadeln (
SZ).
Weiteres in aller Kürze vom Festival im
Kritikerspiegel von
critic.
de und in den
Festival-SMS von
Cargo, sowie natürlich mehrfach täglich aktualisiert
in unserem Berlinale-Blog.
Und eine traurige Meldung:
Idrissa Ouédraogo, Träger des Silbernen Bären 1993 für seinen Film "Samba Traoré" ist im Alter von 64 Jahren gestorben,
melden die
Inrockuptibles.