Außer Atem: Das Berlinale Blog

Die Unberührbare: Emily Atefs Romy-Schneider-Film "3 Tage in Quiberon" (Wettbewerb)

Von Thomas Groh
19.02.2018.


Unter der Zwischenüberschrift "Das Verhör - Die zwei Gesichter einer Frau" findet man in Romy Schneiders Autobiografie jenes große Interview, das die Schauspielerin im Frühjahr 1981, ein Jahr vor ihrem Tod, dem Stern gegeben hat - während eines Kur- und Fasten-Aufenthalts in der französischen Hafenstadt Quiberon. "Die zwei Gesichter einer Frau", so lautet auch der Titel eines der letzten Schneider-Filme, Regie Dino Risi. Und zwei Gesichter der großen Schneider sind es auch, die uns Emily Atef in "3 Tage in Quiberon" zeigt: Verlebt, depressiv, vom Alkohol- und Tablettenkonsum gezeichnet, melancholisch, vom Leben und der Verzweiflung daran zerfressen - die Königin der Schmerzen. Und dann das kindliche Gesicht, das lebensfreudige Aufjauchzen und Auflachen, der schallende Übermut, blanke Glückseligkeit - wenn sie mit Freunden (oder solchen, die sie dafür hält) an der Bar trinkt, Gedichten lauscht, über Steine am Strand springt, sich verausgabt, den Clochard bei der Hand nimmt und mit ihm zu "Hush" von Deep Purple tanzt - ein ausgesprochen cine-magischer Rock'n'Roll-Moment, in dem das oft so ernstelnde, stählerne deutsche Kino auffunkelt vor Lebenslust. Überhaupt: Was für ein schöner, freier, wunderbar undeutscher Film.



Atemberaubend, wie Marie Bäumer völlig eins wird mit Schneider. Eine große Ähnlichkeit war ihr schon immer anzusehen, hier aber wird sie im besten Sinne völlig durchsichtig, zum Gefäß für eine Große, die, missverstanden und davongejagt, viel zu früh gestorben ist. Kein schaler Maskeraden-Kram, bei dem durchs Make-Up und die Kostümierung immer doch bloß der Wille zur Anverwandlung spricht, sondern bruchfreie Darstellung - man sieht nicht Bäumer, man sieht die Schneider. Überhaupt: Was für ein schöner Schauspielerfilm. Der ewig knuppelige und darin natürlich ziemlich tolle und zurecht von allen geliebte Charly Hübner etwa brilliert an Bäumers Seite als Fotograf Robert Lebeck, dem wir diese wunderbaren späten Fotografien der Schneider verdanken. Schön asig, wenn auch mit einer Spur zu viel Understatement, gibt Robert Gwisdek den Stern-Reporter Michael Jürgs, der mit bohrenden Fragen die Schneider bis in die Verzweiflung manipuliert. Der sie "bricht", wie man im Macker-Journalisten-Jargon vielleicht sagen könnte, schlussendlich ihr aber dazu rät, statt gegen die Presse zu kämpfen, sie doch lieber für sich selbst zu nutzen. Die vierte im Bunde: Birgit Minichmayr als Schneider-Freundin Hilde aus Kindertagen, die mit österreichischem Schlag in der Stimme ihre Freundin vor schlimmsten Exzessen vor dem Reporter-Mikro bewahren möchte.


Szene aus "3 Tage in Quiberon". Bild: Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig

Emily Atefs Entscheidung, den Film im wesentlichen auf die titelgebenden drei Tage in Quiberon zu konzentrieren, während derer das Gespräch für den Stern stattfand, tut dem Film gut. Das kammerstückartige Setting, der Nicht-Ort des Kur-Hotels entheben den Film dem konkreten Zeitlauf, die Kulisse wird hier - anders als in anderen Filmen über jüngere Vergangenheit - nicht zum Vintage-Spektakel, sondern bleibt tatsächlich Hintergrund. Der Film bleibt darin herrlich un-narrativ, konfliktfrei - es geht eher um Zustand als Entwicklung, eben eine Momentaufnahme.

Dadurch entsteht Raums fürs Wesentliche: Das Drama einer Frau am (unbewussten) Ende ihrer Karriere, die emotionalen Höhen und Tiefen einer Depressiven, die tiefen Verletzungen einer Schauspielerin, die vom Kneipenboulevard der Revolverblätter zum Abschuss freigegeben war: Immer wieder toll ist es, wenn Bäumer/Schneider diesen Schmerz abwirft, herumtollt, mit Hübner/Lebeck auf zärtlich-freundschaftliche Weise in der Kiste landet.


Szene aus "3 Tage in Quiberon" (Bild: Prokino Filmverleih)

"Romy - Porträt eines Gesichts" hieß bereits ein anderer Film, gedreht hat ihn Hans-Jürgen Syberberg 1967 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks- so ambitioniert, so frei war das öffentlich-rechtliche Fernsehen mal. Auch darin geht es um ein Gespräch mit der Schauspielerin, um Sinnfragen, ihre Verzweiflung. Formal ist dieses "Porträt" von 1967 der höher stehende Film, sicher fügt Emily Atef diesem Film mit ihrem eigenen wenig hinzu, sicher hat sie ihn gesehen und sich davon inspirieren lassen: Wie Syberbergs Film ist auch Atefs Film schwarzweiß, wenngleich Atefs Schwarzweiß sich in Kontrasten und Spitzlichtern eher der Ästhetik schöner Reportage-Fotografie annähert, wo Syberbergs Film eher zum Fernseh-Grau neigt. Doch sei's drum - eine Hommage an Romy Schneider im Jahr 2018, das hätte im Zeitalter des Förderwahnsinns und des Fernseh-Formatfilms grauenhaft verplompt, fürchterlich trist werden können. Atef hingegen macht ihren Film frei, lässt ihn atmen, sucht auch gerade nicht das Kunsthandwerkliche - eine schöne Hommage, die vielleicht keine neue Erkenntnis bringt, aber den Romy-Mythos weiterleben lässt.

3 Tage in Quiberon. Regie: Emily Atef. Mit Marie Bäumer, Charly Hübner, Robert Gwisdek, Birgit Minichmayr. Deutschland/Österreich/Frankreich 2018, 115 Minuten (Vorführtermine)