Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der König hat die Schlusspointe: Die Castorf-Hommage "Partisan" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
22.02.2018.


Die Volksbühne liegt zerschlagen darnieder, Chris Dercon hat einen desaströsen Start vorgelegt, das Ensemble ist zerbrochen, und wahrscheinlich spukt es schon im Haus. Das Letzte, was man jetzt gebrauchen kann, ist eine Hommage auf den einzigartigen, überragenden, schändlich vertriebenen und doch triumphierenden Frank Castorf. Lutz Pehnert und seine Ko-Autoren Matthias Ehlert und Adama Ulrich liefern sie: "Wir sind die Guten", prangt an einer Wand der Bühnenwerkstatt, gleich neben einem Hinweisschild für Begrüßungsgeld. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Theaterfürsten müssen andere übernehmen.

In "Partisan" hört nicht ein Intendant nach fünfundzwanzig Jahren auf, hier endet eine hundertjährige revolutionäre Theatergeschichte, in der Stücke, Idole und Konventionen zertrümmert wurden wie der Marmor der Reichskanzlei, der nach dem Krieg in der Volksbühne verbaut wurde. Das macht uns gleich der Beginn deutlich: Während unten auf dem Rosa-Luxemburg-Platz von Arbeitern das Räuberrad abmontiert wird, steht die sirenengleiche Kathrin Angerer auf dem Dach der Volksbühne und rezitiert mit ihrem zart-rauchigen Timbre Erwin Piscator, den Gründervater des proletarischen Hauses: "Aus Mangel an Phantasie erleben die meisten Menschen nicht einmal ihr eigenes Leben, geschweige denn ihre Welt. Sonst müsste die Lektüre eines einzigen Zeitungsblattes genügen, um die Menschheit in Aufruhr zu bringen. Es sind also stärkere Mittel nötig. Eins davon ist das Theater."

Der Film verfolgt die Proben zu Castorfs letzter Inszenierung, dem "Faust", rekonstruiert aus Archiven die vergangenen fünfundzwanzig Jahre und versammelt die großen Akteure der Volksbühne auf dem großen Sofa im Foyer: Sophie Rois, Kathrin Angerer und Lilith Stangenberg, Martin Wuttke, Henry Hübchen und Herbert Fritsch. Von ihnen werden wir nur Gutes über den Theaterfürsten hören, von den Filmemachern keine kritische Frage, und die Bilder der Berliner Abendschau ziehen den Film mitunter böse runter. Trotzdem kann man sich einem Film nicht entziehen, der mit so viel Witz, Enthusiasmus und sagenhafter Star-Power von den wildesten Jahren der deutschen Theatergeschichte erzählt.

Man muss ziemlich lachen, wenn man heute sieht, was für ein Schock das Ost-Theater Anfang der neunziger Jahre für das West-Berliner Bürgertum war, dem bis dahin Bühnen-Prinzessinnen wie Jutta Lampe oder Sunniy Melles Tschechow in edelster Form dargeboten hatten. Dann kam Castorf. Und mit ihm übernahmen Schlingensief und Kresnik, Marthaler und Pollesch die Regie, und sie kackten auf die Bühne und kotzten ins Publikum. "Das war ja Wahnsinn", feixt Martin Wuttke heute noch: "Wir kannten nur eins: Haut se, haut se, immer auf die Schnauze!" Herbert Fritsch: "Da hat ja die Luft gebrannt." Sophie Rois: "Am meisten Spaß gemacht hat's, als es für alle noch Dreck war." Rois sagt überhaupt die lustigsten Sachen, zum Beispiel, wenn sie Castorf als wahren Traditionalisten beschwört: "Frank ist doch ein echter Theatermann, der weiß um Wirkung. Es mag sein, dass wir hier unsere Ärsche zeigen, aber der König hat die Schluss-Pointe."



Bei den Proben erlebt man einen Castorf, der einem Angst und Bange macht, zugleich hochkonzentriert und ohne jede Selbstkontrolle. Wie Menschen mit diesem tobsüchtigen Berserker arbeiten können, bleibt einem schleierhaft. Trotzdem lässt niemand was auf ihn kommen. Super Regisseur, toller Chef, cooler Typ. Überforderung als Prinzip! Volksbühne ist Power-Ageing! Auch die Bühnenarbeiter sind ganz verliebt: Castorf hat nie im Büro gesessen. Der kennt uns alle mit Vornamen. Hier würde niemand auf die Idee kommen, um zwölf Schluss zu machen. Noch lieber mögen sie nur René Pollesch. Einer erzählt: "Ick bin Arbeiter, ick kann ja nur mein Herz sprechen lassen. Ick sag zu René, bei Deinem neuen Stück versteh ich ja nischt. Is doch Scheiße. Da sagt Renè: Na komm, dann gehen wir jetzt in die Kantine, trinken ein Bier und Du sagst mir, was Du nicht verstehst."

Castorf hat sich natürlich rausgehalten. Wenn er spricht, dann in Archivaufnahmen. Einmal huldigt er dem "undankbaren Ostler", der nicht arbeiten will, aber alles haben. Das sei ja eigentlich recht aristokratisch. Ein anderes mal sagt er, dass er sich selbst in der Position des Heckenschützen sehe, was heute ziemlich unsympathisch klingt. Daher aber der Titel "Partisan". Wie Castorf bei allem Auf und Ab die Volksbühne zum Ort eines freien Theaters gemacht hat, das Coolness und Sex-Appeal mit dem proletarischen Erbe verbinden wollte, das hat Pollesch besser gesagt. Hat er also die Schlusspointe: "Draußen tobt der Konsens, während ich hier drinnen versuche, Tradition und Anarchie aufrecht zu erhalten."

Partisan. Regie: Lutz Pehnert, Matthias Ehlert und Adama Ulrich. Deutschland 2018. 130 Minuten (Vorführtermine)