Außer Atem: Das Berlinale Blog

Der Hunger des Journalisten: Agnieszka Hollands "Mr. Jones" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
11.02.2019.

Der Brite Gareth Jones gehört zu jenen Figuren der Weltgeschichte, die in Vergessenheit gerieten, weil sie für alle Seiten so unbequem sind. Er arbeitete zunächst als Journalist in Berlin, hatte gute Kontakte zu Hitler und Goebbels und wurde, als er nach London zurückkehrte, außenpolitischer Berater von Premierminister Lloyd George.

1933 reiste er nach Moskau und brachte als einer der wenigen Berichterstatter in den Zeitungen des Hearst-Imperium Meldungen über die große Hungersnot in der Sowjetunion mit, mit der Stalin Hunderttausende von Menschen in den Tod trieb: "Ich sah eine Hungersnot gewaltigen Ausmaßes. Viele Menschen waren aufgequollen vor Hunger. Überall hörte ich Sätze wie 'Wir warten auf den Tod'". In der englischen Wikipedia wird das Zitat fortgesetzt mit dem Satz: "Dieser Ruf erschallte aus allen Teilen Russlands, von der Wolga, Sibirien, Weißrussland, dem Nordkaukasus und Zentralasien." In der deutschen Version fehlt er. Sie stellt einen stärkeren Bezug auf die Ukraine her. Dafür verweist die deutsche Seite mit vielen Belegen vom Spartakus Educational Project auf Jones' Nähe zu den Nazis.

Der Mann hatte Recht, doch wird politisch um ihn noch immer gestritten. Denn seinen Berichten wurde nicht nur nicht geglaubt, sie wurden vom Korrespondenten der New Yorker Times, Walter Duranty, rundweg geleugnet. Es war das schlimmste Versagen der Zeitung in ihrer Geschichte, wie sie selbst später einräumte, und auch der internationalen Linken, die die Schrecken der Kollektivierung und der Hungersnot als vorübergehendes Übel zu schlucken bereit war.

Agnieszka Holland erzählt in "Mr Jones" von seiner Reise nach Moskau und seinem Streit mit Duranty mit den Mitteln des Bombastkinos, actionreich, opulent ausgestattet und eher unraffiniert. Holland kann Hollywood, sie hat etliche Jahre dort gearbeitet, und auch im Auftrag von HBO für mehrere Serien als Regisseurin gearbeitet. Auch ihr Film "Die Spur", der vor zwei Jahren auf der Berlinale lief, zeugt davon. Platz für Subtilitäten lässt ihr Kino nicht: Jones ist hier ein durch und durch aufrechter Mann (seine Naziverbindungen spielen hier keine Rolle), der das journalistische Ethos hochhält, während die Herren von Westminister Zigarre rauchend den Lauf der Welt verpassen. Die tumben Sowjets nehmen britische Ingenieure als Staatsgeiseln, wie man heute sagen würde. Doch als größter Übeltäter fungiert im Film der zynische Walter Duranty, der in Moskau spektakuläre Orgien feiert, während die Ukraine hungert. Der Herr Pulitzer-Preisträger. In London sitzt George Orwell derweil an seinem Schreibtisch und schreibt seine "Farm der Tiere".

Besonders fragwürdig sind die Szenen, in denen Jones in die Ukraine reist, denn Holland setzt hier vor allem den Hunger des Journalisten in Szene. Zwar kreuzen auch die elenden Massen seinen Weg, Pferdefuhrwerke, auf denen die Toten weggekarrt werden, und in ihren Betten verendete Bauern. Aber vor allem erleben wir ihn leiden, ihn nach Lebensmitteln suchen, ihn Brotkrumen zusammenkratzen. Holland scheut sich nicht einmal, für den Effekt den alten Kannibalenwitz in Szene zu setzen: Wo habt Ihr das Fleisch her? Von unserem Bruder.

Die Geschichte des Gareth Jones hätte viele Lehren bereithalten können: über journalistische Integrität, die Grenzen des Engagements und die Notwendigkeit, sich auch mit dem politischen Gegner auf unleugbare Wahrheiten zu verständigen. Aber ein Film, der selbst so unpräzise und klischeehaft erzählt, keine Widersprüche aushält und keine Ambivalenzen zulässt, führt in diesen Zeiten nicht weiter.

Agnieszka Holland. Regie: Agnieszka Holland. Mit James Norton, Vanessa Kirby, Peter Sarsgaard. Polen / Großbritannien / Ukraine 2019, 140 Minuten Laufzeit (Alle Vorführtermine)