11.02.2019.
Von der ersten Sekunde an weiß man, woran man bei Mark Jenkin ist: Sein Schwarzweiß-Film, in 16-Millimeter gedreht und von Hand entwickelt, lässt an Cornwalls Küste nicht sanft den britischen Spirit von 1945 durchs Bild wehen, der Film ist sozialrealistisches Kino reinsten Wassers: Keine Inszenierung, keine langen Einstellungen, keine Kamerabewegung. Stattdessen Nahaufnahmen und suggestive Montagen. So viel Offenheit ist selten.
Von der ersten Sekunde an weiß man, woran man bei
Mark Jenkin ist: Sein Schwarzweiß-Film, in 16-Millimeter gedreht und von Hand entwickelt, lässt an Cornwalls Küste nicht sanft den britischen Spirit von 1945 durchs Bild wehen, der Film ist
sozialrealistisches Kino reinsten Wassers: Keine Inszenierung, keine langen Einstellungen, keine Kamerabewegung. Stattdessen Nahaufnahmen und suggestive Montagen. So viel Offenheit ist selten.
Jenkin lässt in einem Dorf
an Cornwalls Küste zwei Welten aufeinanderprallen: Die ums Überleben kämpfenden Fischer und die wohlsituierten Londoner, die ihre Wochenendende im idyllischen Zweitwohnsitz verbringen. Die einen machen ihre Boote klar, die anderen packen ihren Weekender. Die einen legen am Strand die Netze aus, die anderen stellen den Schampus im Kühlschrank kalt. Kraftvolle Arbeiterhände inspizieren bedächtig die Köder, manikürte Hände schließen unnachgiebig die Tür. Die Fronten sind klar, die Machtverhältnisse auch. Wer die Fassung verliert, hat im großen Gesellschaftsspiel verloren.
Der Fischer Martin hat kein Boot mehr, sein Bruder bietet auf dem alten Trawler Touristentouren an, und auch das Haus musste er verkaufen. Aber woher kommen all die Taue und Bojen, die jetzt so dekorativ Skipper's Cottage schmücken? Und wem gehört der Parkplatz am Hafen? Es sind noch nicht alle Schlachten geschlagen, und immer wieder ergeben sich neue Kämpfe: Soll die Tochter mit dem Fischersohn? Wer darf an den Billardtisch im Pub? Und soll man mit Hummer Geld verdienen?
Jenkin entfaltet eine Dynamik, die man in seinem klar abgezirkelten Schwarzweiß-Setting nicht erwartet hätte. Immer wieder tun sich neue Gräben auf, aber auch neue Allianzen. Mauern bröckeln und neue Zäune werden gezogen. Und auf einmal erzählt der Film nicht mehr nur vom
Antagonismus zweier Klassen, sondern von der Notwendigkeit, immer wieder neu auszuhandeln, wer wie viel woher bekommt, wer wohin gehört und was er dafür tun oder bleiben lassen muss. Die Tragödie ist dennoch nicht aufzuhalten. In der letzten Szene fährt Martin mit dem Boot aufs offene Meer, der Film endet mit einem
Freeze-Fame, mit einem eingefrorenen Bild, das man als Reverenz an die Leitfiguren seines Kinos verstehen muss, an
François Truffaut und
Karel Reisz.
Die Ironie des Film liegt in seinem ästhetischen Purismus, der dem Mainstream keinerlei Zugeständnisse macht. Während Regisseure wie Mike Leigh oder Ken Loach mit ihren Feelgood-Movies den Sozialrealismus in die Breite trugen, positioniert ihn Mark Jenkin ganz weit oben auf der Skala einer
kultivierten Cinephilie. Das Londoner Kunstpublikum wird begeistert sein, ihn demnächst auf einem Filmfestival in Cornwall zu sehen, bei einem Picknick mit Quinoasalat, Avocado und Wolfsbarsch.
Bait. Regie: Mark Jenkin. Mit Edward Rowe, Simon Sheperd, Mary Woodvine, Giles King, Isaac Woodvine. Großbritannien 2019, 88 Minuten (Vorführtermine)