Außer Atem: Das Berlinale Blog

Marmor, Kupfer, Kohle: Nikolaus Geyrhalters "Erde" (Forum)

Von Thekla Dannenberg
13.02.2019.


Eine der größten Baustellen der Welt befindet sich im San Fernando Valley in Kalifornien, wo für ein gigantisches Immobilienprojekt ganze Berge abgetragen werden. Aus der Vogelperspektive gefilmt, ergibt es eine tolle Choreografie, wenn die Planierraupen und Schaufelbagger in großen Schleifen ihre Bahnen ziehen und Tausende Tonnen Erde wegschaffen. Bei den Fahrern der Bulldozer unten am Boden herrscht vollbärtige Zufriedenheit: "Wie sich das anfühlt, sein Geld damit zu verdienen, dass man Berge versetzt? Gut, denke ich." Ein anderer reibt sich die Hände: "Die Erde ist ein widerspenstige Geliebte." Sie hat keine Chance, die Maschinen werden immer größer: "Am Ende gewinnen wir."

Die kernigen Bauarbeiter in Nikolaus Geyrhalters Dokumentation "Erde" haben keinen Sinn für die Gewalt, die diese Eingriffe bedeuten. Sie sehen nicht die Natur, sie sehen ihre Arbeit, die fast so viel Spaß macht wie das früher Buddeln im Sandkasten oder ein ordentlicher Straßenkampf. Wer kann es ihnen verdenken? Geyrhalter tut es. 60 Millionen Tonnen Erde werden täglich bewegt. In den vergangenen Jahrzehnten waren es so viel, dass sich die Erdachse um 0,1 Grad verschoben hat.

Er hat für seinen Film die verschiedensten Baustellen aufgesucht, mit denen dem Planeten Wunden geschlagen werden: Der neue Basistunnel, der durch den Brenner gesprengt wird. Braunkohletagebau im ungarischen Gyöngyös, der so öde verheerte Mondlandschaften hinterlässt. Die Marmorsteinbrüche von Carrara in Italien, die heute hundert Mal mehr Blöcke abtragen als noch vor dreißig Jahren. Die Kupferminen am Rio Tinto in Spanien, die schon dem Römisches Reich Metall lieferten. Der undichte Salzstock unter der Asse, in dem eigentlich für Jahrhunderte der radioaktive Abfall gelagert werden sollte. Der Ölsandabbau in Kanada auf dem Gebiet einer First Nation.



Geyrhalters Bilder von den Ausbeutungsstätten sind schockierend, manchmal auch faszinierend. Es sind aufregende und spannende Momente, wenn Geyrhalter Raum für ambivalente Erfahrungen lässt. Oft jedoch drängt er seine Interviewpartner jedoch moralisch in die Ecke, was vielleicht okay wäre, wenn er sich die richtigen dafür ausgesucht hätte, die verantwortlichen Developper der Immobilienprojekte, Konzernchefs und Politiker. Aber die Arbeiter? Von denen will man ganz andere Dinge erfahren. Über Marmor, Kupfer, Kohle oder 160 Meter langen Kräne.

Doch zum Glück gibt es auch Momente, in denen die Leute einfach über ihr Metier sprechen und in denen lernt man viel: Wie Tunnel gebaut werden, wie die Atomfässer in 650 Meter Tiefe in den Salzstock gekippt wurden oder was für einen Adrenalinschub die Arbeit auf solchen gigantischen Baustellen mit sich bringt: "Wir betreten Boden, den nie zuvor ein Mensch gesehen hat", sagt ein Arbeiter in Carrera. Was für ein immenser Raubbau an der Erde stattfindet, wird erst dadurch begreiflich.

"Erde". Regie: Nikolaus Geyrhalter. Dokumentarische Form. Österreich 2019, 115 Minuten (Alle Vorführtermine)