Außer Atem: Das Berlinale Blog

Sinkende Gefühle in Bangkok: Tsai Ming-Liangs "Rizi" (Wettbewerb)

Von Ekkehard Knörer
27.02.2020.

Am Ende, in der vorletzten Einstellung, liegt der ältere Mann (Lee Kang-Sheng) im Bett, Großaufnahme des Gesichts, auf der Seite. Ein paar Minuten bleibt diese Einstellungen stehen, wie so gut wie alle Einstellungen stehen bleiben, nicht strikt, aber vorwiegend starr, nichts tut sich im Bild, denkt man, bis man zu merken beginnt, wie sich in den Augen Lichtpünktchen spiegeln, rötlich, etwas, aufblinkend, verschwindend, aufblinkend, man weiß nicht genau, was sich da spiegelt, denn in der nächsten Einstellung, es ist dann die letzte, ist man an einem anderen Ort, in der Stadt, da sitzt der jüngere Mann auf einer Bank und wartet, denkt man, auf den Bus, nur dass er aufstehen wird, bevor ein Bus oder sonst etwas kommt. Er hat nur eine Weile an der Spieluhr gedreht.

Licht und Feuer und Licht, das gab es schon vorher. Glühende Kohlen auf den Nadeln auf dem Rücken des älteren Manns bei der Akupunktur. Feuer, das der jüngere Mann (Anong Houngheuangsy) anfacht und am Brennen hält für die Töpfe, in denen er den Fisch zubereitet, den er zuvor in einer Einstellung, die nicht kürzer war als die anderen, gewaschen hat, in einer Schüssel, wie auch den Salat. Und Lichtpünktchen gab es, so ziemlich am Anfang des Films in einer Totalen auf nebelverhangene Landschaft, Lichtfünkchen zwischen den Bäumen und zwischen den Fetzen des Nebels. Von punctum zu punctum in Nichtbewegtbildern: Das sind die Korrespondenzen, die sich herstellen beim Betrachten von Tsai Ming-Liangs "Rizi", vieles kommuniziert hier, in Bildern, Elementen und Tönen, die Menschen allerdings, die kommunizieren hier nicht.

Die Triggerwarnung gleich zu Beginn: Der Film ist absichtlich nicht untertitelt. Viel zu untertiteln gäbe es aber ohnehin nicht. Ein paar Wörter, Dialog wäre zu viel gesagt, verlieren sich schon zwischen Menschen, aber sie fallen nicht ins Gewicht. Ins Gewicht fallen andere Dinge. Allerdings auch nicht der Plot. Zwar kann wer will, schon so etwas wie eine zusammenhängende Handlung erkennen: Der ältere Mann ist plötzlich malade, der jüngere Mann lebt allein, die beiden bewegen sich (oder auch nicht) durch die Stadt, es ist Bangkok, und begegnen sich in einem Hotel, wo der jüngere Mann den älteren zärtlich massiert und dann nicht minder zärtlich auch masturbiert. Er bekommt von ihm Geld, und dann noch eine Spieluhr geschenkt. Sie, und die Musik, die sie macht, das fällt durchaus ins Gewicht.

Die beiden Männer sind stumm, sie sind einsam, der Körper des älteren Mannes ist ihm nicht mehr leicht. Die Akupunktur mit den glühenden Kohlen sieht schmerzhaft aus, schwer zu sagen, ob sie irgendwie hilft. Danach jedenfalls hat der Mann eine unbequeme Stützapparatur um den Hals. Da folgt ihm einmal die Handkamera durch die Stadt, das ist eine ziemliche Sensation, ein Ausbruch aus den starren langen Tableaus in die Hektik. Danach aber fällt der Film in seine starren langen Tableaus wieder zurück, die übrigens großartig sind.



Sie sind mit Tsais Gefühl für Ausschnitt und Gleichgewicht im Bild komponiert, nie manieriert, aber auch nie so banal wie das, was man sieht, die meiste Zeit ist. Das Putzen, das Kochen, der Regen, der bunte Markt, die Landschaft, die verlassene Straße mit dem angeleuchteten Baumgrün in der Nacht. All das fällt, so banal es ist, ins Gewicht, auch wenn, allen sinkenden Gefühlen zum Trotz, die Bilder weder von der Dauer noch irgendeiner Schwere erdrückt sind.

Und noch einmal fällt ein Bild völlig heraus. Es ist fast abstrakt, eine Stromleitung unten, eine Wand oder Fassade. Kein Mensch ist zu sehen. Und vor allem: Der Ton, der sonst so reich aus der Umwelt der Ausschnitte in diese hineinströmt, ist weg. Stille im Saal, beziehungsweise ziemlich viel Husten. Dann geht es weiter. "Tage" heißt der Film, er ist wie die Tage offen für alles, was darin Platz haben will, und dazu gehört auch die Nacht. Hier wird nichts und niemand zu Handlung oder Deutung gedrängt. Komm und siehe, fall mit ins Gewicht.

Rizi - Day. Regie: Tsai Ming-Liang. Regie: Tsai Ming-Liang. Mit  Lee Kang-Sheng und Anong Houngheuangsy. Taiwan 2019, 127 Minuten (Alle Vorführtermine)