Außer Atem: Das Berlinale Blog

Erzählen vom Wegwollen und Dableiben: "Eyimofe" der Brüder Esiri und "Traverser" von Joel Akafu (beide Forum)

Von Thekla Dannenberg
25.02.2020.


Spanien und Italien heißen die beiden Kapitel in "Eyimofe", die Ländern sind die fernen Sehnsuchtsorte dieses Film und die Fluchtpunkte, an denen Mofe und Rose ihre Leben ausgerichtet haben. Die beiden haben denselben Vermieter, sie sind jeweils auf ihre eigene Weise abhängig von Mister Vincent, aber sie kennen sich nicht, sie begegnen sich höchstens zufällig in den Straßen von Lagos. Die Sehnsucht nach Europa verbindet nicht.

Mofe arbeitet als Elektriker in einer Fabrik, die ihre besten Zeiten hinter sich hat. Die Besitzerin versucht, so viel Kapital wie möglich aus dem maroden Betrieb herauszuschlagen, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis alles zusammenbricht. Der junge Wisdom gibt dennoch alles daran, von Mofe als Azubi angenommen zu werden. Mofe selbst versucht, Geld und Papiere zusammenzukratzen, um nach Spanien zu kommen. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Hat er das Geld, dann braucht er immer noch Pass, Visum, Arbeitserlaubnis, Einladung. Doch kaum bekommt er den Pass, stirbt seine Schwester und das gesparte Geld geht für ihre Beerdigung drauf. Sie findet auf dem Land statt, in traditionellem Gewand, bunt und prachtvoll, das kostet. Der habsüchtige Vater erhebt Ansprüche, der junge Azubi zählt auf ihn. Ein Netz aus Hoffnungen, Erwartungen und Verpflichtungen legt sich um Mofe. Als er seinen Job verliert, macht es fast gar nichts mehr, dass er die Hoffnung auf Europa aufgeben muss. Mofe gründet zusammen mit Wisdom einen eigenen Laden als Elektriker, er emanzipiert sich von seinem Vater und beginnt das freiere, bessere Leben, das er sich von Spanien erträumte, in Lagos.



Rose und ihre jüngere Schwester Grace wollen nach Italien. Ihre Optionen sind begrenzt. Sie können sich nur aussuchen, wem sie zu welchen Bedingungen ihre Körper verkaufen. Rose kommt als Friseurin kaum über die Runden, aber sie schlägt die Angebote des anzüglichen Mister Vincent aus, dafür dient sie sich einem wohlhabenden Amerikaner an. Dessen Freunde machen sich schon über sie lustig: "Na, erzählt sie Dir von ihrer kranken Mutter, für die sie Geld braucht?" Nein, tut sie nicht, die Miete ist natürlich ihr Problem. Die kleine Grace ist schwanger und ihr Kind ist schon verkauft an eine Geschäftemacherin, die ihre Geldgier mit Voodoo kaschiert. Mit dem Geld für das Kind wollen sich Rose und Grace Pässe für Italien kaufen können, ebenfalls bei der Menschenhändlerin. Für Rose erweist sich die Migration nach Europa von vornherein als trügerische Hoffnung. Am Ende wird Rose nur die Freiheit haben, sich für die mildere Variante der Ausbeutung zu entscheiden.

"Eyimofe" bedeutet so viel wie "Dies ist mein Wunsch". Die beiden in Nigeria geborenen und in Britannien ausgebildeten Brüder Arie und Chuko Esiri erzählen in ihrem ersten Spielfilm vom Leben und Überleben in Lagos. Sie entfalten dabei ein Panorama der flirrenden, pulsierenden Megastadt, wie man es so noch nie auf der Leinwand gesehen hat. So unverstellt, vielschichtig und klar. In wunderschön komponierten Bildern voller Licht und Farbe und mit hervorragenden Schauspielern. Es gibt Szenen menschlicher Härte, die einem den Atem rauben, andere überwältigen mit ihrer Power oder betören in ihrer Zärtlichkeit. Magisch sind die Momente, in denen sich Rose, Grace und Mofe begegnen, als würde das geheime Netzwerk der Stadt seine Energie daraus speisen. Erschütternd ist, wie viel es sich die Menschen in "Eyimofe" kosten lassen, an Geld zu gelangen. Den Traum von Europa zu verabschieden, wird hier zu einem Akt der Emanzipation.



Auch Joel Akafou eröffnet mit seinem Film "Traverser" einen irritierenden Blick auf das Thema Migration. In dokumentarischer Form folgt der Film dem jungen Ivorer Inza, der es von der Elfenbeinküste nach Turin geschafft hat, dort aber nicht zurecht kommt. Nach dem Tod des Vaters hatte ihn seine Familie nach Europa geschickt, damit er dort Geld verdient. Tag für Tag rufen die Mutter, die Tante und Großmutter an, sie fordern Geld, erinnern ihn an seine Pflichten. "Vergiss nicht, warum du in Europa bist! Du hast dich entschieden, uns zu helfen! Sei stark!" Sie mussten sich sogar verschulden, um ihn aus einem libyschen Gefängnis freizukaufen. Inza braucht dringend Geld, und das kann er nicht in dem Campo verdienen, in das er interniert wurde.

Inza kommt bei Michelle unter. Sie hat einen legalen Status, ein Kind, bereits eine Wohnung und ein viel zu großes Herz. Auf ihrem Matratzenlager nimmt sie nicht nur alle Ivorer auf, die bei ihr Unterschlupf suchen, sie gibt ihnen auch noch ihr letztes Geld. Inza nutzt sie schamlos aus. Er verspricht ihr das Blaue vom Himmel und verplempert ihre Ersparnisse. Dabei plant er schon, nach Paris zu gehen, wo bereits Brigitte auf ihn wartet. Seinen ersten Versuch, die Alpen im Winter zu überqueren, muss er aufgeben, seinen zweiten verhagelt ihm Michelle, der schließlich doch der Geduldsfaden reißt.



"Traverser" zeigt in erschütternder Ehrlichkeit das Leben afrikanischer Flüchtlinge: Den Druck, dem sie von ihren Familien zu Hause ausgesetzt sind. Die Kälte, mit der sie in Europa zurechtkommen müssen. Die Trostlosigkeit, in der sie die Zeit ihrer Aufnahmeverfahren totschlagen. Die Haltlosigkeit der gelangweilten jungen Männer. Doch fragt man sich manchmal, was Joel Akafou da tut. Und ob er es sich gut überlegt hat. Der Film lässt einen etwas im Unklaren, wie viel an ihm Dokumentation ist oder was inszeniert. Manche Szenen des Films wirken gestellt, andere verfolgt man mit Unbehagen, etwa wenn Inza vor der Kamera einer völlig verstörten Michelle offenbart, dass er sie verlässt. Ist es ihr recht, dass sie dabei gefilmt wurde? Das Unglück, dem Flüchtlinge unterworfen sind, zwingt einen oft, Ambivalenzen auszuhalten. Not macht hart. Aber am Ende dieses fahrlässigen Films ist man von Inza nur noch abgestoßen - wie auch etliche seiner Gefährten. Das Schicksal, das ihm bevorsteht, lässt einen kalt.

Eyimofe - This is my Desire. Regie: Arie Esiri und Chuko Esiri. Mit Jude Akuwudike, Adetomiwa Edun, Temi Ami-Williams und anderen. Niegria 2020, 116 Minuten (Alle Vorführtermine)

Traverser - After the Crossing. Dokumentarische Form. Regie: Joël Richmond Mathieu Akafou. Mit Inza Junior Touré, Kader Keita, Michelle Bawa und anderen. Frankreich, Burkina Faso, Belgien 2020, 77 Minuten (Alle Vorführtermine)