Außer Atem: Das Berlinale Blog

Wenn er ein Huhn malt, wird er zum Huhn: "Hidden Away", Giorgio Dirittis Film über den naiven Maler Antonio Ligabue (Wettbewerb)

Von Ekkehard Knörer
22.02.2020.


"Hidden Away", die Übersetzung des italienischen Titels von Giorgio Dirittis Biopic, verfehlt das Original und verfehlt in diesem Verfehlen einiges mehr. "Volevo nascondermi" heißt "Ich wollte mich verstecken", und das Wollen, also das Aktive, und das Ich, also das Subjekt dieses Wollens, und sei es von allen Teufeln zum Verstecken getrieben, sind für die Deutung des Lebens von Antonio Ligabue, wie der Film sie versucht, von zentraler Bedeutung.

Es beginnt aus einer Enge heraus. Ligabue, in einer Arztpraxis, hat sich unter einer Decke versteckt. Er linst durch einen Spalt, durch den auch die Kamera linst. Er wird von Bildern der Erinnerung überfallen, mit denen der Film auch uns überfällt. Diese Subjektivierung, das Anschmiegen, ach was, das Heranpressen an die Perspektive Ligabues, bleibt das Prinzip der Erzählung. Keine Einstellung, in der nicht Ligabue (als Erwachsener von Elio Germano unter vollem Körpereinsatz gespielt) präsent ist, nirgends die Idee, es ließe sich sein Leben, sein Erleben der Wirklichkeit, objektivieren oder in den geregelten, datierten, sortierten Gang einer konventionellen Biografie überführen.

So reißt der Film einen mit, aus dem Dorf in der Schweiz, wo das Kind, als Antonio Laccabue geboren, in einer Pflegefamilie aufwächst. Er hat, denken sie alle, den Teufel im Leib. Antonio ist anders und sie wollen, dass er ist und wird, wie die anderen sind. Er wird gehänselt und gemobbt, in der Schule, von Kindern und Lehrern, von Aufsichts- und Zurichtungspersonal aller Art. Die Mutter reibt ihm die Schläfe, so soll der Teufel aus ihm heraus. Antonio glaubt auch, dass der Teufel in ihm sitzt, ander kann er sich sein Anderssein auch nicht erklären. Es quält ihn, weil ihn die anderen quälen, er wird aus der Schweiz nach Italien verbracht und spricht doch kein Wort italienisch.



Er landet im Dorf des ersten Mannes der Mutter, dessen Namen er ablehnt und abstreift (den Namen Ligabue gibt er sich selbst), er treibt sich, herumgetrieben, in den Dörfern und Wäldern der Po-Ebene, obdachlos, elternlos, heimatlos, sprachlos herum. Aus der Beengung und Enge führt nur eines heraus: die Malerei. Es ist der reine Zufall, dass sein Talent entdeckt wird, er hat das Glück, Leute zu finden, die das Besondere seiner sehr eigenwilligen, oft prachtvollen, oft gewaltsamen Tiermalerei erkennen. Ligabue gilt heute als einer der bedeutendsten naiven Künstler des Jahrhunderts,

Aber nicht für den Künstler und nicht für seine Kunst, sondern für den Menschen interessiert sich in erster Linie der Film. Für den Menschen, dem die Kunst zum Ausweg wird aus der Enge, aus der Beengung, in den die eigene Psyche und die anderen Menschen ihn drängen. Er hat das Gemüt eines Kindes, sein Verhalten ist störrisch, ungeschliffen, wenn er ein Huhn malt, wird er zum Huhn. Diritti erzählt das elliptisch, episodisch, bedrängend, es gibt keine Erklärungen, nur das Heranwerfen an das leidende, kämpfende, jeder Bändigung widerstrebende Subjekt.

Für all das findet der Film überzeugende Formen. Abrupte Sprünge, die Beengung der Perspektive mit Unschärfen an den Rändern, die Intensität der Farben, der Verzicht darauf, sich von Ligabue mit Blicken von außen zu distanzieren. Alles ist hier Solidarität mit dem Leben, das in Ligabue tobt, mit seinem Versteckenwollen und seinem Streben nach Anerkennung, als Mensch und als Künstler. Dirittis Konsequenz hat allerdings ihre Rückseite, da die Deutung und die Darstellung der Bedrängniskräfte und Lebensimpulse sich wiederholen und gleichen. Man wird mitgerissen von einer zur anderen Lebensstation, aber mitreißend ist das nicht unbedingt. Das Lebensbild ist in starken Farben gemalt, aber es mangelt, zwar nicht der Figur, aber sehr wohl ihrer Darstellung an den inneren Spannungen, die einen Film erst wirklich beleben.

Volevo nascondermi - Hidden Away. Regie: Giorgio Diritti. Mit Elio Germano, Pietro Traldi, Orietta Notari, Andrea Gherpielli, Oliver Ewy u.a., Italien 2019, 118 Minuten. (Alle Vorführtermine)