Außer Atem: Das Berlinale Blog

Seele einhauchen: Christian Petzolds "Undine"

Von Thekla Dannenberg
23.02.2020.

Undine arbeitet als Historikerin für den Berliner Senat, im Märkischen Museum präsentiert sie Besuchergruppen die großen Planungsmodelle der Stadt, erzählt die Baugeschichte, macht die Ausmaße des S-Bahnrings anschaulich, oder versucht, das Humboldtforum begreiflich zu machen. Ein unmögliches Unterfangen. Früher wandelte man Schlösser in Museen um, seufzt sie, heute baut man "ein Museum in Gestalt eines barocken Herrscherpalastes". Ist Fortschritt unmöglich geworden?

Gleich in der ersten Szene eröffnet ihr Johannes, dass er sie verlassen wird. Er hat jetzt eine andere. Sie sitzt mit ihm in einem Café in der Nähe des Museums, ihre Blicke weichen sich aus, die Sätze sind nur Ausflüchte. Paula Beer und Jacob Matschenz spielen die beiden, Hans Fromms Kamera setzt die beiden in sehr schönes, Licht, in Großaufnahme, klar und doch verklärend. Dann knallt sie ihm die Worte hin: "Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten. Das weißt du doch." Sie muss kurz zurück zu ihrer Arbeit, er soll warten. Doch als sie wieder ins Café kommt, ist er fort. Stattdessen steht auf einmal Christoph da. Er ist Industrietaucher, sagt er, fand ihren Vortrag so klug und schön. Auf einmal explodiert das Aquarium. Von der Wucht niedergerissen, vom Wasser überspült und mit Splittern, Fischen und Algen übersät, liegen die beiden am Boden - selig, Arm in Arm. Zwei Seelenverwandte haben einander gefunden. Ein Klavierkonzert von Bach verleiht der Szenerie den Klang einer italienischen Romanze. Diese Liebe ist nicht von dieser Welt. "Ihr Arschlöcher", motzt der Berliner Kellner, als er die Bescherung sieht.

Berlin ist keine Stadt der Romantik. Nicht nur weil die Menschen hier so ruppig unfreundlich sind, sondern auch weil Berlin, seit die Sümpfe der Mark Brandenburg trockengelegt wurden, eine Stadt der Moderne ist, oder vielmehr eine Stadt der immer wieder versprochenen, aber nie erfüllten Moderne. Aber muss es in dieser Stadt der vielen Seen und der Flüsse nicht doch auch einige Wassergeister geben?

Christian Petzold reanimiert mit seinem Film "Undine" den Mythos jener nymphenartigen Wesen, die ihre Seele erst entfalten, wenn sie einen Mann lieben können. Wird er untreu, muss er sterben. Es ist ein durch und durch romantischer Mythos, der nicht ganz in die Zeit passen will, aber in ziemlich aparten Gegensatz zur Berliner Nüchternheit steht. Immer wieder entfliehen die beiden nach Westfalen, an einen großen Stausee, wo Christoph, von Franz Rogowski mit gewohnter Sanftheit gespielt, die Unterwasser-Turbinen des Kraftwerks wartet. In bezaubernden Bildern tauchen die beiden in die Seelandschaft, die Kamera folgt ihren fließenden Bewegungen. Aber die beiden Liebenden verleihen auch der kaputten Berliner Mitte etwas Märchenhaftes. Undine wohnt in einem der Hochhäuser am Alexanderplatz, in denen fast nur noch Touristen einquartiert werden, es ist ein totes Viertel, einer der vielen Nicht-Orte Berlins, fast so öde wie der Spreebogen, dem Undine und Christoph ebenfalls wieder eine Seele einhauchen wollten.



Hinter "Undine" steht Petzolds erklärter Wille, Berlin den Zauber zu verleihen, den ihm der Kapitalismus ausgetrieben hat, wie er auf der Pressekonferenz sagte. Dabei verfällt er keinesfalls einer Verklärung der Stadt. Seine Bilder und Figuren sind sehr heutig und sehr real. Aber wie er seine Anna-Seghers-Verfilmung "Transit" im Heute und im Marseille der dreißiger Jahre zugleich spielen ließ, so hat auch "Undine" dieses eigentümlich Schillernde, das Petzolds Filmen eigen ist. "Undine" ist nicht ganz so zwingend wie "Transit", aber die Geschichte, die Bilder, die Figuren verbinden das Zauberhaften mit dem Realen, das Kino mit Welt.

Thekla Dannenberg

"Undine". Regie: Christian Petzold. Kamera: Hans Fromm. Mit Paula Beer und Franz Rogowski. Deutschland 2019, 90 Minuten. (Aller Vorführtermine)