Außer Atem: Das Berlinale Blog

Die Schwere des Seins: "Der schattenlose Turm" von Zhang Lu (Wettbewerb)

Von Patrick Holzapfel
18.02.2023.


In seinem neuen Film zeigt der koreanisch-chinesische Regisseur Zhang Lu ein melancholisches Bild Pekings, in dem Gu, ein geschiedener Foodblogger zwischen der schwierigen Beziehung zu seinem Vater, einer sich nie wirklich auslebenden Liebe zu seiner deutlich jüngeren Mitarbeiterin und dem Dasein für seine Tochter versucht, sein tristes Leben zu meistern. Mit sanften humoristischen und poetischen Einschüben dümpelt der Film dabei zwischen bewegenden Momenten und uninspirierten Gemeinplätzen des romantischen Entfremdungskinos. Man begreift die Schwere des Seins, aber fühlt sie nur bedingt.

Das mit der Midlife-Crisis existenzialistischer Männer hört im Kino wohl nie auf. Ryūsuke Hamaguchis "Drive my Car", an den "Der schattenlose Turm" bisweilen erinnert, hat diesem "Genre" neuen Auftrieb gegeben. Man kann nicht sagen, dass Lu dieser passiven Figur wirkliches Neues abgewinnt. Am ehesten noch der schlurfende Gang und die anstrengende Höflichkeit des Protagonisten, der eine Generation markiert, bei der es keinen Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter gegeben hat. Tatsächlich bewegt sich Schauspieler Xin Baiqing als Gu ziemlich exakt so wie Michael Cera in der kultigen Teenagerkomödie "Superbad", jeder Schritt wendet sich ein bisschen ab von der Kamera, verklemmt an der Grenze zur Parodie und gerade deshalb verletzlich. Bei einem kleinen Trinkgelage mit Freunden wird mehr deutlich. Allesamt geschieden und einsam reflektieren die Figuren ihr nie beglückendes Leben. Der Film interessiert sich für die Verlorenen, Verstoßenen, die Waisen und Getrennten. All die, die nicht funktionieren, die nicht aufblühen im neuen, modernen China. Selbst die Katzen und Hunde, die wiederholt auftauchen, nähern sich den Menschen nur zögerlich und nie ganz.

Durchaus bedrückend zeigt der Film auch, wie diese Menschen hausen müssen. Die Enge erlaubt scheinbar Intimität, aber sie führt letztlich zu einer Verlorenheit. Ein wenig taucht die Sehnsucht in diesem Film auf wie gegen das Fenster flatternde Schmetterlinge. In einer Nacht spaziert Gu mit seinem Schwager vor beleuchteten Hochhausfassaden, die beiden verschwimmen zu Silhouetten, nur kurz beleuchtet, wenn sie an ihren Zigaretten ziehen. Lu reflektiert eine Kultur, in der Hochgefühle unterdrückt werden. Die kleinen Löcher, die es gibt, bestehen in der Sprache (Gus eigentliche, längst abgelegte Leidenschaft ist die Lyrik) und der Erinnerung an bessere Zeiten (nostalgische Lieder, die gemeinsam gesungen werden inklusive).

Der titelgebende schattenlose Turm steht als große Metapher zwischen den Dingen und vor dem Fenster von Gus Wohnung. Er beschreibt ein Leben, das sich aufzustapeln scheint, ohne etwas zu bewirken. Gu ist dabei keineswegs die tragischste Figur. Allen, die um ihn herum leben, ergeht es noch schlechter. Gerade das verleiht dem Film, der recht ironisch mit dem Altersunterschied der verliebten Protagonisten umgeht, einen nicht immer aufgehenden Anstrich von Selbstmitleid. Aber vielleicht geht es ja gerade darum. Gu ist eine Figur, zu der man sich verhalten muss. Er trifft keine Entscheidungen, verharrt in zögerlicher Zurückhaltung und genau deshalb bewegt sich nichts in seinem Leben. In einer Szene schaut er lange in den Spiegel und wird dafür von Ouyang, seiner Mitarbeiterin und nie wirklich Geliebten, als Narzisst bezeichnet. Die beiden umkreisen sich beständig und diskutieren eine Liebe, zu der sie selbst auf Distanz gehen. Das Höchste ist ein Kuss, aber selbst dieser soll nicht erwidert werden.

Gu stellt den anderen kaum Fragen, die eigene Traurigkeit scheint wichtiger als das eigentliche Leben. Das betrifft auch die kitschig dargestellte Beziehung zu seinem einsam lebenden, am Strand einen Drachen steigen lassenden Vater. Dieser wurde vor langer Zeit von der Familie verstoßen, weil er betrunken eine Frau angegrabscht haben soll. Das Drehbuch führt diese Schicksale äußerst holprig zusammen, es gibt für einen so stillen Film erstaunlich wenig Subtilität. Nur dieses irgendwie zwischen Lächerlichkeit, Verletzlichkeit, Grausamkeit, Dummheit und Schönheit changierende Männerbild hält wirklich die Ambivalenz, die der Film bräuchte. Man kommt nicht daran vorbei zu bemerken, dass man all das schon gesehen hat - und oft eindrücklicher.

Patrick Holzapfel

Der schattenlose Turm. Regie: Zhang Lu. Mit Xin Baiqing, Huang Yao, Tian Zhuangzhuang, Nan Ji, Wang Hongwei u.a., China 2022, 144 Minuten. Alle Vorführtermine.