Außer Atem: Das Berlinale Blog

Fehlt der Biss: "Todos os mortos - All the Dead Ones" von Caetano Gotardo und Marco Dutra (Wettbewerb)

Von Anja Seeliger
24.02.2020.


Es ist das Jahr 1899. Josefina, eine wunderschöne schwarze alte Frau in einem karierten Kleid mit Spitzenkragen und bestickter weißer Schürze, röstet über einem Feuer im Hof den Kaffee. Dann geht sie mit der Pfanne ins Haus, mahlt den Kaffee, brüht ihn auf und deckt den Tisch im Esszimmer. Sie selbst trinkt ihren Kaffee in der Küche. Es regnet und sie singt ein Lied von den guten Göttern des Regens. Wenig später ist sie tot, Brasilien unabhängig und die Sklaverei abgeschafft. Die Familie muss ihren Kaffee jetzt selbst kochen.

Die Familie, das sind die Soares': Isabel und ihre Töchter Ana und Maria. Letztere ist eine Nonne. Sie macht sich Sorgen, denn ihre Mutter ist alt und Ana ist - merkwürdig. Doch der Vater, der noch auf dem ehemaligen Landgut lebt, kann oder will seiner Familie in Sao Paolo nicht helfen. Also nimmt Maria Ina Nascimento mit, eine ehemalige Sklavin auf dem Gut, die jetzt behelfsmäßig mit ihrem kleinen Sohn Jorge in einer Kirche lebt. Die beiden hoffen, in Sao Paolo Jorges Vater zu finden. Ina soll bei den Soares einen Zauber ausführen - nur gespielt, nicht echt, darauf besteht die Nonne Maria - um Ana zu beruhigen, die immer wieder Tote sieht. Schwarze Tote, um genau zu sein. Ana hat noch nie das Haus verlassen. Ein behütetes weißes Mädchen, schon übers Heiratsalter hinaus nach damaligen Maßstäben, das sich nach der Vergangenheit auf dem Landgut sehnt.

Wie diese beiden Familien in die neue Zeit treten, das zeigen Gaetano Gotardo und Marco Dutra in ihrem Film "Todos os mortos" (All die Toten). Es ist ein sehr konventioneller Film, aber darin ist er gut. Die Menschen, die Farben, die Musik, alles ist schön. Das Tempo bedächtig. Alle haben Zeit, vor der Kamera ihre Gedanken zu entwickeln und die Zuschauer zu überraschen. Ein Schauspielerfilm mit hervorragenden Akteuren. Religion spielt eine große Rolle: Mit der Emanzipation der ehemaligen Sklaven geht auch eine Rückbesinnung auf die alten Religionen einher, die verboten waren.

Vielleicht hätten sich die beiden Regisseure nicht so sehr auf das Spirituelle konzentrieren sollen. Oder sie hätten einen echten Geisterfilm machen können. Aber so bleiben die politischen und kulturellen Umbrüche allzu harmlos. Man kommt aus dem Kino, als hätte man zwei Stunden bei einem Kaffeekränzchen verbracht. Es war sehr nett, aber jetzt hätte man gern etwas zu beißen.

Todos os mortos - All the Dead Ones. Regie: Caetano Gotardo, Marco Dutra. Mit Mawusi Tulani, Clarissa Kiste, Carolina Bianchi, Thaia Perez, Agyei Augusto u.a., Brasilien / Frankreich 2020, 120 Minuten (Alle Vorführtermine)