Außer Atem: Das Berlinale Blog

Schiebt die Unmoral nach Bulgarien ab: Danny Boyles "T2 Trainspotting" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
10.02.2017.


Das Beste ist der Anfang: Wie Danny Boyles "Trainspotting"-Original beginnt auch das Sequel "T2" mit einem Lauf, und der Milleniumswechsel sticht einem ins Auge: Hier läuft niemand durch die heruntergekommenen Ecken des abgehängten Schottland, hinter den Drogen her, vor der Polizei davon oder um sein Leben. Wer hier läuft, tut es im Fitness-Center. Wer Drogen nimmt, hält sich Koks oder Amphetamine, jedenfalls an etwas, was die Leistungsfähigkeit steigert. Heroin passt nicht mehr ins Bild, schon gar nicht in die gestochen scharfen Welten des digitalen Kinos. Das Edinburgh des Jahres 2017 ist clean.

Zwanzig Jahre nachdem er seine Kumpane um ihren Anteil aus einem Drogendeal gebracht hat, kehrt Mark Renton aus Amsterdam zurück, wo er sich natürlich nicht ganz so vorbildlich wie geplant rehabilitiert hat. Er kommt sozusagen als "Tourist in seine eigene Jugend" zurück, wie ihn Sick Boy verspottet, der jetzt aber lieber wieder Simon genannt werden möchte, denn er ist als Geschäftsmann im Sauna-Gewerbe tätig. Wenn er nicht - sozusagen aus alter Gewohnheit - Typen mit Nutten-Videos erpresst. Er sinnt auf Rache für den Verrat, will sie aber lieber kalt genießen und nimmt Renton erst einmal bei sich auf. Zusammen erbeuten sie aus der Unterwelt von Edinbugh , was zu holen, mehr allerdings noch aus den Wirtschaftsförderprogrammen der EU. Spud ist als einziger noch auf Smack, er hat die 4.000 Pfund, die ihm Renton in Freundschaft überlassen hatte, denkbar bescheuert auf den Kopf gehauen. Der psychopathische Bigbie schafft es mit seiner unveränderten Mischung aus Brutalität und Wahnsinn, just zur gleichen Zeit aus dem Gefängnis Ihrer Majestät auszubrechen und seinen braven Sohn auf die schiefe Bahn zu zerren.

"Trainspotting" ist vor zwei Wochen in den britischen Kinos gestartet, im Wettbewerb läuft er außer Konkurrenz und gegen eine Woge enttäuschter Kritiken. Tatsächlich gibt es im Film nur wenige lustige Momente, etwa wenn Mark und Simon über die Grenze nach England fahren und einen Laden voller englischer Nationalisten ausnehmen, die sie zuvor selig zum Battle-of-the Boyne-Song von 1690 haben auftanzen lassen: "When the battle was over, there were no more catholics left". Doch selten tut der Witz weh, vieles grenzt an Slapstick, vor allem Ewen Bremner als Spud und Robert Carlyle als Bigbie chargieren. Ewan McGregor dagegen spielt ganz der Heldenrolle verpflichtet ohne jede Selbstironie und mit einer schrecklichen Tendenz zur Sentimentalität. Zu den wirklich deprimierenden Momenten dieses Sequels gehört, dass man fast nur aus Schreck oder aus Nervosität lacht. Die Schock-Momente ergeben sich nicht mehr aus einem unvorstellbaren, aber auch faszinierten Entsetzen, sondern aus schlichter Gewalt.



Wenig ist übrig von dem bitterbösen, schwarzen Humor, der "Trainspotting" zu dem grandiosen Filmhit gemacht hatte. 1996 knallte einem Danny Boyle diese vier verkommenen Typen vor, die an ihrem Rausch festhielten, selbst als ihnen unter den Händen die eigenen Kinder wegstarben. Doch selbst in ihrer ganzen üblen Junkiehaftigkeit waren sie einem sympathischer als die propperen Moralisten im Großbritannien Margaret Thatchers und John Major.

Aber was ist heute übrig von Cool Britannia, das auch mit "Trainspotting" und vor allem mit Ewan McGregor aufzog? Als Kommentar zu dem Land, das New Labour und die Kriege im Irak und Afghanistan hinter sich, James Cameron und Brext, taugt der Film kaum. Natürlich auch, weil er auf Irvine Welshs Roman "Porno" von 2001 beruht. Ewan McGregor setzt seinen Sag-Ja-zum-Leben-Monolog fort, doch was einst gegen den Mainstream und auf Bausparvertrag und Rückengymnastik zielte, gilt jetzt falschen Facebook-Freunden, Verschwörungstheorien und Misogynie. Das ist nicht nur mehrheitsfähig, das ist schon konformistisch. Die Schotten sind geläutert, sie sprechen auch alle schön der Identität wegen mit rollendem Akzent. Und die Unmoral wird ganz Ukip-mäßig mit der Nutte nach Bulgarien abgeschoben.

Trainspotting. Regie: Danny Boyle. Mit Ewan McGregor, Ewen Bremner, Jonny Lee Miller und Robert Carlyle. Großbritannien 2017. 118 Minuten (Vorführtermine)