Außer Atem: Das Berlinale Blog

Lost in Tempelhof: Karim Aïnouz' "Zentralflughafen THF" (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
17.02.2018.


Er werde diesen Tag nie vergessen, an dem er in Berlin angekommen ist, erzählt der Syrer Ibrahim. Es war im Winter, überall in der Stadt strahlte die Weihnachtsbeleuchtung. Was für eine große Freude das war. Ibrahim gehört zu jenen mehreren tausend Flüchtlingen, die im Herbst 2015 im Flughafen Tempelhof untergebracht wurden, diesem Ungetüm von einem Bau, der von Weitem so beeindruckt, aber von Nahem seine unmenschlichen Dimensionen enthüllt. Als Notbehelf sollten diese Unterkünfte dienen, provisorische Schlafkojen wurden in die Hangars gebaut, in denen Flüchtlinge vier bis sechs Wochen bleiben sollten. Ibrahim blieb vierzehn Monate. Auch den Iraker Qutaiba lernen wir kennen. Er hat Medizin studiert, aber keinen Abschluss, der hier anerkannt werden könnte. Er dolmetscht für die Ärzte, kümmert sich um Patienten. Mehr erfahren wir nicht. Über ein Jahr folgt ihn Karim Aïnouz mit seiner Kamera durch ein Leben, das nicht vorankommt, das so energiegeladen und erwartungsvoll in Berlin begann und so brachial ausgebremst wurde. Eigentlich eine hervorragende Idee.

Doch "folgen" ist zu viel gesagt ist. Hin und wieder fängt Aïnouz flüchtige Momente dieses Lebens ein. Vom Nicht-Ankommen, Nicht-Verstehen, Nicht-Weiterkommen. Junge Männer, die sich die Zeit totschlagen, beim Tischtennis oder rauchend vor der Tür. Manche Momente sind unangenehm, etwa wenn ein junger Typ lästert: "Das Scheißessen ist wenigstens besser als Selberkochen." Andere schmerzhaft: Im Deutschkurs sollen die junge Männer, dass sie Bäume fällen, Holz hacken und Feuer machen, damit ihre Frauen dann darauf kochen können. Total vor den Kopf gestoßen erwidert Ibrahim: "Wir sind nicht so. Wir haben Elektrik."



Dazwischen Bilder vom Flughafengebäude aus allen möglichen Perspektiven und vom öden Tempelhofer Feld, auf denen die Berliner so lust- wie freudlos ihre Freizeit verbringen (Die Bilder von den Segway-Fahrern sind Grund genug für ein Zweites Volksbegehren). Monat für Monat. Es regnet, es schneit, die Ärzte rufen zur Grippeimpfung auf. Aïnouz hat sich für die Chronologie entschieden statt für eine Dramaturgie. Ein Thema findet sein Film so wenig wie einen inneren Zusammenhang. Die Bilder stehen verloren und ziemlich ratlos nebeneinander, mal unterlegt mit der Stimme Ibrahims, der die Sehnsucht nach der Heimat beschwören muss, während er über die Rollbahnen streift, mal bedeutungsschwer mit Wagner oder Schubert. Am Ende darf Ibrahim bleiben, er bekommt einen Flüchtlingsstatus für dreieinhalb Jahre. Wie es Qutaiba ergangen ist, erfahren wir nicht.

Zentralflughafen THF. Regie: Karim Aïnouz. Deutschland / Frankreich / Brasilien 2018. 97 Minuten (Vorführtermine)