Außer Atem: Das Berlinale Blog

Schock-Strategie

Von Ekkehard Knörer
05.02.2009. Koreanisches Kino, israelische Filmgeschichte, ein Besuch bei einem chinesischen Landarzt, Heiner Müller bei Theaterproben, eine Hommage an die Schwulenikone Joe Dallesandro und ungemachte Betten: Ein Blick auf die Filme in den Nebenreihen der Berlinale: Forum, Panorama und Generation.
Selbst dem, der sehr genau hinschaut, verschwimmt die Berlinale zusehends vor den Augen. Die scharf profilierten Ränder der Nebenreihen "Forum" und "Panorama" lösen sich auf, die Harmonie, die zwischen den drei Hauptsektionen herrscht, wird von ihren Leitern beschworen. Man darf ihnen, blickt man aufs Programm, inzwischen sogar glauben. Auf breiter Fläche bieten sich da Überschneidungen zwischen dem Wettbewerb und den Nebenreihen, leider trifft sich, was da einander begegnen könnte, mit Vorliebe in jener Mitte, in der viel Platz ist vor allem fürs Mittelmäßige.


Netalie Brauns "Gevald" und Gary Yates' "Highlife"


Forum

So hat das Forum in diesem Jahr dem südkoreanischen Kino einen Schwerpunkt eingerichtet mit gleich fünf Spielfilmen. Auf den ersten Blick sehr erfreulich, weil antizyklisch, denn das Land erlebt nach einem hysterisch erfolgreichen Jahrzehnt gerade mal wieder eine Delle, bei Kinobesuchen wie im internationalen Festival-Blick. Die Aufregung um Kim Ki-duk ("The Isle", "Frühling, Sommer, Winter") ist nach zu vielen Totalausfällen deutlich - und zu Recht - abgeflaut und der wichtigste Autorenfilmer des Landes Hong Sang-soo (mehr hier) zeigte mit "Night and Day" zwar den besten Film des letztjährigen Wettbewerbs, wurde im Meer der Mediokritäten aber leider untergespült.


Lee Yoon-kis "My Dear Enemy" und So Yong Kims "Treeless Mountain"

Leider muss man sich fragen, was das Forum in den diesjährigen Korea-Schwerpunkts-Filmen entdeckt zu haben glaubt. Der beste der vier der fünf Filme, die ich vorab gesehen habe, ist "My Dear Enemy" von Lee Yoon-ki. Der Regisseur darf damit bereits zum dritten Mal im Forum beweisen, dass er zwar handwerklich hoch begabt ist, nur leider wenig zu sagen hat und sein Bemühen um Unterinstrumentierung der Mittel immerzu penetrant überinstrumentiert. Er beginnt "My Dear Enemy" mit einer bravourösen Plansequenz - also einer ungeschnittenen Kamerafahrt, die erst zwei Geschichten antäuscht, um sich dann einer dritten Figur auf die Fersen zu heften, der der Film dann für den Rest seiner Dauer folgt.

Diese Figur betritt, die Kamera auf den Fersen, ein Wettbüro und konfrontiert dort ihren Ex-Lover mit seinen ausstehenden Schulden und begleitet ihn in der Folge durch das Seoul von heute. Eine Liebesgeschichte, eine Gegenwartsdiagnose will Lee hier verschränken und tut es auf allzu durchsichtige Weise. Weil ihm das vielleicht dämmerte, positioniert er seine Kamera Mal für Mal in irgendeinem Hinterhalt. Lässt sie aus Bussen blicken und hinter Sträuchern stehen, verstellt das Sichtfeld und kauert am Boden. Das ist erst seltsam, dann enervierend und es führt auch nirgendwo hin.


Roh Gyeong-Taes "Land of Scarecrows" und Raphael Nadjaris "Geschichte des israelischen Kinos

Sehr gezielt mit der Kamera arbeitet auch der Film "Treeless Mountain" von So Yong Kim. Die Geschichte zweier Schwestern, die wegen der großen Probleme ihrer Mutter mit dem Ehemann erst bei einer Tante, dann bei ihrer Großmutter landen, wird rigoros auf die Gesichter der beiden fokussiert. Alle anderen Figuren kommen eher nur gelegentlich in den Blick. Eine zunächst überzeugende Idee, die freilich je länger, je übler ins Leere läuft: Dem Film fällt zum Schicksal der beiden nur das Nächstliegende ein - und darüber hinaus erleidet man doch irgendwann einen Cuteness-Schock beim Anblick der so überaus bedauernswerten und tapferen Mädchen. Ähnlich überfokussiert ist Lee Suk-Gyungs "The Day After", der über die Midlife-Crisis einer Frau von Herzen wenig über die Klischees Hinausgehendes mitzuteilen hat. Ganz anders, weil denkbar unbescheiden, aber noch weniger erträglich, ist Roh Gyeong-Taes "Land of Scarecrows", der Gender Trouble und Ehefrauen-Casting auf den Philippinen, Kunst und Leere in so pätentiöse wie unverbindliche Bilder packt.


Soda Kazuhiros "Mental"

Andere Schauplätze - und dann doch ein paar Filme, die einzig und allein im Forum laufen können: Viel versprechend klingt Raphael Nadjaris "Geschichte des israelischen Kinos", eine Dokumentation mit vielen Filmausschnitten und Experten-Interviews, die sich - höre ich - zu einem Bild nicht nur des israelischen Films, sondern Israels selbst fügen, das in der Summe nur noch immer mehr neugierig macht auf die Filme und das Land. Eine überaus aufschlussreiche Angelegenheit ist dem Vernehmen nach auch Cong Fengs fast vierstündiger Dokumentar-Film "Doctor Ma's Country Clinic", der nichts anderes tut, als zu beobachten, wer sich im Sprechzimmer eines chinesischen Landarztes einfindet und zuzuhören, was dabei so gesprochen wird. Ebenfalls sehenswert scheint "Mental", eine japanische Doku über eine Irrenanstalt, gedreht von Soda Kazuhiro, der im letztjährigen Wettbewerb den bitteren Wahlkampffilm "Campaign" präsentierte.


Cong Fengs "Doctor Ma's Country Clinic" und Thomas Heises "Material"

Gesehen habe ich "Material" von Thomas Heise, einen Film, der seinem Titel Ehre macht. Das Bildmaterial, das zu sehen ist, hat der neben Volker Koepp wohl wichtigste Post-DDR- Dokumentarfilmer Heise im Lauf der letzten zwanzig Jahre gedreht, ein klarer Schwerpunkt liegt auf den Wende-Geschehnissen. Wir sehen nicht nur Heiner Müller bei Theaterproben, wir sind irgendwann auch mitten drin in den Demonstrationen des Jahrs 1989 und sehen, mit dem Abstand der Zeit und der Kamera Heises vieles doch wie zum ersten Mal. Nicht zuletzt ist "Material" ein Film über eine Revolution, deren Subjekt jedoch nicht eindeutig auszumachen ist.


Panorama

Seinen dreißigsten Geburtstag feiert dieses Jahr das Panorama. Eingeladen zum Mitfeiern ist Joe Dallesandro, Kult-Model der 60er Jahre, Warhol-Morrissey-Darsteller in den Siebzigern und Schwulenikone bis heute. Zu sehen sind Nicole Haeussers Dallesandro-Dokumentarfilm "Little Joe" und ein sehr sehenswertes Frühwerk der grande dame des erotischen feministischen Skandalfilms Catherine Breillat "Tapage Nocturne" (von 1979). Ebenfalls im Programm: ihr jüngstes Werk "Barbe Bleue", eine, wie der Titel verrät, Neuauflage der Blaubartgeschichte.


Nicole Haeussers "Little Joe", Jan Krügers "Rückenwind"

Ebenfalls von größerem Interesse im Panorama sind Lucia Puenzos Zweitling "El nino pez - Das Fischkind" (die Regisseurin war bei uns mit "XXY" in den Kinos vertreten, die grandiose Ines Efron spielt erneut die Hauptrolle), Jan Krügers ebenfalls zweiter Langfilm "Rückenwind" (der gelungen Erstling "Unterwegs" stammt aus dem Jahr 2004), das neuste Werk von Michael Glawogger, die Verfilmung von Josef Haslingers Roman "Das Vaterspiel" und vielleicht - wenn auch aus nicht unbedingt cineastischem Interesse - Michael Winterbottoms Versuch, Naomi Kleins globalisierungskritische Thesen zur "Schock-Strategie" auf die Leinwand zu bringen.


Marco Wilms' "Ein Traum in Erdbeerfolie"


Generation

Unbedingt hinzuweisen ist auch noch auf zwei Filme im gerne als Sache für Spezialisten unterschätzten Kinder- und Jugendprogramm "Generation". Es ist nach der Vorabberichterstattung nicht auszuschließen, dass zwei der spannendsten Filme des ganzen Festivals hier zu sehen sind. Zum einen, als Eröffnungsfilm bereits deutlich exponiert, der nach seinem schönen Erstling "Glue" mit Spannung erwartete und beim Sundance-Festival bereits enthusiastisch aufgenommene Film "Unmade Beds" des Argentiniers Alexis Dos Santos. Er verlässt seine Heimat und erzählt eine Geschichte aus dem Londoner East End von zwei Liebenden, die zwar am selben Ort leben, einander aber nie begegnen. "Afterschool", das Debüt des bei Fertigstellung des Films gerade mal 23jährigen US-Amerikaners Antonio Campos, wird von manchen als erstaunlicher Meisterstreich gefeiert, als brillante Analyse der medialen Lebenswelt der Jugendlichen von heute.


Antonio Campos' "Afterschool"

Mehr werden wir dann im weiteren Verlauf des Festivals vorstellen, besprechen, empfehlen. Wenn Sie Tipps haben, dann schicken Sie die an uns, wir stellen Sie gerne auch auf die Seite oder nutzen Sie die Kommentarfunktion.