Außer Atem: Das Berlinale Blog

Filmische Kartierung des Nachkriegsjapans: Kawashima Yuzo (Forum)

Von Elena Meilicke
09.02.2012.
Es ist fast schon Tradition geworden: seit ein paar Jahren präsentiert das Forum regelmäßig eine kleine Mini-Retro zu einem japanischen Regisseur. 2007 konnte man auf diese Weise Okamoto Kihachis formvollendete Gangster- und Schwertfilme wiederentdecken, im Jahr darauf die "pinku eiga" eines Wakamatsu Koji. 2012 ist die kleine Retrospektive einem fast Vergessenen gewidmet, der im Westen ohnehin nie wirklich bekannt war: Kawashima Yuzo. Kawashima wurde 1918 geboren und begann 1938 als Assistent in den Shochiku-Studios zu arbeiten; ab 1944 drehte er eigene Filme, und zwar genau 51, bevor er 1963 starb. Einen Platz in der japanischen Filmgeschichte hat Kawashima immerhin noch als Mentor von Imamura Shohei, zweifacher Palme-d'Or-Preisträger, der Kawashima als seinen wichtigsten Lehrer bezeichnet.



Das Forum zeigt drei Produktionen aus den 1950er Jahren. Obwohl sehr unterschiedlich, zeichnen alle drei Filme das Bild einer Gesellschaft im Umbruch, ein Land "zwischen gestern und morgen", wie es einer der Filmtitel programmatisch formuliert. "Kino to ashita no aida" (Between Yesterday and Tomorrow) aus dem Jahr 1954 erzählt von einem jungen Mann, der Tabula Rasa macht. Er kündigt seinen Job bei einem Fernsehsender und beendet die Beziehung zur Freundin. Schnell aber wird klar, dass es den totalen Neuanfang nicht geben kann: die selbstbewusste Freundin lässt sich nicht einfach abservieren und die beruflichen Zukunftsentwürfe sind in Wahrheit nichts als Aufräumarbeiten, beschäftigt mit den Überresten eines Krieges, der 1954 eben noch gar nicht lange her ist. So gründet der rastlose Projektemacher zunächst einmal eine Fluggesellschaft, deren Angestellte sich im Laufe des Films allesamt als ehemalige Bomberpiloten entpuppen. Was "Kino to ashita no aida" hier vorführt, ist die Integration einstiger Soldaten ins zivile Nachkriegsjapan – eine Entmilitarisierung qua Unternehmensgründung und Wirtschaftswunder, die im Nachkriegsdeutschland wohl nicht viel anders verlaufen ist. Kaum aber ist die Fluglinie etabliert, zieht der junge Held weiter, um als nächstes versunkene Kriegsschiffe zu bergen. "Kino to ashita no aida" ist in gewisser Weise so fiebrig rastlos wie seine Hauptfigur, halb männerdominierter Fliegerfilm à la Howard Hawks, halb Women's Weepie, mit zwei gegensätzlichen Frauenfiguren, zwischen denen der Protagonist hin- und hergerissen ist. Entscheidende Begegnungen zwischen Mann und Frau spielen dabei immer wieder zu Luft und zu Wasser: Boden unter den Füßen gibt's hier nicht.



Um Drifter und Unstete geht es auch in dem großartigen "Suzaki Paradeisu Akashingo" (Suzaki Paradise: Red Light) aus dem Jahr 1956. Ein junges Paar, arbeitslos und abgebrannt, steht in Tokyo auf einer Brücke und weiß nicht weiter. Sie besteigen wahllos irgendeinen Bus und enden beim Vergnügungsviertel Suzaki, wo sie, Tsutae, Anstellung in einer Bar findet, während er, Yoshiji, als Lieferbursche in einem Nudelrestaurant anheuert. Vor Augen haben dabei beide stets das große Tor, das den Eingang zum Rotlichtbezirk markiert. Doch während dieses in strahlenden Neonlettern das "Paradies" verspricht, befinden sich Tsutae und Yoshiji eher in einer Art Vorhölle: ihre ohnehin schon vergiftete Beziehung droht vollends zu zerbrechen, als Tsutae entscheidet, sich künftig von einem Kunden aushalten zu lassen. Herausragend ist vor allem die Art und Weise, wie "Suzaki Paradeisu Akashingo" die Melancholie und das Phlegma seiner Figuren rein topographisch verhandelt; ins Bild rücken immer wieder Brücken, Schwellen und Übergänge, heterotope Un-Orte, die vom Verharren und nicht-vom-Fleck-kommen des Paares erzählen. Überaus präzise konstruiert, endet "Suzaki Paradeisu Akashingo" schließlich in einer Art Loop, mit Protagonisten, die sich zum Schluss genau dort wiederfinden, wo sie bereits am Anfang standen – zwei Paar zaudernde Füße, die nicht wissen wohin.



Kawashima selbst hat einmal erklärt, dass "Suzaki Paradeisu Akashingo" ihm unter all seinen Filmen der liebste ist; der bekannteste von Kawashimas Filmen ist aber heute sicherlich "Bakumatsu Taiyoden" (The Sun in the Last Days of the Shogunate) von 1957. Bei einer Umfrage zu den besten japanischen Filmen aller Zeiten belegte das Schwankstück, an dessen Drehbuch Imamura Shohei mitgeschrieben hat, immerhin den 5. Platz. Schauplatz ist ein Bordell im Tokyoter Vergnügungsviertel Shinagawa im Jahr 1862, zu einer Zeit also, als das Tokugawa-Shogunat kurz vor dem Zusammenbruch stand und Japan an der Schwelle zur rasanten Modernisierung im Zuge der Meiji-Reformationen. "Bakumatsu Taiyoden" orchestriert eine große Anzahl von Figuren und ineinander verwobenen Erzählsträngen, von denen einige diese politische Situation auch explizit machen: da gibt es unter anderem eine Gruppe von Samurai, die gegen die Präsenz westlicher Ausländer in Japan kämpft und ein Bombenattentat plant; daneben gibt es aber auch zwei Prostituierte, die um Kunden konkurrieren, einen alten Handwerker mit Spielschulden, der seine Tochter ans Bordell verkauft, und einen Liebestod, der auf amüsante Weise schief läuft. Zusammengehalten werden alle diese Stränge durch den Trickster Saheiji (gespielt vom Komödianten Frankie Sakai), der ständig überall seine Finger drin hat und alle Parteien gegeneinander ausspielt. "Bakumatsu Taiyoden" ist eine burleske Komödie, voll derber Körperkomik, rasant und atemlos erzählt. Aber selbst innerhalb dieses historischen Genrestücks mit seinen archetypischen und überzeichneten Figuren entwickelt Kawashima Bezüge zur Gegenwart der späten 1950er Jahre: der Film beginnt mit einer kurzer Rauferei zwischen Samurai und westlichen Ausländern im Jahr 1862, schneidet dann auf um auf das Tokyo des Jahres 1957. Aus dem Off führt eine Stimme in den Film ein, während man japanische Mädchen in weit ausgestellten Röcken mit amerikanischen GI's flanieren sieht. So verknüpft "Bakumatsu Taiyoden" 1862 und 1957, zwei Zeiten des sozialen und politischen Umbruchs, in denen Japans Beziehungen zum Rest der Welt neu ausgehandelt wurden, und komplettiert Kawashimas filmische Kartierung eines Nachkriegsjapan.

Elena Meilicke

"Kino to ashita no aida" (Between Yesterday and Tomorrow). Regie: Kawashima Yuzo. Mit Tsuruta Koji, Tsukoka Yumeji, Awashima Chikage, Shindo Eitaro u.a., Japan 1954, 120 Minuten. (Vorführtermine)
"Suzaki Paradeisu Akashingo" (Suzaki Paradise: Red Light). Regie: Kawashima Yuzo. Mit Aratama Michiyo, Mihashi Tatsuya, Todoroki Yukiko, Ashikawa Izumi u.a., Japan 1956, 81 Minuten. (Vorführtermine)
"Bakumatsu Taiyoden" (The Sun in the Last Days of the Shogunate). Regie: Kawashima Yuzo. Mit Sakai Frankie, Hidari Sachiko, Minamida Yoko, Ishihara Yujiro, Japan 1957, 110 Minuten. (Vorführtermine)