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Auf dem Weg nach Syrien: Rachid Boucharebs 'La Route d'Istanbul' (Panorama)

Von Thekla Dannenberg
16.02.2016. Ein Mädchen aus der belgischen Provinz verliebt sich in einen Muslim und macht sich mit ihm auf den Weg nach Syrien. Die Mutter bekommt hin und wieder eine SMS: Bin in der Türkei. Werde heiraten. Mein Name ist jetzt Oum Sana.


Elisabeth lebt mit ihrer Tochter Elodie in der belgischen Provinz, in einem Haus am See. Die Wintersonne wirft ein recht fahles Licht auf ihr zurückgezogenes, ereignisarmes, aber selbstgewähltes Leben. Wenn sie abends nach der Arbeit als Krankenpflegerin eine Freundin trifft, singt sie mit ihr beim Karaoke Charles Aznavour, in sentimentalem Trotz, aber eigentlich auch recht ratlos: "Il faut savoir coûte que coûte, garder toute sa dignité".

Die zwanzigjährige Elodie weiß dagegen genau, wo es lang geht. Sie hat den Weg zu Gott gefunden, dank Kader, den die Eltern schon lange aus ihrem Haus im Brüsseler Vorort Watermael-Boitsfort rausgeworfen haben. Sie will raus aus der Einsamkeit, raus aus der Uneigentlichkeit, raus aus dem alten und kranken Europa. Beim Sport betet sie heimlich in der Umkleidekabine Richtung Mekka, ins Internet stellt sie Videos, auf denen sie ihre Erweckung dokumentiert. Alhamdulillah.

Ohne dass Elisabeth auch nur ahnt, auf welche Abwege ihre Tochter geraten ist, macht die sich mit Kader auf den Weg nach Syrien. Die Mutter bekommt hin und wieder einen Anruf via Skype oder eine SMS: Bin in Zypern. Bin in der Türkei. Werde heiraten. Mein Name ist jetzt Oum Sana.

Rachid Bouchareb hat seinen Film "La Route d'Istanbul" lange vor den Anschlägen von Brüssel und Paris begonnen, bei ihm zeigen die Behörden noch keinerlei Interesse an jungen Europäern, die sich radikalisiert auf den Weg nach Syrien machen: Solange sie volljährig sind, können sie fahren, wohin sie wollen. Also macht sich Elisabeth selbst auf den Weg, um ihre Tochter aus dem Wahnsinn herauszuholen. Die Grenze zu Syrien, die nicht nur eine geografische Grenze ist, wird sie nicht passieren können. Denn dahinter liegt ein Kriegsgebiet, in dem die Tochter nicht nur eine desorientierte Zwanzigjährige ist, sondern eine fanatisierte Terroristin.

Die belgische Schauspielerin Astrid Whettnall spielt die verzweifelte Mutter mit großer Intensität, immer wieder bricht ihr die raue Stimme weg, dann reißt sie all ihre Kraft zusammen, um das Mädchen wenigstens am Telefon bei der Stange zu halten. Das ist großartiges Schauspiel. Aber wie so oft im Kino des algerisch-französischen Regisseurs Rachid Bouchareb, der in "London River" bereits 2009 - und damals noch im Wettbewerb - von einer Mutter im Kampf um ihre Tochter erzählte, weiß man nicht genau, wohin das führen soll.

La Route d'Istanbul - Road to Istanbul. Regie: Rachid Bouchareb. Mit Astrid Whettnall, Pauline Burlet, Patricia Ide und Abel Jafri. Algerien/Frankreich/Belgien 2016, 97 Minuten (Vorführtermine)