Außer Atem: Das Berlinale Blog

Böse Energie: Adam McKays "Vice" (Wettbewerb)

Von Thekla Dannenberg
11.02.2019.


Lynne Vincent
war eine intelligente und ehrgeizige Frau aus dem kleinen Ort Casper in Wyoming, die sich trotz ihres Studiums in Yale keinen eigenen Erfolg zutraute. Sie heiratete einen intellektuell mittelbegabten, ambitionslosen Mann und hätte ihn beinahe in die Wüste geschickt, wenn ihr nicht eine bessere Idee gekommen wäre: Sie ließ ihn an ihrer Stelle Karriere machen! Sie machte ihn zu einem machtbewussten und gerissenen Politiker, der schließlich der einflussreichste Vizepräsident wurde, unter dem die USA je regiert wurden: Dick Cheney agierte im Hintergrund, meist am Kongress vorbei und mit einer schier unermesslichen Machtfülle ausgestattet, die er sich von ausgewählten Juristen hat zurechtdefinieren lassen. Wenn Lynne und Dick Cheney zusammen in den führenden Zirkeln von Washington auftauchten, strömte ein eisiger Hauch durch den Saal: "Die eine Hälfte fürchtet uns, die andere beneidet uns", stellt Lynne Cheney genussvoll fest.

Adam McKay hasst dieses Power-Couple aus tiefstem Herzen. Er hasst, was Dick Cheney aus der Politik, aus Amerika, aus der Welt gemacht hat. Er verabscheut seine Politik für Konzerne und Superreiche, den Irakkrieg, die Überwachungsgesetze, die Folter-Memoranden, Guantanamo und Abu Ghreib. Das ist die böse Energie, die seinen Film "Vice" vorantreibt. McKay bewundert seinen Gegner auch, sein Cheney kann einiges: Taktieren, organisieren und immer unterm Radar fliegen. Und er beherrscht die Macht des Schweigens. Cheney diskutiert nichts, erklärt nichts, rechtfertigt nichts. Er entscheidet. Dann tritt er mit seinem mächtigen Körper an seinen Chef heran und verlangt Gefolgschaft: "Schalten Sie jetzt Saddam Hussein aus oder nicht? Sie sind der Präsident. Sie sind der Herr des Krieges."

Es gibt viele solcher grandioser Szenen in diesem Film, der Cheneys Aufstieg zum Fürsten der Dunkelheit als groteskes politisches Drama inszeniert, in dem die Realität lächerlicher, schrecklicher und obszöner geworden ist, als jede Fiktion es sein könnte: Welche undemokratischen, verfassungsfeindlichen Gerichte dürfen es denn heute sein?, fragt der Kellner und serviert das Post-9/11-Menü: Folter, Entführung, gezielte Tötung? Kling köstlich, wir nehmen alles. Exzellente Wahl.



Cheney lernte sein politisches Handwerk als Mitarbeiter vom stets aasig grinsenden Donald Rumsfeld, der für Gefälligkeiten keine Dankbarkeit erwartete, sondern eine Gegenleistung. Und immer das Maul halten. Cheney lernt und schweigt. Rumsfeld Fiesheit ist allerdings nicht sein Stil, er bevorzugt den soft touch, die Derbheiten überlässt er lieber Fox News. Schön abgefeimt, wie er sich von George W. Bush bitten lässt, sein Vize zu werden und dabei eine nie dagewesen Machtfülle aushandelt. Wie er Bush als "kinetischen Politiker" umschmeichelt, um sich das öde Tagesgeschäft zu sichern: Bürokratie, Militär, Energie, Außenpolitik. Wie kalt entschlossen er am 11. September die Macht an sich reißt, um das kopflose Washington nach den Angriffen von al-Qaida handlungsfähig zu halten, in seinem Sinne versteht sich.

Christian Bale gibt, mit Hilfe von viel Silikon, seinem Cheney eine machtvolle Statur voller Anziehungskraft, wie aus dunkler Materie. Je ruhiger und verschlossener er wird, umso mehr Energie konzentriert er und umso mehr muss man ihn fürchten. Komplementär dazu gibt Amy Adams ihrer Lynne Cheney etwas Schrilles, Scharfkantiges, aber nicht weniger Entschlossenes.

Zugegeben, Adam McKay kann sich keinen ganz überzeugenden Reim darauf machen, was Cheney antrieb. Aber die Kritik, die er hat einstecken müssen - sein Film sei zu spekulativ, zu wütend, zu fixiert - erscheint ungerecht. Vielleicht war Cheney nicht der Mann ohne Ideologie, allein getrieben vom Willen zur Macht, als den McKay ihn darstellt. Doch zwischen einem Journalismus, der über Donald Trump ins Rasen geraten ist, und dem Hype um "House of Cards", das sich am Zynismus eines Frank Underwood ergötzte, liegt McKay mit seinem semikomischen Psychogramm der Macht nicht ganz neben der Spur. Man hat schon ganz vergessen, wie verheerend die Regierung von George W. Bush und Dick Cheney war. Und im Moment sitzt wieder ein sehr verschwiegener, sehr mächtiger Vizepräsident im Weißen Haus, während der Horrorclown im Oval Office alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Vorwerfen kann man McKay allerdings, dass er mit seinem Film erst jetzt kommt. "Vice" wäre ein ganz anderes Statement gewesen, hätte er diese Attacke auf den mächtigsten Politiker der letzten fünfzig Jahre geritten, als die Welt noch um diese schwarze Sonne kreiste.

Vice. Regie: Adam McKay. Mit Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell, Tyler Perry. USA 2019, 132 Minuten. (Alle Vorführtermine)