Redaktionsblog - Im Ententeich

Die CDU profiliert sich als Anti-Internetpartei

Von Thierry Chervel
27.05.2009.
Die CDU hat sich modernisiert. Sie ist wählbar geworden - auch weil sie gelernt hat, nicht mehr mit potenziell rechtspopulistischen Themen Wähler gewinnen zu wollen. Heilsam war da Roland Kochs Scheitern bei der letzten Hessenwahl. Die Wähler haben ihm seinen Versuch, die gute alte Ausländerfeindlichkeit zu mobilisieren, geradezu übel genommen. Das sitzt. Angela Merkel lässt sich mit derartigem chauvinistischen Piefketum ohnehin nicht identifizieren.

Nun scheint die CDU auf der Suche nach populistischen Themen und Ängsten, die man ausbeuten kann, aber ganz woanders fündig geworden zu sein. Das Internet ist jetzt das Reich des Bösen. Es ist ja ohnehin deprimierend, welche Abgründe in der Diskussion über das Netz zwischen Amerika und dem alten Europa klaffen. In den USA wird das Netz bei allen Problemen - etwa dem Zeitungssterben - als Reich einer neuen Freiheit begrüßt. Im alten Europa ist es das Reich des Bösen. Es untergräbt nicht nur alles Bestehende. Es ist die Sphäre aller dunklen unbeherrschbaren Kräfte in der Gesellschaft. Im Netz findet der Kannibale seine willige Nahrung. Mit treuem Augenaufschlag verlesen die Nachrichtensprecher der Tagesschau über das Netz ausschließlich Nachrichten, die von Kinderpornos, chattenden Amokläufern und bombenbastelnden Terroristen handeln.

Nach Winnenden wurde ein Fake mit angeblichen Internetäußerungen des Amokläufers von Medien und Politikern dankbar aufgegriffen. Als nächstes folgte die übliche Debatte über Gewaltspiele und die lächerliche Idee, Paintballspiele zu verbieten. Dankbar geführte Stellvertreterkriege sind das - sie vermeiden die eigentlichen Frage: Was richten hierzulande eigentlich die Schützenvereine und ihre braven Waffenfreaks an? (Mehr dazu in der Zeit.)

Die CDU hat in den letzten Monaten diese Stimmung systematisch instrumentalisiert.

Es gibt kein dankbareres Thema für einen modernen Populismus als Kinderpornografie und Ursula von der Leyen ist sein attraktiv erneuertes Erscheinungsbild. Auch hier scheint es wichtiger zu sein, das Netz als Sphäre des Bösen zu beschwören, als tatsächlich gegen das Phänomen vorzugehen. Wer heute Kinderpornografie will, dürfte gut beraten sein, das Netz zu meiden und stattdessen an konspirativen Orten Fotos auf Papier zu tauschen. Macht ja nichts: Hier soll ein Sündenbock definiert werden. Früher sagte man "Das Boot ist voll". Heute sagt man: "Wir müssen unsere Kinder schützen".

Politisch hat das zur Folge, dass die CDU in der großen Debatte zwischen Printmedien und Internet fest auf der Seite der etablierten Kräfte steht. "Lieber nicht mit den Nutzern reden und alte Medien fördern", resümiert Robin Meyer-Lucht in dem Blog Carta die Essenz aus einem medienpolitischen Papier der CDU vor der Wahl. Zum Thema Artenschutz für Zeitungen heißt es in dem Papier:

"Eine gemeinsame Aufgabe von Politik und Verlagen besteht darin, verstärkt das Bewusstsein fu?r den Wert und die Relevanz von Zeitungen und Zeitschriften in der Gesellschaft als Kulturgut zu verankern. Dies gilt besonders fu?r die ju?ngere Generation, die aufgrund nachlassender Kontakte zu Printprodukten im familiären Umfeld vor allem u?ber den Weg der Schule an Zeitungen und Zeitschriften herangefu?hrt werden muss."

Bundeskulturminister Bernd Neumann hat gar eine "Nationale Initiative Printmedien" ins Leben gerufen und betreibt sie seit einem Jahr sehr aktiv. Programme werden aufgelegt, damit schon Kinder Zeitung lesen lernen.

Auf einer Rede vor einigen Wochen outete sich Neumann als Don Quichotte: "Nun sagen manche Fachleute, es habe keinen Sinn, sich einem Prozess entgegenstemmen zu wollen, der ohnehin unaufhaltsam sei. Ich denke nicht so."

Nun sollte man nicht verschweigen, dass Neumann auch ein "Netz für Kinder" und einen Preis für Computerspiele ins Leben gerufen hat. Aber er macht auch klar, von woher die moralische Wegweisung kommt: "Printmedien und Internet ergänzen sich: Wer Zeitungen und Zeitschriften liest, geht auch kritischer mit dem Internet um."

Die FAZ macht sich zum Leitorgan der Richtung. Als in Schweden das Urteil gegen Pirate Bay fiel und gleichzeitig Ursula von der Leyen ihren Websperrenplan bekannt machte, zeigte Jasper von Altenbockum auf der Seite 1 der FAZ unter der Überschrift "Pfuhl Internet" grimmige Begeisterung darüber, dass man in Schweden und Deutschland endlich versucht, die "Anarchie des Internets einzudämmen". Kritiker dieser Verfahren halten seiner Ansicht nach das Internet für "eine Tabula rasa, die alles zulässt, was in anderen Medienwelten längst als geschwätzig, dumm oder auch verbrecherisch erkannt, verhindert, geächtet oder geahndet wird". Und im Feuilleton forderte Sandra Kegel am gleichen Tag die Schließung weiterer Adressen. Seien wir gerecht: Auch die angeblich linksliberale Zeit tat sich in den letzten Monaten mit zahlreichen Attacken gegen das Netz hervor.

Aber die FAZ ist wie immer besonders schamlos beim Einsatz der eigenen Zeitung für die eigenen Interessen. Am 13. Mai präsentiert sie auf Seite 1 ein Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Dieter Grimm, der staatliche Hilfen für die Presse forderte und gleich hinzusetzte: "Subventionen kämen nur für Blätter in Frage, welche die Funktion deretwegen man sie erhalten wolle, auch erfüllten." Da deutet sich ein Schulterschluss an: Die Presse macht gute Presse für Politiker, und diese machen gute Politik für die Presse.

Beim "Heidelberger Appell" wurde die FAZ dann ganz direkt. "Unsere Kultur ist in Gefahr", hatte der Literaturwissenschaftler Roland Reuß gedroht, und zwar genau dann, wenn nicht ihre traditionellen Akteure all ihre Ansprüche durchsetzen können. Am 21. April erklärte die FAZ unter dem Titel "Freiheitssache Geist" dann, "was Autoren von der Bundeskanzlerin erwarten". Reuß, Autor des "Heidelberger Appells" gegen das Google Book Settlement und Open Access, hatte seine umfangreiche Unterstützerliste ans Kanzleramt gesandt mit der Erwartung dass Regierung und Abgeordnete "mit derselben Entschiedenheit für die Wahrung des Urheberrechts und die Publikationsfreiheit eintreten wie etwa für die Interessen der Automobilindustrie". In der Liste lag ein "intellektuelles Pfund", inzwischen 2.000 Unterzeichner, von Enzensberger bis Kehlmann.

Die Öffentlichkeit hat sich längst gespalten, Netz- und Medienöffentlichkeit sind nicht identisch. Aber CDU-Politiker führen sich bisher auf wie Leute, die das Internet noch von ihrer Sekretärin bedienen lassen, während sie die FAZ  jeden Tag selber lesen. Mag sein, dass die 100.000 Unterschriften zur Petition gegen die Internetsperren die Politik in bisschen aufgescheucht haben. Auch hier tummelt sich also das Volk und artikuliert seine Interessen. Und für diese Petition brauchte es die traditionellen Turmhüter der Demokratie nicht. Bisher schien die CDU das Internet als Dschungel wahrzunehmen, in den man ungestraft hineinrufen kann, ohne dass es zurückschallt. Nun zeigt sich: Moderne Menschen sollten CDU wählen, außer sie nutzen auch das Internet.

Thierry Chervel