13.12.2010. Was sagt der Umgang mit Wikileaks eigentlich über den Stand der Pressefreiheit in den westlichen Staaten aus? Dazu sind in den letzten Tagen eine Reihe sehr interessanter Artikel erschienen. Zunächst mal geht es um die Frage, ob das Internet geholfen hat, Zensur zu erleichtern oder zu erschweren. Im vorletzten Blogeintrag habe ich James Cowie von der IT-Sicherheitsfirma Renesys zitiert, der in einer sehr lesenswerten Analyse am Beispiel von Wikileaks beschrieb, wie schwer Zensur heute durchsetzbar ist. Für eine so bekannte Seite wie Wikileaks mag das richtig sein, aber für alle anderen?
Was sagt der Umgang mit
Wikileaks eigentlich über den Stand der
Pressefreiheit in den westlichen Staaten aus? Dazu sind in den letzten Tagen eine Reihe sehr interessanter Artikel erschienen. Zunächst mal geht es um die Frage, ob das Internet geholfen hat,
Zensur zu erleichtern oder zu erschweren. Im vorletzten Blogeintrag habe ich
James Cowie von der IT-Sicherheitsfirma
Renesys zitiert, der in einer sehr lesenswerten Analyse am Beispiel von
Wikileaks beschrieb, wie schwer Zensur heute durchsetzbar ist. Für eine so bekannte Seite wie
Wikileaks mag das richtig sein, aber für alle anderen?
Als die Afghanistan-Tagebücher auf
Wikileaks veröffentlicht wurden,
schrieb John Naughton am 1. August 2010 im
Guardian: "Die traurige Wahrheit ist, dass es heute rein praktisch
unglaublich einfach ist, das Web zu zensieren. In den meisten Rechtssystemen muss man nur einen Anwalt bezahlen, der einen
Drohbrief an den Provider schreibt, der die missliebige Seite hostet. Der Brief kann Verleumdung geltend machen oder Urheberrechtsverletzung oder Verletzung der Persönlichkeit oder andere Gründe. Die Details spielen in der Regel keine Rolle. In neun von zehn Fällen wird der Provider die Seite sofort aus dem Netz nehmen - oft ohne sich die Mühe zu machen nachzuprüfen, ob die Beschwerden
irgendeine Berechtigung haben. Der Grund: ein Präzedenzfall, der sogenannte
'demon internet'-Fall, der festlegte, dass ein Provider für die
Schäden haften muss, wenn er auf eine Beschwerde nicht reagiert. Die meisten Provider gehen dieses Risiko nicht ein und ziehen den Stecker. QED."
Die
serbische Piratenpartei musste diese Erfahrung jetzt machen. Ihr
Tweet vom Sonntag: "We finally got a confirmation from @mochahost our account was indeed
suspended because of the
#wikileaks mirror!" Und tatsächlich: die Seite ist
nicht mehr erreichbar.
Auch
Amazon hat die Theorie von Naughton bestätigt: Die Seite von
Wikileaks war in den letzten Monaten massiv
attackiert worden (auf genau die gleiche Art, wie
Anonymous jetzt die Seiten von
Amazon,
PayPal,
Mastercard etc. attackiert). Aus diesem Grund war
Wikileaks mit einem Teil seines Inhalts vom schwedischen Provider
PRQ zu
Amazon gewechselt, das seit 2006 fremde Seiten hostet.
Amazon kündigte jedoch den Vertrag mit
Wikileaks nach Veröffentlichung der Diplomaten-Depeschen mit der Begründung,
Wikileaks verstoße gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Zuvor hatte der amerikanische Senator Joe Lieberman
Druck auf Amazon ausgeübt. Seitdem hat
Cloud Computing keinen guten Namen mehr, wie
John Naughton gestern im
Guardian festhielt.
Auf der Webseite von
CNN warnt Rebecca MacKinnon davor, dass die
Infrastruktur des Netzes von privaten Firmen beherrscht wird. Das, schreibt sie, wirft anlässlich der jüngsten Vorgänge um
Wikileaks ein paar ganz neue Fragen auf: "Wie treffen
private Internet- und Telekommunikationsgesellschaften ihre Entscheidung darüber, welchen Inhalt sie erlauben oder nicht, der die Fähigkeit der Bürger beeinflusst, informierte Debatten zu führen? Wie steht es um die Pflicht und Verantwortung des privaten Sektors, die Erosion der Demokratie zu verhindern? Was
Amazon getan hat, war legal. Aber die
Botschaft, die die Firma nichtsdestotrotz ihren Kunden geschickt hat, lautete: Wenn ihr
kontroversen Inhalt publiziert, der Mitgliedern der amerikanischen Regierung missfällt, dann wird
Amazon - selbst wenn viel dafür spricht, dass ihr nur von eurer verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit Gebrauch macht - euch beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten
fallen lassen."
Warum ist der
Informant, der die Depeschen an
Wikileaks weitergereicht hat, eigentlich nicht zu einer der großen Tageszeitungen wie der
New York Times oder der
Washington Post gegangen - wie
Daniel Ellsberg mit den Pentagon-Papieren oder
Deep Throat mit seinen Informationen über
Watergate - sondern statt dessen zu einer "jungen, kleinen und staatenlosen Internetorganisation",
fragt Eva Sanchis auf der Webseite des amerikanischen Medienkonzerns
McClatchy. "Ein wichtiger Grund ist, dass die Mainstream-Medien der
Bush-Regierung geholfen haben, unter falschen Voraussetzungen in den Irakkrieg zu ziehen. Die
New York Times und die
Washington Post haben sich inzwischen dafür entschuldigt, nicht skeptischer gewesen zu sein."
Auch Emily Bell
hätte es sehr interessiert zu erfahren, wie viele Zeitungen die
Depeschen zurückgegeben oder viel selektiver veröffentlicht hätten. "Es ist eine exzellente Übung für Studenten (und Redakteure) darüber nachzudenken, was sie getan hätten. Man hat den Eindruck, dass viele Korrespondenten über ihre Kontakte zu Diplomaten schon Zugang zu den Depeschen hatten. Warum sonst sind sie so
wenig überrascht über den Inhalt?"
Derweil sucht die amerikanische Justiz nach einem Grund,
Julian Assange in die USA ausliefern zu lassen. Schwierig, denn er hat die Depeschen nicht gestohlen, er hat sie nur veröffentlicht. Dem Versuch, die
NYT nach der Veröffentlichung der
Pentagon-Papiere auf Grundlage des
Spionage-Gesetzes von 1917 anzuklagen, hatte der Oberste Gerichtshof der USA 1971
eine Abfuhr erteilt. Bei Assange dürfte das nicht viel erfolgreicher sein. Mehr haben seine Gegner zur Zeit nicht in der Hand, aber man kann ja nie wissen...
Macht euch nichts vor: Die Angriffe auf
Wikileaks betreffen auch die
alten Medien,
ruft Dan Gilmour in
Salon. "Natürlich haben die
New York Times,
Washington Post und viele andere Zeitungen in den USA und anderen Nationen in der Vergangenheit selbst geheime Dokumente veröffentlicht. Sehr, sehr oft, und ohne Hilfe von
Wikileaks.
Bob Woodward hat
praktisch eine Karriere aus der Veröffentlichung geheimen Materials gemacht. Nach der selben Logik, die die Zensoren und ihre Gefolgsmänner in den Medien haben, müssten und sollten diese Zeitungen und viele andere ebenfalls der Zensur unterworfen werden."
Auch
Stephen M.
Walt stellt sich in
Foreign Policy die Frage, warum eigentlich
Wikileaks und nicht
Bob Woodward attackiert wird. Und er kommt zu dieser Schlussfolgerung: "
Eliten gefällt die Idee, Verantwortung zu tragen, und sie trauen nicht wirklich 'den Menschen', die sie regieren, obwohl diese
ihre Gehälter zahlen und ihre Kriege ausfechten. Eliten gefällt die Vorstellung von Macht und
Insiderstatus: Es macht sie an, Dinge zu wissen, die andere nicht wissen, und es kann so verdammt unbequem werden, wenn die Öffentlichkeit Wind davon bekommt, was unsere 'Besten und Klügsten' tatsächlich tun."
Anja Seeliger