Bevor der Papst im Deutschen Bundestag sprach, saß neben ihm der katholische, geschiedene und wiederverheiratete Bundespräsident Christian Wulff erwartungsvoll auf seinem Stuhl. Dieser hatte sich zuvor öffentlich gewünscht, das Oberhaupt seiner Kirche möge auf die geschiedenen wiederverheirateten Katholiken zukommen, offenbar in der Annahme, der Zeitgeist und die allgemein gelockerten Sitten würden diesem Papst das Herz erweichen. Der Wunsch blieb unerfüllt. Zwar neigte sich Benedikt XVI. in seiner Rede ziemlich gewieft den Grünen zu mit seinem Appell, das Kreatürliche zu achten; Christian Wulff, dem höchsten Amtsträger im Staat, kam er nicht entgegen. Der Katholik aus Osnabrück wurde von der "Sünde", das Sakrament der Ehe gebrochen zu haben, nicht erlöst.

Allein den Wunsch geäußert zu haben, deutete auf Christian Wulffs Gewissensdruck hin. Da der Privatkredit für sein Haus, der ihn dieser Tage in Bedrängnis bringt, im Zusammenhang seiner neuen Liebe, seiner zweiten Ehe, gewährt wurde, ist es nicht abwegig, die versuchte Verheimlichung eben dieses Kredits vor dem niedersächsischen Landtag mit dem Gewissensdruck in Verbindung zu bringen, der ihm aus der Scheidung erwachsen ist. Man könnte geradezu eine Vermischung zweier Gewissenskonflikte vermuten, des "katholischen" und des "politischen" schlechten Gewissens. So gesehen, wohnte die katholische Schuld im Haus der illegitimen Ehe, dessen Finanzierung verschwiegen wurde. Dahinter wiederum lauert der Verdacht politischer Bestechlichkeit, dem ebenfalls etwas Illegitimes anhaftet.

Andererseits hat sich Christian Wulff, wie einst Rudolf Scharping, das Glück der neuen Verbindung mehr als nur ansehen lassen. Er hat sich überwältigen lassen vom erotischen Triumph an der Seite einer erheblich jüngeren Frau; eine sehr menschliche Regung, die aber, da sie öffentlich begierig reproduziert wird, für die zurückgelassene Ehefrau und die Tochter eine Ehrverletzung bedeuten muss. Spätestens seit Wulff als Bundespräsident mit seiner Neu-Ehefrau das Schloss Bellevue bewohnt, werden uns Fotos des küssenden Präsidentenpaares offeriert. Christian Wulff müsste das nicht tun, er will es so. Offenbar hat er seinen männlichen Stolz nicht im Griff.

Die Zeiten, da die "bürgerliche" Gesellschaft die Scheidung eines Politikers bestrafte, sind lange vorbei. Unglückliche Ehen müssen nicht mehr geführt werden um des Anstandes willen. Wer würde das beklagen wollen? Doch so einfach ist es gerade angesichts von Politikerkarrieren nicht, zu denen meistens zwei gehören, ein Mann und eine Frau im Hintergrund. Denn die erste Ehefrau ist in den meisten Fällen jene, die den politischen Aufstieg jahrelang unterstützt, die Mühen der Ebene mit durchschreitet, auf Eigenes verzichtet, die für das Wohl der Kinder sorgt, während der Gatte - wie Christian Wulff im niedersächsischen Wahlkampf - vor der Fernsehkamera das Image des sauberen Familienvaters herauskehrt.

Auch Wulffs Konkurrent ums Präsidentenamt, Joachim Gauck, lebt nach langer Ehe in einer neuen Verbindung, allerdings geschieden ist er nicht. Dem Protestanten wird die Meinung des Papstes ohnehin gleichgültig sein. Ob Gauck als Bundespräsident seine Freundin vor den Kameras der Yellow Press geküsst hätte? Eher nicht. Vermutlich ist das Spiel mit dem Feuer eine Wulff'sche Eigenart, dieses Zündeln an der Repräsentantenrolle.

Hierzu passt auch die Koketterie, mit der Bettina Wulff ihre Oberarm-Tätowierung herzeigte, kaum war ihr im Sommer 2010 die Rolle als First Lady zugefallen. Und der Bundespräsident war sich nicht zu schade, das der Körpersprache der Sträflinge, Seemänner und Landstreicher entliehene Accessoire als "cool" zu bezeichnen. Da hätte er auch gleich sagen können, er fände die geritzte Haut seiner Frau erregend.

Es trifft sich, dass nicht nur der Papst auf seiner Deutschlandtournee den Geschiedenen nicht entgegenkam, sondern dass gleichzeitig ein Buch die Bestsellerlisten stürmte, das sich des Themas "Sex in der Ehe" mit wohlkalkulierter Tabulosigkeit annahm. Charlotte Roches "Schoßgebete", adressiert an ein radikal-libertäres Spießertum, wickeln die pornografische Fantasie gewissermaßen in die Heizdecke eines Ehebettes ein. Darauf turnen ein älterer Mann und eine junge Frau, während der Nachwuchs in der Schule weilt. Dass die Autorin, wie Bettina Wulff, eine Tätowierung auf dem Oberarm trägt, wird niemanden überraschen.

Das Spielchen mit den Medien geht unterdessen weiter. Beziehungsweise ging weiter. Denn was die First Lady vor ein paar Wochen noch im Interview der Bunten anvertraute, würde sie heute wahrscheinlich nicht mehr so unschuldig aufsagen: "Unsere Kinder sind getauft und ich lege Wert darauf, dass sie nach christlichen Werten erzogen werden. Wir beten immer vor dem Abendessen." Sieht man sich die höhnischen online-Leserkommentare an, schwant einem, dass das Beten nicht geholfen hat.