11.04.2013. Das Problem des Spiegels ist keines der Chefredaktion. Es kann im Grunde nur dann in Angriff genommen werden, wenn die Printleute aus der Mitarbeiter-KG die Online-Leute (und auch TV) integrieren.
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Das Problem des Spiegels ist keines der Chefredaktion. Es kann im Grunde nur dann in Angriff genommen werden, wenn die Printleute aus der Mitarbeiter-KG die Online-Leute (und auch TV) integrieren.
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Ursprünglich war
Spiegel Online das Schaufenster des
Spiegels im Netz. Nun soll dieses Schaufenster, das beim Publikum inzwischen erfolgreicher ist als die Printausgabe, verklebt werden und selbst ein Schaufenster bekommen, während das Eigentliche
hinter eine Paywall gesteckt werden soll: Und das soll den
Spiegel retten? Eines kann man sagen: Da hatte
Mathias Müller von Blumencron recht, wenn er sich gegen eine Schranke, die den ganzen von ihm maßgeblich gestalteten Erfolg von
Spon gefährdet, mit Händen und Füßen wehrte.
Spiegel Online, hieß es bisher ja immer, sei immerhin profitabel. Der
Spiegel war das einzige Institut, das frühzeitig eine Online-Entwicklung zuließ. Die anderen setzten ein paar traurige Jungjournalisten mit Werkverträgen in die Garage und sind frühestens vor fünf Jahren wachgeworden. Nun wird gerade der Erfolg des Mediums
Spiegel Online, so scheint es, zum Problem.
Aber so recht Blumencron hatte: Das Dilemma, vor dem Georg Mascolo und er standen, war universell, und es ist bisher noch durch kein einziges Medium gelöst worden. Wie soll man
Journalismus unter digitalen Bedingungen refinanzieren? Die deutschen Medien laufen zur Zeit der von der
New York Times vorgegeben Parole des "
Metered Model" hinterher: Stammnutzer werden hineingezogen und sollen zahlen,
sobald sie angefixt sind. Das mag für die
New York Times tatsächlich funktionieren. Aber die deutschen Medienmanager übersehen in der großartigen Geste, mit der sie das neue Modell propagieren, dass die
New York Times unter ganz anderen Bedingungen agiert als etwa der
Spiegel: Die
New York Times ist eine
globale Medienmarke. Sie hat einen Markt von
Milliarden von Lesern. Der
Spiegel verfügt über einen Resonanzraum von neunzig oder hundert Millionen Personen, wenn man Österreich und die Schweiz mit hineinrechnet.
Kein deutsches Medium wird darum das Metered Model auf sich übertragen können.
Übrigens sind auch die Parolen, die in den Jahren zuvor ausgerufen wurden, inzwischen obsolet. Wer glaubt noch, dass eine
Ipad-App geeignet sei, die Medien zu retten?
Das Dilemma, vor dem die Medien stehen, ist so gut wie unlösbar: Bisher hat noch keiner darauf eine Antwort gefunden. Blumencron und Mascolo zu feuern, ist Augenwischerei – zumal die
eigentlichen Entscheidungen im
Spiegel nicht von den Chefredakteuren, sondern von den Eigentümern und der Geschäftsführung getroffen werden müssen.
Der
Spiegel mag zu den privaten Medien gehören, die à la longue in Deutschland – trotz allem, und auf schrumpfenden Terrain – eine
Überlebenschance haben, aber in der jetzigen Konstruktion wird es nicht funktionieren. Denn dies ist das Symbolische an der Explosion im
Spiegel: Die
Trennung zwischen Print, TV, Online ist zwar
institutionell bombenfest – aber in der Wahrnehmung des Publikums und der Struktur der Öffentlichkeit längst von gestern.
Eigentlich gibt es
nur noch online. Die eigentliche Struktur der Öffentlichkeit ist heute das Internet. Was nicht im Netz ist, ist nicht öffentlich, kann nicht zirkulieren, nicht auf Facebook diskutiert werden.
Print ist eine der abgeleiteten Formen, in denen Inhalte aufbereitet werden können,
TV eine andere. Eine Einsicht, die seit über fünfzehn Jahren im Raum steht, lässt sich nun auch institutionell nicht mehr abwehren: Alle Medien müssen von
der neuen Struktur der Öffentlichkeit her gedacht werden. Die Angsttechnik der Medienkonzerne, die Online an die alten Institute anbauten, statt die neuen Leute von vornhereien als integralen Bestandteil des Unternehmens zu integrieren, rächt sich heute. Die Abteilungen sind getrennt – die Medien haben aber allenfalls dann eine Überlebenschance, wenn sie sich
als ein Gesamtes denken.
Eines der größten Probleme bei den bisher
getrennten Sphären ist, dass sie ihr Wissen nicht aneinender weitergeben. Die Printleute sagen, dass sie nicht auch noch Zeit haben zu twittern (nur eine Formel, um die Schwellenangst zu kaschieren), aber auch die Online-Leute können vom Print natürlich eine Menge lernen: nämlich all das, was Journalismus einmal war und neu werden muss, Streit, Recherche, Inszenierung. Warum haben so wenige Leute aus dem Print die neuen Möglichkeiten einmal ausprobiert? Warum haben die prominentesten Namen nicht Blogs und übertragen den Nimbus des alten Mediums in die neue Sphäre? Und warum sind die Strukturen in den Medien so, dass die
begabtesten Online-Leute zum Print abwandern, so schnell sie können, weil sie es dort gemütlicher haben und sie außerdem noch besser bezahlt werden? Neue Themen müssten online lanciert, im Print vertieft, und dann wieder in Form von Leserpartiziation ans Netz zurückgegeben werden, so dass daraus wieder neue Geschichten im Heft entstehen könen - und so weiter. Neue Geschichten können auch
im Print lanciert werden, als Setzung. Der Inhalt des neuen Heftes muss auch nicht kostenlos hergeschenkt werden - aber von vornherein auf die Resonanz im Netz hin konzipiert werden mit begleitenden Elementen, datenjournalistischen Aufbereitungen, Diskussionen und Nachfragen beim Publikum - die Stoff mobilisieren können für neue Recherchen: kurz eine
neue Euphorie journalistischer Arbeit, die sich aus dem Abenteuer speist.
Obwohl
Spiegel Online – zum großen Teil dank Müller von Blumencrons – das erfolgreichste deutsche Online-Medium ist, erweist sich die Trennung der Sphären beim
Spiegel als
besonders tragisch: Denn nur die Mitarbeiter des Print-
Spiegel stellen die
Mitarbeiter-KG und halten mehr als die Hälfte des Unternehmens. Diese Struktur kann allenfalls dann überleben, wenn die Mitarbeiter-KG auch zu den Mitarbeitern der anderen Unternehmentsteile
geöffnet wird und der
Spiegel mit all seinen Abteilungen als Ganzes agiert. Das heißt, die Print-Leute müssen etwas abgeben. Auch die anderen müssen profitieren können.
Die eigentliche Arbeit kann darum gar nicht von den Chefredakteuren geleistet werden: Es sind vor allem arbeitsrechtliche Fragen und die Frage der Eigentumsstruktur, die beantwortet werden müssen. Der
Spiegel muss den Medienwandel als
interne Revolution vollziehen. Erst dann kann er wieder als ein mächtiges Medium agieren, allerdings vor einem weiterhin unsicheren Hintergrund, in dem die größte Frage – ob es überhaupt ein
Geschäftsmodell für Journalismus gibt – noch längst nicht beantwortet ist.
Thierry Chervel
twitter.com/chervel