Christian Geissler (k)

Wird Zeit, dass wir leben

Geschichte einer exemplarischen Aktion. Roman.
Cover: Wird Zeit, dass wir leben
Verbrecher Verlag, Berlin 2013
ISBN 9783943167191
Gebunden, 357 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Schlosser ist Funktionär der KPD. Bis zu seiner Verhaftung bremst er den Eifer der Genossen im Kampf gegen die Nazis, verweigert die Waffen und pocht auf Disziplin. Die Genossen von der Basis aber wollen kämpfen. Kämpfen bedeutet für sie Lust und Leben. Vor allem für Karo, aber auch für Leo, der noch 1930 zur Polizei geht, aber später begreift, dass er auf der falschen Seite steht. Als ob er mitten im Geschehen steckt, begleitet Geissler seine Figuren durch die Kämpfe vor und nach 1933 und zieht den Leser in die immer noch aktuellen Debatten mit hinein. Mit "balladenhaft-lyrischer Präzision " (Heinrich Böll) erzählt er von Gewalt von oben und Gegenwehr von unten, vom Spannungsverhältnis zwischen Kollektiv und Individuum, zwischen Disziplin und Eigensinn.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.07.2014

Helmut Böttiger hält große Stücke auf Christian Geissler und seinen Versuch einer historischen wie ästhetischen Wahrheitssuche. Er rückt ihn sogar in die Nähe von Peter Weiss. Wie schwer ein solcher Ansatz vor dem Hintergrund der 70er Jahre, dem "deutschen Herbst", ist, wird Böttiger beim Lesen des Romans von 1976 allerdings auch klar. Die Handlung um die Befreiung eines Kommunisten aus Nazihaft spielt in den 20ern und 30ern, erklärt Böttiger und betont die Formbewusstheit der von Geissler versuchten Gesellschaftsdiagnose. Für Böttiger ein wichtiger Unterschied zur üblichen Polit-Prosa. Wie der Autor die Handlung sich aus Kunstgeflecht und poetischer Verdichtung entwickeln lässt, frei von Psychologisierung und Figurenführung, als Blick von unten, hat den Rezensenten schwer beeindruckt. Zumal er im harschen Ton des Ganzen immer etwas Gegenläufiges und Irritierendes erspürt, das die (historischen) Ereignisse unterminiert. Auch als politische Quellenkunde taugt das Buch laut Böttiger gut, weil es Hoffnungen wie Verfehlungen gleichermaßen zeigt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.01.2014

Von einer "erregenden Leseerfahrung" kann Jochen Schimmang berichten, der sich sehr über die im Verbrecher Verlag begonnen Werkausgabe des hartnäckig kommunistischen, aber mit dem sozialistischen Realismus absolut inkompatiblen Christian Geissler freut. Dem Rezensenten will scheinen, dass die Kritik einst weniger vor dem radikalen Inhalt dieses Autors kapitulierte als vor seiner radikalen Ästhetik. "Wird Zeit, dass wir leben" erzählt von einer revolutionären Befreiungsaktion im Hamburg der dreißiger Jahre, wo eine Gruppe von Kommunisten gegen die Stillhaltetaktik ihrer Parteiführung aufbegehrt. Hier sei das Leben nicht Zukunft, sondern "gegenwärtige Praxis", stellt Schimmang fest, die Widersprüche der Zeit ziehen sich so deutlich durch die Figuren wie der Klassen- und Selbsthass des Autors. Aber was den Rezensenten umhaut, sind Geisslers enormer Wille zu Sprache und Form: Eine Mischung aus Argot, klassischem Erzählstil und Dokumentation, sei der Text, dabei jedoch hochmusikalisch und reine Bewegung.