Tom McCarthy

Achteinhalb Millionen

Roman
Cover: Achteinhalb Millionen
Diaphanes Verlag, Berlin 2009
ISBN 9783037340554
Gebunden, 304 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Astrid Sommer. Ein Mann steht zur falschen Zeit am falschen Ort und hat auf einmal zwei Probleme: Was macht man mit einer Abfindung von 8 1/2 Millionen und vor allem: Wie lässt sich ein Leben wieder ins Lot bringen, dem abgeht, was zuvor selbstverständlich war - die Selbstverständlichkeit? Eine Lösung für beides scheint sich aufzutun, als ihn beim Anblick eines Risses in einer fremden Badezimmerwand plötzlich ein immenses Glücksgefühl überkommt: Da war einmal ein identischer Riss und um ihn herum hatte es einen Alltag gegeben, eine Wohnung, einen Ausblick, Gerüche, Klänge. Vor allem aber das Gefühl, lebendig zu sein. Fortan verwendet der namenlose Ich-Erzähler alles darauf, sich diesen Alltag zurückzuholen: Er sucht und kauft ein Haus oder vielmehr einen ganzen Straßenzug, er zeichnet Diagramme, plant Abläufe und lässt eine Unzahl von Personen aufmarschieren, um die aufsässige Wirklichkeit seinen Vorstellungen anzupassen: als Realität zum An- und Ausschalten, Vor- und Zurückspulen, in Endlosschleife, und all dies nur um jenes kurzen Kribbelns der Authentizität willen. Doch es ist nie genug, der Stoff macht süchtig, der Realisierungszwang gerät außer Kontrolle...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.12.2009

Rezensent Milo Rau wird richtig feierlich: Das hier ist ein ganz großes, ein epochales Buch. Mit dem Ausdruck allerhöchster Emphase beschreibt der Rezensent das Unterfangen des Autors, der offenbar der Postmoderne mit den Mitteln der Postmoderne den Garaus macht. Nichts ist mehr wirklich im Kopf des Protagonisten nach einem mysteriösen Unfall, und dann kommt ein proustisches Deja-Vu-Erlebnis, und der Protagonist lässt sich eine blitzhaft erinnerte Vergangenheit in Gestalt eines Hauses nachbauen, die Nichtwirklichkeit als Wirklichkeit, die nicht wirklich wirklich wird. Rau weist mit Begeisterung auch auf weitere Texte McCarthys hin, die gerade übersetzt werden, seine Kunstkritiken etwa oder seinen medientheoretischen Roman "C".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.11.2009

Ebenso beängstigend wie urkomisch fand Rezensent Ulrich Stock diesen Roman über einen Unfall und seine (auch finanziellen) Folgen: dreihundert Seiten, deren Sog den Leser verschlingen würde. Den Plot siedelt Stock zwischen "Semiotik, Dekonstruktion und Psychoanalyse" an, ohne diese aber auch nur mit einem Wort zu erwähnen. "Tangential" sieht Stock auch den alten Don Quijote zu seinem Recht kommen und begegnet einem anagrammatischen Bruchstück von Sancho Pansa. Dann spürt Stock die Begeisterung dieses Autors für das "Querfeldeindenken" der französischen Strukturalisten. Zu seiner Begeisterung verrät "die Leichtigkeit der Sprache" allerdings nichts vom "vertrackten theoretischen Hintergrund des Romans. An dessen Suggestivkraft hat nach Ansicht des Rezensenten auch Übersetzerin Astrid Sommer erheblichen Anteil.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.08.2009

Sehr beeindruckt ist Rezensent Florian Kessler von Tom McCarthys Debütroman "8 1/2 Millionen?, einem ebenso packenden wie komischen und philosophischen "Romanexperiment?. Im Zentrum sieht er einen Mann, der, von einem unbekannten Teil aus der Luft getroffen, ins Koma fällt, mehrere Monate später erwacht und eine Entschädigung von achteinhalb Millionen Pfund erhält. Allerdings fühle sich der Ich-Erzähler seit diesem Unfall nicht mehr echt und beginne, in Inszenierungen mit einem Heer von Schauspielern Alltagssituationen zu simulieren. Das Ganze führt laut Kessler zu immer groteskeren Situationen. Der vom Erzähler in Kauf genommene Schaden seiner Schauspieler und Untergebenen scheint ihm der "böse Zielpunkt? dieses brillanten Romans. "Wer die eigenen Gedanken und Gefühle nicht als authentisch empfindet?, fasst er den Gedanken zusammen, "den kümmern die Sorgen und Schmerzen anderer erst recht nicht.?
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.07.2009

Ein Mann nimmt, auf der Straße unterwegs, Schaden. Am Geiste vor allem, weshalb er fortan die Welt, um ihrer Wirklichkeit habhaft zu werden, nachinszeniert. Für diese Nachinszenierung beschäftigt er einen Gehilfen, was die Angelegenheit, wie der Rezensent Alexander Müller feststellt, mit voller Absicht in die Nähe des Don Quijote rückt. Der Held des Buchs, der namenlos bleibt, strebt in seinem Wahn nach dem Wunder der Transsubstantiation, er engagiert vom Schweigegeld, das er im Zuge des genommenen Schadens erhält, Schauspieler, um sich seine Wirklichkeit selbst zu inszenieren. Das alles klingt, wie der Rezensent zugibt, in der Zusammenfassung nach einer seltsamen Konstruktion, erweise sich aber, wie er versichert, bei der Lektüre als "fesselnd, aberwitzig und philosophisch durchdacht". Großes steht auf dem Spiel: Dinge wie "Kunst und Künstlichkeit" und Fragen der Identität. Bedeutendes steht im Hintergrund: Autoren wie Blanchot und Faulkner und Pynchon. McCarthy selbst aber, so Müller, ist ein Großer, weil er von allem, was in diesem Debüt-Roman steckt, erfreulich wenig Aufhebens macht.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.07.2009

Lavinia Meier-Ewert ist begeistert von diesem ersten auf Deutsch erhältlichen Roman des Briten Tom McCarthy. Sie hält "8 ½ Millionen" für eine gelungene Mischung aus Kunst und Literatur und noch dazu für eine "urkomische". Der "poststrukturalistisch inspirierte" Roman ist in der Ich-Perspektive verfasst und erzählt die Geschichte eines namenlosen Erzählers, der nach einem Unfall sein Gedächtnis verliert und nun auf der Suche nach einem "Dazwischen" ist, in dem er sich einbetten kann, wie die "Nadel in der Rille einer Schallplatte". Angespornt durch ein Deja-vu  beginnt der Ich-Erzähler Orte, Gerüche und Situationen nachzustellen. So erfordert zum Beispiel sein Wunsch nach einem Gefühl der Schwerelosigkeit, dass täglich Leber gebraten wird, gleichzeitig fordert das wiederum eine Putzkolonne, damit die Rohre nicht verstopfen. Und um die Authentizität der Erinnerung noch zu optimieren, müssen auch noch Katzen über das Dach laufen. Dieses Imitieren der Erinnerung werde, manchmal sogar in filmischer Zeitlupenoptik, endlos wiederholt. Dass jeder eine Spur hinterlassen müsse, ist in den Augen der Rezensentin eine der Grundthesen des Romans, die sich freut, dass trotz der Konstruktion der Roman überhaupt nicht spröde wirke.
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