Die Buchmacher

Die Buchmacher

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
16.06.2003. Wie Artemis Fowl seinen Konkurrenten Harry Potter ärgert. Warum das Image von Buchhändlern noch schlechter ist als das von Gewerkschaftsfunktionären. Warum ein Großteil unserer literarischen Kultur nur in unveröffentlichter Form existiert und warum das nicht weiter schlimm ist. Von Hubertus Volmer

Börsenblatt

Gegen den Branchentrend entwickelt sich die Büchergilde Gutenberg in Richtung Turnaround: "Mit einem Umsatz von zuletzt sieben Millionen Euro liegt das Unternehmen etwa gleichauf mit dem Vorjahr. Wichtiger noch aber dürfte ein anderer Trend sein: Der Traditionsbuchclub ist auf dem Weg, den Mitgliederschwund (derzeit zählt man weniger als 130.000 Mitglieder) der vergangenen Jahre zu stoppen - in kleinen Schritten, wie Geschäftsführer Mario Früh betont." 2004 solle die Schere geschlossen werden.

Der dritte Band der "Artemis Fowl"-Serie von Eoin Colfer erscheint in Deutschland am 21. Juni - dem Tag, an dem die englische Originalausgabe des fünften "Harry Potter" auf den Markt kommt. Zufall? Nein: Kalkül. Der Fowl-Verlag List will damit den Potter-Verlag Carlsen ärgern.

Der französische Verlag Flammarion startet im Oktober sein erstes deutsches Programm; dann erscheinen 13 Titel zu den Themen Kunst, Kultur und Lifestyle. "Die Literatur- und Ratgeberschiene des Verlags wird nicht ins Deutsche übersetzt. Seit elf Jahren bedient Flammarion schon Großbritannien und die USA und will dieses Modell - Stärkung einer Marke und die Verwertungskette in einer Hand - nun erweitern: 'Ziel ist es, Bücher zeitgleich in drei Sprachen und in vier Märkten erscheinen zu lassen', sagt Günther Fetzer, der sich mit seinem Büro AIO freiberuflich um die deutschen Titel kümmert."

Im Vergleich zu 2002 in New York sei es auf der BookExpo America, die in diesem Jahr in Los Angeles stattfand, "eher ruhig zugegangen", schreibt das Börsenblatt. "Viele Vertreter aus amerikanischen Verlagen, vor allem Lektoren und Lizenzhändler, fehlten. Dazu mag die Entfernung zwischen New York und Los Angeles beigetragen haben. Ein weiterer Grund: Als Lizenzplattform wird die London Book Fair immer attraktiver - auch für US-Verlage." Bei den Neuerscheinungen im Sachbuch habe sich ein deutlicher Trend abgezeichnet: "Konservative Bücher mit Themen rechts der Mitte werden in den USA verstärkt nachgefragt. Bookspan - das Buchklub-Joint-Venture von Bertelsmann und AOL Time Warner - plant nach Angaben von Publishers Weekly den Start eines konservativen Buchklubs noch in diesem Jahr."

Auf der Meinungsseite erklärt Weltbild-Geschäftsführer Carel Halff, warum das Image der Buchhändler so miserabel ist. In der letzten Allensbach-Prestige-Skala hatten Buchhändler "den allerletzten, nämlich den 18. Platz" belegt - hinter dem "Gewerkschaftsführer auf Platz 17 und noch zwei Plätze hinter den Politikern". "Wer die Zeichen der Zeit sehen will, macht sich Gedanken. Wirtschaft ist nicht zuletzt Psychologie. Wenn die Politik, die Finanzwelt und die Nachwuchskräfte ihren Glauben an die Attraktivität unseres Berufsstands und unserer Branche verlieren, dann haben wir das größte aller denkbaren Probleme. Was kann man tun? (...) Veränderung beginnt im Kopf. Das Bewährte und Gute weiter verfolgen, aber gleichzeitig Neues wagen. Vielleicht etwas mehr Mut und Selbstbewusstsein für schlichte Unterhaltung, ohne immer gleich die große Kultur- oder Bildungsfrage zu stellen. Mehr Mut zu einfach nur nützlichen Büchern, die auch die kleinen Alltagsprobleme der Menschen ernst nehmen. Vielleicht außerdem etwas mehr Glamour, etwas mehr Erfolgsgeschichten (...). Und bitte keine öffentlichen Hotelkostendiskussionen für verarmte Verleger, die ihren unbezahlbar gewordenen Fünf-Sterne-Herbergen in Frankfurt am Main nachweinen."

Eckart Baier beschreibt den Strukturwandel im Versandbuchhandel. "Immer mehr Kunden, die früher den Prospekt eines Buchversenders durchgeblättert haben, klicken heute ins Internet. Die Umsätze der Online-Buchhändler wachsen stetig - 2002 waren es 50 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Und auch die ersten operativen Gewinne werden mittlerweile gemeldet. 'Die großen Zuwächse der Online-Buchhändler gehen natürlich zu Lasten des klassischen Versandbuchhandels'", sagt Christian Russ, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Versandbuchhändler.

Der Schriftsteller Joachim Zelter weist darauf hin, dass ein "Großteil unserer literarischen Kultur" nur in unveröffentlichter Form existiere, "in ungeahnten Reihengräbern zurückgewiesener Manuskripte". "Uwe Wittstock, ehemals Cheflektor bei S. Fischer, nannte vor einiger Zeit im Börsenblatt folgende Zahlen: 'Von 1.500 unverlangt zugesandten Manuskripten konnte, seit ich im S. Fischer Verlag als Lektor arbeite, durchschnittlich eines pro Jahr veröffentlicht werden.'" Zelter bezweifelt, dass die Auswahl der Verlage sinnvoll ist. Joachim Jessen von der Literaturagentur Thomas Schlück wundert sich dagegen, warum es überhaupt eine Diskussion über die unverlangten Manuskripte gibt. "Ach ja, der Autor Joachim Zelter hat ein Buch über die Auswüchse des Literaturbetriebs geschrieben. Und in seinem Roman erzählt uns Zelter, wie es heutzutage zugeht im Literaturbetrieb. Sie wissen schon, volle Möhre Marketing - die Bücher sinnentleert, nur Lug und Trug. (...) Autoren sollten nicht vergessen: Schreiben ist auch Handwerk. Viele Leute können einen Tisch tischlern, aber er ist deshalb noch lange nicht für den Verkauf geeignet. Muss deshalb die Geschichte der Tischlerei neu geschrieben werden?"

Die Osiandersche Buchhandlung im schönen Tübingen ist die erste Buchhandlung mit EU-Öko-Siegel. Geschäftsführer Hermann-Arndt Riethmüller erklärt im Interview mit Luscha Dorner seine Motive für die Umstellung: Kosten-Ersparnis, Umweltschutz und Image-Gründe. "Das Öko-Siegel bringt sicher einen gewissen Image-Gewinn. Aber keine höheren Umsätze. Wir haben ein schönes Schreiben von Bundesumweltminister Jürgen Trittin erhalten, in dem er uns dazu beglückwünscht, dass wir als erste Buchhandlung registriert worden sind. Das liegt bei mir auf dem Schreibtisch. Ich überlege noch, ob ich ihm antworten soll, dass es mich freut, wenn es ihn freut. Dass ich mir davon allerdings nichts kaufen kann und es begrüßen würde, wenn er in Zukunft seine Bücher für das Umweltministerium bei uns bestellte."

Weitere Meldungen: Am 3. Juli beginnt der 6. Literatursommer in Kampen auf Sylt. Der Eugen Ulmer Verlag übernimmt die Reihe "Fachbibliothek Grün" des Parey Verlags. Das Unternehmen Plöger Medien verkauft die Zeitschrift Eselsohr; der Redaktion wurde "aus betriebstechnischen Gründen" zum 30. Juni gekündigt. Die Genossenschaft eBuch hat ihr Eigenkapital erhöht. Die Schweizer Thalia-Tochter Jäggi öffnet im Spätherbst eine Filiale in Thun; noch im September wird eine Filiale in Schaffhausen eröffnet. Der Arena Verlag und der Hörbuchverlag Igel-Records starten im Juli ein Kinder-Hörbuchprogramm. Mit Jugendbuch-Erfolgen im Taschenbuch und einem Hardcover-Kinderkrimi von Amelie Fried und Peter Probst will Heyne jüngere Zielgruppen an sich binden.

Außerdem beklagt Boris Langendorf, dass die Umsätze trotz sinkender Buchpreise zurückgehen (zu einem anderen Ergebnis kommt der buchreport; siehe dort). Allerdings gebe es schon wieder Hinweise, dass die Phase der rückläufigen Buchpreise sich ihren Ende nähere. "Das ist gut so. Denn wenn erkennbar ist, dass es nichts bringt, dem Geiz nachzulaufen, konzentrieren wir uns vielleicht doch wieder mehr auf die Aufwertung der Ware Buch und die Positionierung des Lesens als anspruchsvolle Lifestyle-Variante. In Abwandlung eines bekannten Slogans nach dem Motto: 'Geist ist geil'." Dann widmet Andreas Lorenz sich Sportlerbüchern, die in den USA preisverdächtig seien und hierzulande eher ein Schattendasein führten. Das Börsenblatt druckt ferner die Dankesrede der Kerr-Preisträgerin Felicitas von Lovenberg ab. Uwe Ebbinghaus schreibt über "Rausch", den ersten ins Deutsche übersetzten Roman von John Griesemer (marebuchverlag). Und Nils Kahlefendt hat das Buchhändlerpaar Susanne Dagen und Michael Bormann in Dresden besucht. Die Buchhändler und auch ihr Buchhaus Loschwitz haben Kahlefendt offenbar ausnehmend gut gefallen: In Dresden-Loschwitz scheine "etwas zu existieren, was in den handelsüblichen Survival-Kits der Betriebsberater selten vorkommt, sich nicht in Buchumschlagzeiten und A-B-C-Analysen messen lässt. Mut? Selbstvertrauen? Geduld? 'Gestern', lacht Michael Bormann, 'haben wir einen Italo Svevo aus unserer Erstausstattung verkauft. Der war uns schon richtig ans Herz gewachsen.'"
Archiv: Börsenblatt

buchreport.express

Die Novitäten der Herbstprogramme brauchen "viel Marketing-Power", titelt der buchreport. "Nur starke Impulse können die Kaufverweigerung der Konsumenten aufbrechen und Neugier wecken. (...) In ihren Werbehinweisen sind die Verlage bisher jedoch kaum über die Ankündigung von Anzeigen (die oft genug im letzten Augenblick den allgemeinen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen) sowie langweiligen Streifenplakaten und Deckenaufhängern hinausgekommen. Abgerundete, ausgefeilte Kampagnen, die punktgenau auf einzelne Titel zugeschnitten sind, gibt es kaum."

Zum zweiten Mal in Folge bilanziert der Buchhandel am Ende eines Monats ein Umsatzplus: "Nach +5,10 Prozent im April verzeichnen die Buchhändler im Mai immerhin +2,95 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Aufeinanderfolgen zweier Monate mit positiver Umsatzentwicklung hat in der Trendstatistik derzeit Seltenheitswert: Zum letzten Mal gelang den Buchhändlern in März und April 2001 ein solcher positiver Doppelschlag." Das Ergebnis sei jedoch weit weniger erfreulich, als es zunächst den Anschein habe: Vor allem zwei zusätzliche Verkaufstage seien für die Umsatzentwicklung verantwortlich.

Der buchreport lobt Elke Heidenreichs zweite "Lesen!"-Sendung. "Die Wahl des Gastes war ebenso mutig wie klug. Heidenreich holte sich Marcel Reich-Ranicki, den Übervater des Literaturfernsehens, in die Sendung, umarmte damit den, an dem sie trotz des völlig anderen Ansatzes unweigerlich gemessen wird, und nahm gleichzeitig den Kritikern den Wind aus den Segeln". Die Verlage hatten sich vorbereitet; Diogenes etwa hatte die "Idioten" von Jakob Arjouni nachdrucken lassen. "Völlig berechenbar ist der Erfolg allerdings nicht: 'Leider hat Frau Heidenreich Aubs "Die besten Absichten" mehr ins Licht gerückt als "Bittere Mandeln", auf das wir eigentlich eingestellt waren. Jetzt sind "Die besten Absichten" schon vergriffen', klagte Eichborn-Vertriebsfrau Sigrid Schmitt am Tage nach der Sendung."

Auch in den USA und in Großbritannien sorgt der neue "Harry Potter" im Buchhandel für Ärger: Die US-Buchhändler befürchten Lieferengpässe. "Während der BookExpo America in Los Angeles machte die Runde, dass Scholastic problemlos Vorbestellungen für über 16 Millionen Bücher hätte entgegennehmen können." Tatsächlich werden 8,5 Millionen Exemplare an den US-Buchhandel ausgeliefert. Derweil sind die unabhängigen britischen Buchhändler sauer, "weil sie mit den Preisabschlägen der großen Buchketten und Supermärkte nicht mithalten können".

Weitere Meldungen: Das Resümee des ersten langen Samstags nach dem neuen Ladenschlussgesetz entspricht den Erwartungen: "Profitiert haben vornehmlich Innenstädte - mit ihren Kaufhäusern und Handelsketten - und Shoppingcenter." Die 17 Amadeus-Filialen, die Thalia aus der Libro-Konkursmasse übernommen hat, sollen bis Weihnachten modernisiert werden; Termine für Neueröffnungen sollen in "absehbarer Zeit" genannt werden. Arnold R. Bahlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung von BertelsmannSpringer, verlässt die Fachinformationsgruppe zum 30. Juni und scheidet zugleich aus dem Vorstand der Bertelsmann AG aus. Die Stadt Nürnberg bekommt noch in diesem Jahr ein Literaturhaus. Die Buchverlage des Medienkonzern AOL Time Warner werden nicht verkauft; der anvisierte Kaufpreis von mindestens 400 Millionen Dollar sei nicht zu realisieren gewesen.

Außerdem gibt der buchreport auf zwölfeinhalb Seiten einen Überblick über die Herbstprogramme. Der kann hier leider nicht präsentiert werden.

Schließlich: die Bestsellerlisten.