Die Buchmacher

Print ist tot

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
18.02.2008. Warum die gedruckte Enzyklopädie Geschichte ist. Weshalb HarperCollins Bestseller verschenkt. Wieso Ratgeber nicht unter der Internet-Konkurrenz leiden. Und wer keine Lust mehr auf Untergangsszenarien und Nullsummenspiele hat.

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Was in der Branche seit langem gemunkelt wurde, hat Brockhaus nun bestätigt: Die 2005 neu aufgelegte, sündhaft teure Brockhaus Enzyklopädie (2670 Euro für 24.500 Seiten) ist offenbar ein Ladenhüter, und die Mannheimer machen dadurch Verluste. Wie buchreport berichtet, geht zum 14. April das kostenlose Portal "Brockhaus online" mit allen Enzyklopädie-Inhalten an den Start, im Vertrauen auf ein Erlösmodell, das auf Werbeeinnahmen basiert. 2007 seien die Umsatzziele laut Verlag deutlich verfehlt worden, dies führe zu Millionen-Verlusten. Konsequenz: Von den insgesamt 450 Stellen der Verlagsgruppe, die Sitze in Mannheim, Leipzig, Frankfurt, Dortmund und Weingarten unterhält, sollen 50 gestrichen werden; die Brockhaus-Redaktion in Leipzig werde im Rahmen "massiver Investitionen" in den neuen Auftritt in eine reine Online-Redaktion umgewandelt, das ganze unter der Leitung der Journalistin Sigrun Albert (früher Redaktionsleiterin von brigitte.de - na, das passt ja gut zusammen); somit ist die gedruckte Enzyklopädie, die 2005 mit einem marketingetat von fünf Millionen Euro angeschoben wurde, Geschichte. Eigentümliche Koinzidenz der Ereignisse: Am selben Tag, an dem Brockhaus das enzyklopädische Scheitern verkündete, starteten die Bertelsmann-Tochter Wissen Media und die Spiegel-Gruppe das Portal "Spiegel Wissen" (hier), das neben zahlreichen eigenen Substanzen auch Inhalte der Wikipedia nutzt. Im Kommentar schreibt Chefredakteur Thomas Wilking, dass es bei Brockhaus Online "um die nackte Überlebensprüfung einer lange konkurrenzlosen bildungsbürgerlichen Institution" geht.


Weiteres Schwerpunktthema: der rationale Warenbezug in der Branche. Die Gesellschafter-Buchhandlungen der Arbeitsgemeinschaft Marketing (AGM) testen ein neues Modell, mit dem sie sich in das Zentrallager der marktführenden DBH-Gruppe (u.a. Weltbild und Hugendubel) einklinken und außerdem den Dienstleister Libri stärker einbinden - 3500 Top-Titel würden damit für die AGM-Buchhandlungen von der DBH mit eingekauft und von dem von Libri organisierten Zentrallager in Bad Hersfeld ausgeliefert. Von der Rationalisierungsbegründung, so buchreport, weise das Modell viele Parallelen zum Anabel-Modell der eBuch-Genossenschaft auf (hier der Artikel).

Während der Börsenverein noch an Modellen zum Vertrieb von digitalen Büchern feilt, setzen US-Verlage neue Maßstäbe: Random House testet nach einem Bericht von buchreport (unter Berufung auf einen Artikel in der New York Times) den kapitelweisen Verkauf von Büchern (hier), HarperCollins stellt ganze Bücher (u.a. von Paulo Coelho und Neil Gaiman) für einen begrenzten Zeitraum komplett ins Netz (hier) - in der Hoffnung, dass dies Appetit auf die Printausgabe macht. Damit folgten die Publikumsverlage einerseits Verlagen wie O?Reilly (USA) oder Enaudi (Italien), die schon vor Jahren ähnliche Modelle verfolgt hätten, andererseits der Musikindustrie, in der zuletzt beispielsweise Radiohead neue Vertriebsformen (Hörer konnten Preis für Download selbst bestimmen) testete.

Weitere Themen: Die Verwertungsgesellschaft Wort gewinnt den Prozess um Multifunktionsgeräte. Amazon verschärft die Bedingungen für Kunden-Rezensionen. Fnac plant weitere fünf Medienkaufhäuser in der Deutschschweiz. Hier das Inhaltsverzeichnis und hier die Bestsellerlisten.

Börsenblatt

Torsten Hilt, Marketing- und Vertriebschef des Humboldt-Verlags, erklärt im Gastkommentar, dass für Ratgeber - anders als Reiseatlanten - mit dem Internet keine übermächtige Konkurrenz herangewachsen ist. Zwar schienen die zur Verfügung stehenden Informationen im Netz schier unendlich zu sein. Genau darin liege jedoch auch eine Schwachstelle des Internets. "Denn dem Buch als Ratgeber gehen wertvolle Arbeitsschritte voraus, die ich im Netz selbst leisten muss: Inhalte sichten, nach Qualität sortieren und das Gute und Richtige in eine möglichst logische oder verständliche Reihenfolge bringen. Vom Ausdrucken ganz zu schweigen." Verlagsmarken gäben Orientierung und schafften Vertrauen. "So sorgt die Konkurrenz Internet letztlich für eine Qualitätsverbesserung der Ratgeber im Buchformat"


Im Heft dreht das Börsenblatt den Tod der gedruckten Brockhaus-Enzyklopädie nach - den die Frankfurter vorbildlich und an vorderster Front im Internet durchleuchtet hatten: Hier das Interview mit Bifab-Vorstand Marion Winkenbach und Online-Redaktionsleiterin Sigrun Albert über die neue Online-Strategie von Brockhaus.

Nachdem Random House-Chef Joerg Pfuhl im letzten Heft für einen Kompromiss im Streit um eine angemessene-Übersetzervergütung geworben hat, sammelt das Börsenblatt Stimmen aus dem eigenen Online-Forum. So erkennt der Übersetzer Andreas Tretner in den Eckpunkten des neuen Verlegervorschlags (laufende Beteiligung beim Hardcover ab 5000 Exemplare 0,5 Prozent bis 1 Prozent ab 15.000 Exemplaren; Taschenbuch: 0,25 Prozent ab 10.000 bis 0,5 Prozent ab 30.000), dass "ein ernsthaftes Interesse an einvernehmlicher Lösung besteht". Nachteile hätten jedoch Übersetzer anspruchsvoller Hochliteratur sowie spezieller Sachbücher, für die die Schwelle von 5000 verkauften Exemplaren - hinter der eine Erfolgsbeteiligung als einziger Zugewinn in Aussicht stünde - deutlich zu hoch sei. Suhrkamp-Lektorin Katharina Raabe mahnt, dass "bereits erreichte und zäh erkämpfte Bedingungen für literarische Übersetzer" nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfen. Bevor ein BGH Präzedenzfälle schaffe, sollten Verlage und Übersetzer verhandeln, "mit Geduld und Phantasie Spielräume ausloten − unter Anerkennung ihrer kategorialen Ungleichheit." Kein Verlag könne einem Übersetzer Verdienstsicherheit verschaffen, Übersetzer arbeiteten umgekehrt unter Bedingungen, die sich "vermutlich kaum ein Lektor, geschweige denn ein Konzerngeschäftsführer freiweillig zumuten würde." Fazit: "Schluß mit den Untergangsszenarien, Nullsummenspielen, maßlosen Forderungen, Drohungen!"

Autor csch begrüßt die Kooperation der in der AG Marketing (AGM) organisierten Buchhandlungen mit dem Hugendubel-Zentrallager beim Einkauf gängiger Titel - die Zusammenarbeit soll Kosten senken. Die sei eine "clevere Option". "Denn gewinnen können alle: Dann, wenn am Ende des Tages tatsächlich mehr Bücher verkauft worden sind."

Weitere Themen: Nils Kahlefendt schickt einen Vorbericht zur Leipziger Buchmesse, die mit 1900 Veranstaltungen und 1500 Autoren aufwartet. Wolf D.v. Lucius gratuliert dem Verleger Michael Klett zum 70.. Thomas Glavinic stellt seine Lieblingsbuchhandlung Phil in Wien vor. Carolina Lehmkuhl (Chefin Aufbau Media) und Bettina Gries (Story House Productions) erläutern das Geschäft mit dem Verkauf von Filmrechten. Hier das Inhaltsverzeichnis.
 
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