Die Buchmacher

Einschussloch der Erinnerung

Ein Blick in die Branchenblätter der Buch- und Verlagswelt. Jeden Montag ab 12 Uhr.
03.03.2008. Warum Daniel Cohn-Bendit "Die Wohlgesinnten" drei Mal gegen die Wand geworfen hat. Wie beliebt Buchhändler sind. Warum sich die Filialisierung im Buchhandel nicht verlangsamt. Und was Götz Aly bei seiner Recherche zu seinem Buch "Unser Kampf" besonders überrascht hat.

Börsenblatt

Wolfgang Schneider war für das Börsenblatt beim Auftritt von Jonathan Littell ("Die Wohlgesinnten") im ausverkauften Berliner Ensemble dabei, wo das gesamte literarische Berlin und zwei Drittel der deutschen Literaturkritik anwesend gewesen seien, um den Autor im Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit zu erleben. Schneider gibt (nur in der Online-Ausgabe, hier) ein paar nette Momentaufnahmen: Dass Cohn-Bendit bekannt habe, den Roman wegen seiner schwer erträglichen Grausamkeiten während der Lektüre dreimal gegen die Wand geworfen zu haben. Dass Littell leider von Cohn-Bendit kaum mit den massiven Vorwürfen, die von deutschen Kritikern gegen den Roman erhoben wurden, konfrontiert wurde. "Immerhin stellte er die Kitsch-Frage. Littell antwortete, dass der SS - ungeachtet ihres massenmörderischen Charakters - durchaus selbst Züge des Kitsches eigen gewesen seien: ,Bürger in schwarzer Lederkluft mit Totenköpfen'." Und dass, besonders hübsch, Cohn-Bendit sich zu oft in "umständlichen Ad-hoc-Interpretationen" verloren habe: "Ob jener Kopfdurchschuss, den Aue in Stalingrad erhält, womöglich das Loch der Erinnerung repräsentiere, an dem die Deutschen nach dem Krieg litten? Eine schöne Interpretation, entgegnete Littell ebenso knapp wie freundlich."

Im Kommentar erklärt Börsenvereins-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis, warum Bildung und Wissen nach Beschluss des Vorstandes für die nächsten Jahre Schwerpunkt der Arbeit in der gesamten Börsenvereinsgruppe werden sollen. "Weil erstens unser buchhändlerischer Nachwuchs unsere Zukunft ist. Und weil wir zweitens in Sachen Bildung und Wissen eine Schlüsselbranche sind. Wir erschließen die Quellen, von denen unsere Gesellschaft lebt." Möglicherweise werde der Verband mit einem Bildungs- und Wissenspreis und/oder einem Symposion "ein Signal des Anspruchs unserer Branche auf Meinungsführerschaft" setzen. "Wir können damit weiteres Gewicht in Politik und Gesellschaft erlangen und eine Versachlichung in der Diskussion um das Buch, um Inhalte im digitalen Zeitalter erreichen. Nutzen wir diese Chance! Noch eine käme vielleicht nicht."

"Ignorieren und weiterarbeiten", schlägt Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir mit Blick auf die jüngste Erhebung des Instituts für Demoskopie in Allensbach vor, nach der der Beruf des Buchhändlers nach wie vor am Ende der Berufsprestige-Skala steht. Während Ärzte (78 Prozent der Bevölkerung haben Hochachtung), Pfarrers (39 Prozent) und Hochschulprofessoren (34 Prozent) das Ranking anführen, sind Buchhändler das Schlusslicht unter den 17 abgefragten Berufen (hier die Meldung).

Zum 1. Juli wollen Elisabeth Raabe und Regina Vitali die Arche Literatur Verlag AG an die Verlagsgruppe Oetinger verkaufen; Verlagsleiter wird der bisherige marebuch-Verleger Nikolaus Hansen, der auch Minderheitsgesellschafter der Verlage ist (hier die Meldung). Im Interview erklärt Hansen: "Der eine (Verlag), Atrium, hat seine Mitte noch nicht ganz gefunden, der andere, Arche, muss aufbauend auf der erfolgreichen Arbeit von Elisabeth Raabe und Regina Vitali weiterentwickelt werden." Vom marebuchverlag werde er möglicherweise Denis Scheck als Herausgeber mitbringen, außerdem folge der Lektor Tim Jung.

Weitere Themen: Die Buchhandlung Rupprecht mit Stammsitz im oberpfälzischen Vohenstrauß eröffnet im Sommer eine 1700 Quadratmeter große Buchhandlung in Erlangen. Volkhard Bode zeigt, welche Vorteile Vertriebsallianzen bei Verlagen (z.B. des Aufbau-Verlags mit den Vemag-Verlagen Fackelträger und Boje) haben. Stephan Eppinger erklärt, wie wichtig die Beleuchtung im Sortiment ist ("Bloß keine diffuse Lichtsuppe!"). Holger Heimann porträtiert den Kerr-Preisträger Burkhard Müller (Süddeutsche Zeitung). Den Fragebogen hat der eigentümliche Verleger Volker Oppmann ausgefüllt (der Verlag heißt Onkel & Onkel; der Verleger "kultiviert (...) Topfpflanzen und bunte Papierberge"). Hier das Inhaltsverzeichnis.
Archiv: Börsenblatt

buchreport.express

Schwerpunktthema im buchreport ist in dieser Woche die Erhebung der 50 größten Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (hier die Zusammenfassung). Dabei zeige sich das Bild vom Elefantenrennen: "Zwei große Filialgruppen wachsen um die Wette und vergrößern den Abstand zum übrigen Markt": Thalia, die Buchhandelssparte der Douglas AG, habe die von Hugendubel und Weltbild gegründete DBH-Gruppe 2007 vom Spitzenplatz verdrängt; zusammen kämen die beiden marktführenden Gruppen mittlerweile auf einen Bruttoumsatz von 1,5 Milliarden Euro - knapp ein Viertel des deutschsprachigen Sortimentsumsatzes. Eine Verlangsamung der Filialisierung, so buchreport, sei auch für das laufende Jahr nicht in Sicht: Für die DBH stehe in Kürze die Entscheidung des Bundeskartellamts an, ob sie wie geplant gut 52 Karstadt-Buchabteilungen übernehmen dürfe (geschätztes Umsatzvolumen 40 bis 50 Millionen Euro); für 2008 seien bereits jetzt 45.000 Quadratmeter an neuen Flächen von Filialisten projektiert.

Auch buchreport geht auf die Allensbacher Buchhandelsklatsche ein. "Es ist schön, dass sie überhaupt noch in der Liste von 17 Berufen vertreten sind, aber ihr Ansehen scheint inzwischen kaum mehr messbar", schreibt IS über die Buchhändler. Und führt aus: "Das verwundert nicht: Für die Masse der Bevölkerung sind die Buchhändler nur noch Kassierer in einer gesichtslosen Filiale."

Im buchreport.magazin gibt Till Spielmann einen Überblick über die Neuerscheinungen zum 40. Jahrestag der 1968er Revolte. Und führt ein kurzes Interview mit Götz Aly ("Unser Kampf"), der seine Kernthese zusammenfasst: "Im Hang der 68er zum gesellschaftssanitären Utopismus, zur Änderung der gesamten Gesellschaftsordnung, in ihrer Verachtung des Parlamentarismus und des Kompromisses spiegelte sich - in linkssozialistischer oder maoistischer Weise verdreht - das totalitäre Denken der Elterngeneration. "Welche Erkenntnis ihn bei seiner Recherche besonders überrascht habe? Aly: "Die Bundesregierung nahm den Aufstand der studentischen Jugend außerordentlich ernst." Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger habe sich ausgezeichnete Ratgeber wie Max Horkheimer geholt, nach dem Tod von Benno Ohnesorg das Gespräch mit Rudi Dutschke sowie nach dem Dutschke-Attentat das Gespräch mit den Führern des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds gesucht. "Beide Male lehnten die Angesprochenen das Gesprächsangebot harsch ab."

Ein weiteres Topthema sind die neuen Internetprojekte von Reise-Verlagen wie MairDumont und TravelhouseMedia (Ganske-Gruppe). So sei die MairDumont-Internetplattform Marcopolo.de zum Jahresanfang kräftig aufgerüstet worden: Interaktive Karten, Hinweise auf internationale Events sowie Bilder und Videos von Usern sollen das Portal in den kommenden Wochen und Monaten weiter zu einem Anlaufpunkt für die Reise- und Freizeitcommunity wachsen lassen (hier der Artikel).

Weitere Themen: Die Karl-Marx-Buchhandlung in Berlin schließt mangels Laufkundschaft. Die Plagiatsklage gegen "Tannöd" (Edition Nautilus) steht vor dem Scheitern. Random House Audio verzichtet in den USA auf DRM-Kopierschutz. Hier das Inhaltsverzeichnis und hier die Bestsellerlisten.