Das wieder sehr lesenswerte Monatsheft des
buchreport steht ganz im Zeichen des aktuellen Rankings
"Die 100 größten Buchhandlungen". Einige Ergebnisse dieses Rankings sind im
buchreport.express nachzulesen (siehe dort). Das Ranking selbst gibt es
hier. In einem Kommentar schreibt
Bodo Harenberg: "Die Häutung des stationären Buchhandels in den letzten zwei Jahrzehnten ist für viele nur unter Aufbietung aller persönlichen Kräfte, Ausschöpfung aller Ressourcen und meist mit hohen Krediten möglich gewesen. Parallel dazu sind die Umsätze des Handels dauerhaft zurückgegangen, die Kosten jedoch kontinuierlich gestiegen. Wenn der Buchhandel trotzdem - gemessen an anderen Einzelhandelsbranchen - bis dato von Übernahmen, Geschäftsaufgaben und Insolvenzen weitgehend verschont geblieben ist, so geht der Erhalt vieler Standorte auf den
Schutz durch die Preisbindung zurück. Sie erspart den ruinösen Rabattkrieg und gewährt zwar keineswegs üppige, aber doch weiterhin auskömmliche Margen und ermöglichte auch Modernisierung und Flächenwachstum des Buchhandels."
Unter den "100 größten Buchhandlungen" steht
Thalia nach wie vor auf
Platz 1. In einem "absoluten Ranking" - also bei Berücksichtigung aller Vertriebswege - käme Thalia dagegen nur auf Platz 4 (hinter
Weltbild, dem
Bertelsmann Club und
Amazon.de). Im Interview mit dem
buchreport weisen die beiden Thalia-Geschäftsführer,
Jürgen Könnecke und
Michael Busch, darauf hin, dass die Gruppe weiter wachsen will: durch Filialerweiterungen, Neueröffnungen und Übernahmen. Könnecke glaubt nicht, dass der Filialbuchhandel an seine Expansionsgrenzen gestoßen ist, "auch wenn es einige regionale Marktführer gibt, die sehr starke Positionen innehaben". In einigen Punkten orientiert sich die
Douglas-Tochter offenbar an der Strategie der Parfümerien: "Ein kleiner Verlag, der selbst vielleicht nicht die Kraft für eine eigene Marketingaktion hat, kann mit einem großen Partner und dessen Marktkraft mehr erreichen, als es bisher für ihn möglich war", sagt Busch. "Nehmen wir im Parfümbereich das
Beispiel Douglas: Der Kunde kauft nicht ein Parfüm bei Douglas, sondern der Kunde geht zu Douglas und kauft dort ein Parfüm. Wir sind der festen Überzeugung, dass Thalia in der Perspektive eine ähnliche Markenkraft in Deutschland gewinnen kann." Das Angebot der Tochter
buch.de sei "ein langfristiger Bestandteil der Marktbearbeitungsstrategie in Deutschland, Österreich und der Schweiz", so Busch weiter. "Derzeit operieren wir im Online-Buchhandel mit
buch.de,
thalia.de und nun auch
bol.de. Auf Dauer müssen wir darüber nachdenken, wo wir die einzelnen Marken nutzen wollen und wo es Synergieeffekte gibt. Die technologische Plattform und das gemeinsame Zentrallager sind erste Stationen auf diesem Weg."
Seit dem letzten Buchhandels-Ranking des
buchreport ist
Buch & Kunst um fünf Plätze vorgerückt und landete nun auf
Platz 8. "Über den Filialisten von der Elbe und seinen
aggressiven Wachstumskurs ist in letzter Zeit viel geschrieben worden. Wenig ist dagegen über die
treibenden Kräfte bekannt, die im Hintergrund Mitverantwortung übernehmen", schreibt Anja Sieg. "Wenn es in Dresden um richtungsweisende Entscheidungen geht, sitzen noch andere am Tisch.
Michael H. Bork und
Dr. Peter Hammermann vertreten im Beirat der Buch-&-Kunst-Gruppe die Mehrheitsgesellschafter des Unternehmens. Beide sind Geschäftsführer von
Barclays Private Equity (BPD), die als Managementgesellschaft jene Finanzfonds betreut, die mit 55 Prozent an Buch & Kunst beteiligt sind." Nach der Übernahme von
Baedeker will auch Buch & Kunst weiter wachsen - zuletzt durch den Kauf der Bielefelder
"Boulevard"-Buchhandlung.
Über
Buch Habel schreibt David Wengenroth. Mit einem Umsatzplus von 5,6 Prozent gehöre der Darmstädter Filialist ebenfalls zu den Gewinnern im
buchreport-Ranking (obwohl er von Rang 12 auf
Rang 13 zurückfiel). Dass die
FAZ-Gruppe ihre Beteiligung abgeben will, habe Buch-Habel-Chef
Ernst Leonhard "kalt gelassen". "Die FAZ ist mit 50 Prozent nur an dem Unternehmen Buch Habel beteiligt, das neben den Filialen in Ostdeutschland die Filialen in Wiesbaden und Bochum betreibt. Alle anderen Buchhandlungen gehören zur Carl Habel Verlagsbuchhandlung, an der Ernst Leonhard 100 Prozent der Anteile hält."
Gewinner im Ranking ist auch die schwäbische Buchhandlung
Herwig: "1873 gründete Urgroßvater Erich Herwig eine kleine Buch- und Musikalienhandlung in Göppingen. Großvater und Vater ließen sie wachsen, aber erst unter
Till Herwig wuchs sie zu einer
beachtlichen kleinen Handelskette heran, die sich mit acht Filialen und einem Umsatzplus von 7,1 Prozent auf 13,5 Millionen Euro im Jahr 2002 im buchreport-Ranking 'Die 100 größten Buchhandlungen' von Platz 52 auf
Platz 44 vorgeschoben hat - und sich diesen Platz mit dem Berliner
KulturKaufhaus Dussmann teilt", berichtet Brit München. Till Herwig will, dass die Kunden sich in seinen Buchhandlungen wohlfühlen, er organisiert Veranstaltungen und unterhält eine Online-Filiale: "Kommunikation ist alles, die Leute gucken mal
rein, auch wenn nur einer von 100 auch wirklich online etwas kauft. Aber eigentlich wollen wir sie ja auch nur
in den Laden kriegen." Ein Endlos-Gedicht auf der Website der Aalener Filiale, an dem die Kunden mitschreiben konnten, sei "Stadtgespräch" gewesen; jetzt erscheine es in Buchform.
Über den
Online-Buchhandel berichtet Andrea Czepek. "Zwar ist der Anteil des Online-Handels am gesamten Einzelhandel mit 1,6 Prozent noch immer relativ gering, das sind aber schon 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei Büchern und Musik dürfte der Marktanteil bereits deutlich höher liegen." Bei reinen Internet-Buchhändlern seien nur noch
drei große Player im Spiel:
Amazon,
buch.de (inklusive
bol.de) und
Booxtra. "Überleben kann nur, wer etwas bietet, was der Marktführer nicht hat. So setzt buch.de auf den
Multichannel-Ansatz, Booxtra auf die
Versandkostenfreiheit und
telefonische Bestellannahme."
Die
Erfolgszahlen von Weltbild dröselt David Wengenroth auf: "Von den rund 440 Millionen Euro, die Weltbild 2002 im Versandbuchhandel erzielt hat (Vorjahr: 438 Millionen Euro), entfielen 59 Millionen Euro (Vorjahr: rund 51 Millionen Euro) auf Internet-Bestellungen. Eine wesentlich fettere Steigerungsrate erzielte der
Billigheimer allerdings mit der Sondersortimentskette
Weltbildplus, einem Joint Venture mit
Hugendubel: Der Gesamtumsatz, der zu 50 Prozent bei Weltbild zu Buche schlägt, machte 2002 einen geradezu
halsbrecherischen Sprung um 60,8 Prozent auf 185 Millionen Euro."
Außerdem gibt Peggy Voigt einen Überblick über die
Entwicklung des Buchhandels anhand des buchreport-Rankings: So lag der Umsatz der größten Buchhandlung 1989 bei 54,2 Millionen Euro; 2002 waren es 324,6 Millionen Euro. Peggy Voigt weist außerdem darauf hin, dass
Buchhandlungen in Shoppingcentern überdurchschnittlich hohe Umsatzzuwächse erzielten. Kein Wunder: "1993 gab es erst 90, 2000 waren es schon 280; zum Beginn des Jahres 2003 hat das Kölner Eurohandelsinstitut insgesamt 340 Einkaufscenter mit einer Gesamtfläche von elf Millionen Quadratmetern gezählt."
Karstadt will nun eigene Shoppingcenter bauen. Brit München stellt einen weiteren Top-Aufsteiger im Ranking vor: die Hannoveraner Buchhandlung
Decius (
hier die Daten des Rankings). Andrea Czepek schreibt über die
Konzentrationsprozesse unter den Bahnhofsbuchhändlern.
In der Rubrik
"Verlage" schreibt Rainer Uebelhöde über
Kosmos, David Wengenroth über den Verlag
S. Hirzel, Anja Sieg über den britischen Verlag
Bloomsbury (der durch "Harry Potter" reich wurde und zurzeit eine deutsche Tochter aufbaut; die will im Herbst ihr erstes Programm vorlegen) sowie über den Relaunch der
Penguin Classics und die New Yorker "Talent- und Literaturagentur"
William Morris.
Schwerpunkt des Heftes ist das
Thema Reisen. Einen Überblick über das Geschäft mit Reiseführern gibt Maria Ebert; sie schreibt auch über
Mairs Geographischer Verlag, über den
Jakobsweg, zu dem es mehr als 70 Titel gebe, und über
Reisemagazine, die "wie Pilze aus dem Boden" schießen. Den mittlerweile 15 Jahre alten Verlag
Frederking & Thaler porträtiert Georgette Libori.
Zwar habe
das Gewicht der Literaturkritik abgenommen. "Doch für den Erfolg anspruchsvoller junger Autoren kann der
Bannstrahl der Kritik tödlich sein", meint David Wengenroth. Es geht um
Judith Hermanns zweiten Erzählband, "Nichts als Gespenster", der von der Kritik
recht ungnädig aufgenommen wurde. Dies sei abzusehen gewesen. Dem Verlag sei bei der Präsentation des Buches allerdings "ein
Kabinettstück" gelungen: "Im Falle des Hermann-Zweitlings war vor allem wichtig, dass die
Autorin als Person ihre ersten Medienauftritte hatte, bevor das Buch selber in den Mittelpunkt rücken konnte. Judith Hermann musste zu Wort kommen,
bevor schlechte Kritiken ihres Buches
sie demontieren konnten. (...) Ob die
zur Schau getragene Schüchternheit nun tief empfunden ist oder berechnende Pose: Wirkungsvoller hätte die Autorin ihre Kritiker nicht in die Defensive bringen können."
Auch mit
"Schiffbruch mit Tiger" hat
Fischer Sinn für Erfolg bewiesen. Der Verlag hatte das Buch von
Yann Martel schon zum Spitzentitel erkoren, als vom
Booker- oder anderen Preisen noch keine Rede war, schreibt Brit München. "Spätestens seit im August 2002 die Übersetzung fertig vorgelegen hat, war allen klar, dass wir hier einen potenziellen Bestseller im Hause hatten", sagt
Hans Jürgen Balmes, Programmchef für internationale Literatur. Zur Marketing-Strategie gehörten eine "kleine Lesereise für Handel und Medien" sowie
Radio-Werbung zum Start des Buches. Insgesamt habe die Kampagne eine sechsstellige Summe gekostet, "dreimal so viel, wie wir in einen normalen Spitzentitel investieren", zitiert München Marketingchef
Uwe Rosenfeld. Und Yann Martel selbst sagt im Interview, sein kanadischer Lektor habe zunächst "schon ein bisschen
komisch geguckt und sich wohl gefragt, was ich bloß mit solchen unmodischen Themen will - und ich selber habe das beim Schreiben auch gedacht".
Afrika ist als Buchthema
im Kommen, diagnostiziert Daniel Lenz und nennt als Beispiele den (sehr schönen) Roman
"Herero" von
Gerhard Seyfried sowie "Zeit der Wahrheit" von Renate Ahrens, "Mitten in Afrika" von Ulla Ackermann und "Unter afrikanischer Sonne" von Alexandra Fuller. Lenz zitiert die Lektorin
Sabine Jaenicke von
Langen Müller Herbig: "Im Lektorat hieß es früher: Bücher aus Afrika verkaufen sich nicht. Das hat sich verändert." Diese Veränderung bewirkt haben Bücher wie "Nirgendwo in Afrika" von
Caroline Link, Titel von
Stephanie Zweig oder "Wüstenblume" von
Waris Dirie. "Die Bestseller seien kein Grund zur Freude, so
Peter Ripken, Geschäftsführer der
Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika (...). Mit den genannten
cash cows geht Ripken hart ins Gericht: Die Bücher seien vom Marketing her auf eine
breite Tränendrüse der Leser hin konzipiert. Und Waris Dirie? Auch ein Marketingprodukt - ihre Bücher seien
von amerikanischen Literaturagenten als Ghostwriter geschrieben worden. 'Sie darf nur etwas bei Presseterminen sagen, um den Verkauf der Bücher anzukurbeln.'" Miese Noten gibt Ripken auch den Büchern von Ulla Ackermann und Alexandra Fuller. Meist werde Afrika "als Inbegriff einer Welt beschrieben, in der das Familienleben und die Natur noch intakt seien, oder, vice versa, als Bild eines Kontinents der Katastrophen, Krisen und Kriege -
'zu Hause zwischen Paradies und Hölle' heißt der Untertitel von Ackermanns Buch."
Weitere Beiträge: Rainer Uebelhöde stellt den Schriftsteller
Friedrich Ani vor, der im April zum zweiten Mal den
Deutschen Krimi-Preis bekommt, Andrea Czepek widmet sich der amerikanischen Nachwuchshoffnung
Jonathan Safran Foer, Anja Sieg erzählt, wie der
"Tag des Buches" in Großbritannien begangen wird (mehr
hier, und Peggy Voigt hat sich die
alten und neuen Übersetzungen von "Lolita",
"Der Fänger im Roggen" und
"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" angeschaut.