17.12.2001. Literatur / Sachbuch
Sachbuch
Literatur / Sachbuch
Sachbuch
Vom Fetisch zum Teetisch Ach, das waren Zeiten. Wissenschaft, Kunst und Phantastik schlossen sich nicht aus.
Albertus Sebas reich illustriertes
Naturalienkabinett - Originaltitel: "Locupletissimi rerum naturalium thesauri 1734-1765" - war schon im 18. Jahrhundert berühmt. Prachtvoll die Zeichnungen der "Wurzelmundqualle" oder des
geringelten Seehasen, seufzt die
FAZ. Aber sie stöhnt auch: Dies sei zwar ein wunderbares
Coffee table book, aber der Coffe table sollte aus
Massivholz sein. Die SZ dagegen zeigte sich fasziniert von einer
fehlgestalteten Ziege mit einem Kopf und zwei Körpern.
"Rollendes Blech" wird man nach der Verlagsankündigung als Pionierwerk betrachten müssen. Denn bisher wurden
Spielzeugmodelle von Autos und Motorrädern aus dem Deutschland der Jahre
1920 bis 35 noch nie so umfassend dokumentiert. Die
FAZ lobt
Liebe und Sachverstand des Autors
Bernd Pfarr, und zuweilen geraten die Texte sogar zu "pointierten Rezensionen", die die "gestochenen, auf
stille Eleganz bedachten Fotos" nicht selten "philosophisch unterfüttern".
Naturwissenschaften Die
FAZ hat
"Das menschliche Gehirn" des Harvard-Psychiaters
John J. Ratey bisher als einzige besprochen, aber sie lobt es als einen "
wunderbaren Überblick" über die aktuelle Forschung, und zwar der unterschiedlichsten Disziplinen, von der Anthropologie bis zur Linguistik und der Neurobiologie. Wir haben es zwar nicht ganz verstanden: Aber irgendwie soll das Buch auch zur Bildung
neuer Neuronen beitragen.
Dass es sich um ein wichtiges Buch handelt, zeigt schon die Zahl der im Perlentaucher verzeichneten Besprechungen: Fast alle Zeitungen haben
Johannes Frieds "
Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter" ausführlich gewürdigt. Die
Zeit lobt die "
angenehme Form des Essays", in der der Autor seine Thesen aufbereitet. In der
FAZ nennt der Historiker
Kurt Flasch das Buch
glänzend. Und nach Anthony Grafton, der für die
SZ schreibt zeigt die Arbeit, wie sich wesentliche Elemente unserer heutigen Kultur auf mittelalterliche
Endzeiterwartungen zurückführen lassen.
Politik "Das
Afrika-Lexikon informiert über alles, was man über Afrika wissen möchte: von Ägypten bis Südafrika, von der
Frühgeschichte bis zu den
aktuellsten Entwicklungen, von mythischen Überlieferungen bis zur modernen Kunst", behauptet der Klappentext - und ausnahmsweise scheint er einmal nicht zu übertreiben. Die
FAZ ist angetan von Stichwörtern wie "Verschuldung", "kollektive Eigenständigkeit" und "Kolonialismus", die eine übergreifende Perspektive entwickeln. Auch die
Zeit lobt die Aktualität der Aufbereitung. Und
Navid Kermani, selbst renommierter Autor eines Buchs über den Iran, findet zwar einige Artikel zu kurz geraten, streicht aber heraus, dass es sich bei dem Werk um eine
Pioniertat handele, die in Deutschland ihresgleichen sucht.
Das Buch des pakistanischen Journalisten
Ahmed Rashid über die
Taliban sollte
Pflichtlektüre für alle Politiker werden, die Soldaten nach Afghanistan schicken wollen, meint die
FR. Rashid gebe dem Leser wichtige Informationen über den
Aufstieg der Taliban, über ihre Ausbildungsstätten, ihre Verbindung zu Osama Bin Ladens Organisation
Al Qaida, die Verwicklung der Sowjetunion, Pakistans und der USA und über wirtschaftliche und politische Interessen in der Region, lobt sie. Auch die
FAZ ist sehr angetan von dem Buch, das sie
spannend zu lesen findet. Ihr gefällt vor allem, dass Raschid die Taliban als ein Produkt des
heimischen Bürgerkriegs zeichnet und so mit der "Legende" aufräumt, "die Vereinigten Staaten hätten die Taliban durchgängig
gemästet, um sie jetzt fallen zu lassen". Hinzuzweisen ist hier auch auf
Ludwig Ammanns Essay über
"Die Geburt des Islam".
Gelobt wurde auch
Michael Jeismanns Essay über die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen:
"Auf Wiedersehen Gestern". Die
Zeit stellt nach der Lektüre fest, dass der
Holocaust im politischen Tagesgeschäft zunehmend "als Grundlage einer gebrauchsfähigen gemeinsamen
europäischen Vergangenheit genutzt" wird. Hans Mommsen findet das Buch in der
SZ sehr anregend, wenn auch "nicht immer durchsichtig."
Geschichte Aus. Vorbei. Die Deutsche Mark ist todgeweiht. Pünktlich präsentiert die DVA ein
"Requiem auf eine Währung", die sowohl in der
FAZ als auch in der
SZ zu
wehmütigen Hymnen führten. Die
FAZ lobt die
geschichtliche Beschlagenheit der Autoren, die den Leser durch Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nazizeit und Bundesrepublik führen. Und die
SZ erinnert mit Schaudern daran, das auch der Mark einst eine Währungsunion voranging. Aber vermisst heute noch die
Taler?
Militärgeschichte war in den letzten Jahren nicht gerade das populärste Betätigungsfeld der Historiker. Kündigt sich eine Wende an?
"Schlachten der Weltgeschichte" stießen in den friedlichen Redaktionsstuben unserer Zeitungen jedenfalls auf ein riesiges Interesse. Die
FAZ zeigt sich leicht enttäuscht, dass die Autoren des Bandes nicht seinen persönlichen Theorien zur Geschichte der Schlachten folgte, würdigte aber das
Pionierhafte des Unterfangens. Die SZ lobt, dass die Beiträge das Augenmerk auf die
nachträgliche Mythisierung der Schlachten legten. Und die
NZZ nahm die Erkenntnis mit, dass gute Koordination und Kommunikation, Flexibilität und eine überlegene Technik immer weit wichtiger waren als die
Opferbereitschaft der Soldaten.
Gustav Seibts Buch über das Entstehen des italienischen Nationalstaates im 19. Jahrhundert,
"Rom oder Tod", wurde von allen großen Zeitungen besprochen. Die
Zeit lobt das Buch als ein
faszinierendes Lehrstück über den Kampf - des Katholizismus, Liberalismus, Patriotismus und später Mussolinis Faschismus - um die Vorherrschaft in Rom. Die
FR nennt es "eine beispiellos ausführliche,
extrem faktengesättigte Chronik", und auch die
FAZ lobt die Darstellung. Nur mit Seibts Versuch, auch Parallelen zur Gegenwart und zur
deutschen Hauptstadtfrage zu ziehen, ist sie nicht ganz glücklich.
Kunst Selten wird einer Dissertation solche Aufmerksamkeit zuteil.
Hanno Ehrlichers "Kunst der Zerstörung" schildert die "
Gewaltphantasien und Manifestationspraktiken europäischer Avantgarden". Die SZ folgt Ehrlichers These, dass es sich bei den Gewaltfantasien etwa des
Futurismus durchaus um
ganz reale, politisch gemeinte Fantasien gehandelt habe. In der
FAZ spricht der Kunsthistoriker
Werner Hofmann von
imponierender Quellenkritik. Gewiss eine Fundgrube für den ernstlich an Kunst interessierten Leser - aber leider hat Ehrlicher die Zitate im Original belassen.
Die Bände der großen
Burckhardt-Ausgabe des Beck-Verlags sind in den letzten Monaten schon mehrfach in höchsten Tönen gelobt worden. Die Bände 2 (
Architektur und Skulptur) und 3 (
Malerei) mit Burckhardts berühmten
"Cicerone", einem ausführlichen
Kunstführer für Italien macht keine Ausnahme. "Das innere Auge, eingestellt auf die heutige Übermasse schnell wechselnder, meist auch bewegter Bilder, kann sich neu justieren auf das
ruhigere Sehen, für das die Kunstwerke geschaffen wurden, denen Burckhardts Liebe galt", versprach Gustav Seibt in einer ausführlichen
SZ-Rezension zu Burckhardts Cicerone. Es handele sich allerdings auch nicht um einen Führer zum schnellen Museumsbesuch: Der "Cicerone" dient zur vor- und nachbereitenden Lektüre.
David Hockneys "Geheimes Wissen" hat im letzten Jahr zu einer der lautesten
kunsthistorischen Kontroversen in den USA geführt. Die Behauptung des Malers, der
Epochensprung in der Kunstgeschichte um 1500 erkläre sich unter anderem dadurch, dass die Maler
optische Hilfsmittel (wie etwa die Camera obscura) angewandt hätten, hat teilweise zu wütenden Reaktionen geführt. Die Übersetzung des Bandes wurde auch in Deutschland weithin besprochen. Die
Zeit ist begeistert und behauptet, in den letzten Jahren nur wenige Kunstbände gelesen zu haben, "die
so lebendig, herzerfrischend und offen mit der Malerei umgingen". Die
FAZ erblickt in dem Band die "die
anrührend schöne Geschichte einer wechselseitigen Erhellung von Kunst und Wissenschaft". Die Kontroverse scheint also in Deutschland nicht weiterzugehen.
Literatur / Sachbuch Die
vollständig ausgewerteten Literaturbeilagen vom Herbst 2001 finden Sie
hier. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.