02.04.2015. Romane, Lyrik / Erinnerungen, Reportagen / Politische Bücher / Sachbücher
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Erinnerungen, Reportagen /
Politische Bücher /
SachbücherPolitische BücherGeldGeld ist nicht zu verstehen. Je intensiver man drüber nachdenkt, desto rätselhafter blickt es zurück. Viele Philosophen haben es festgestellt, aber das heißt natürlich nicht, dass sie in der Riesenkonjunktur der Kapitalismuskritik nicht weiter munter drauf los spekulieren. Und so sind im Zeitalter des "Islamischen Staats" und der Attacken auf
Charlie Hebdo nicht die religiösen und ideologischen Wahnsysteme das Thema der Saison, sondern eben das Geld.
Wie schwer Geld zu verstehen ist, lernt
SZ-Rezensent Burkhard Müller von Neuem, aber mit intellektueller Rendite, bei
Christoph Türcke, der das gesamte Instrumentarium des Philosopieprofessors - als da sind: Psychoanalyse, politische Ökonomie und Theologie - auf das Thema appliziert. Und so lernt man in
"Mehr!" die ganze Geschichte kennen: vom religiösen Opfer bis zum modernen Tauschsystem.
Türckes Kollege
Joseph Vogl kennt sich mit Geld ebenfalls bestens aus, geht aber wesentlich konkreter zur Sacche und reflektiert in
"Der Souveränitätseffekt" über die jüngste Finanzkrise. In intellektuell vergnüglicher Weise und dennoch alle Gewissheiten umstürzend, so Jens Bisky in der
SZ, wendet sich Vogl der Verflechtung von politischer und ökonomischer - besonders finanzkapitalistischer - Sphäre zu und kommt zu dem Schluss, dass Souverän sei, wer es schaffe, "eigene Risiken in Gefahren für andere" umzuwandeln - also das Finanzkapital, dessen enge Verschwisterung mit der Politik Vogl thematisiert. Bisky ist begeistert, revidiert traditionelle Demokratietheorien und legt das Buch den
SZ-Lesern ans Herz. Werner Plumpe in der
FAZ ist kritischer und wirft Vogl sprunghafte Argumentation vor.
Der Historiker
Philipp Ther ist die Sache etwas konkreter angegangen. Er untersucht in seiner Geschichte des
neoliberalen Europas,
"Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent" wie genau die wirtschaftliche Transformation in den ehemals sozialistischen Diktaturen
Osteuropas vonstatten ging. Für Stephan Wackwitz (
Welt) war die Lektüre eine lohnende Geschichtsstunde: Brillant formuliert und mit der nötigen Kenntnis neoliberaler Politik und Wirtschaft verabreicht. Jens Bisky lobt in der
SZ Thers Verzicht auf eine "rechthaberische" Fundamentalkritik und seinen genauen Blick auf die Wirklichkeit und ihre Unterschiede zur Reklame der Finanzmärkte. Sehr beeindruckt zeigte sich auch György Dalos, der das Buch in der
Zeit besprach. Die drei standen nicht allein: Thers Buch wurde mit dem
Leipziger Buchpreis für Sachbuch ausgezeichnet. Noch konkreter beschäftigt sich
John Urry in
"Grenzenloser Profit" mit der Globalisierung der Gewinnströme, der er in Gestalt von gesetzloser
Müllverklappung und Abwrackung von Ozeanriesen durch die ganze Welt folgt: "Dieses kranke System funktioniert im ökonomischen Sinne für die Interessen weniger Einzelner hervorragend, aber für die Gesellschaft ist es ein finanzielles Desaster", erläutert der Klappentext.
Zeit-Rezensent Wolfgang Uchatius kann dieses Buch über die dunkelste Kehrseite des Kapitalismus empfehlen.
Weitere politische Bücher der Saison: Die bekannte Globalisierungskritikerin
Naomi Klein hofft in
"Die Entscheidung - Kapitalismus vs. Klima" dass der vom Kapitalismus angerichtet
Klimawandel die Menschheit letztlich dazu führen werde, das ganze System umzustoßen.
SZ und
Zeit folgen ihr begeistert auf diesem Weg, die
FAZ ist ein bisschen skeptischer. Von
Yanis Vaoufakis wird ein
Büchlein mit seinen "bescheidenen" Ideen zur Lösung der Eurokrise vorgelegt, die Konstantin Richter in der
Welt nicht überzeugen.
Christoph Butterwegges Kritik an
"Hartz IV und den Folgen" stößt auf die Zustimmung der
FR. Zwei Bücher (
hier und
hier) bereiten uns auf Angela Merkels eventuelle Nachfolgerin
Ursula von der Leyen vor.
IsraelIsrael war Gastland der Leipziger Buchmesse, so ist wohl die leicht erhöhte Produktion von Büchern zum Thema zu erklären.
Das originellste Thema wählte sich Dan Diner: In
"Rituelle Distanz - Israels deutsche Frage" erinnert er an die Wiederaufnahme der diplomatischer Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik und Israel. Dass die Beziehung der beiden Nationen zur Erfolgsgeschichte wurde, wie Richard Herzinger in der Welt weiß, lässt sich für den Rezensenten aus der Urszene der offiziellen Beziehungen beider Länder zunächst nicht ablesen. Allzu bizarr erscheinen die von Diner minuziös beschriebenen Rahmenbedingungen des Zusammentreffens, von denen die Anweisung der Kommunikation auf Englisch nur eine darstellt. Auch Thomas Sparr in der
NZZ bestätigt, dass Diner gerade aus der Beobachtung von Details Wesentliches über die Struktur dieser bis heute schwierigen Beziehung herausholt.
Weiter Bücher zu Israel: Der Tel Aviver Soziologe
Moshe Zuckermann kämpft in
"Israels Schicksal" für die Zweistaatenlösung, die er in Israel als gefährdet ansieht.
Stephan Grigat, Vordenker der "Antideutschen", setzt sich in
"Die Einsamkeit Israels" mit linkem Antisemitismus auseinander.
Dror Moreh schickt seinem gefeierten Dokumentarfilm "Töte zuerst", der ein erstaunlich differenziertes Bild israelischer Geheimdienstchefs zeichnete, das Buch
"The Gatekeepers" mit den selben Protagionisten hinterher: Linke Geheimdienstchefs, die in ihren Aktionen nie zögerten und dennoch die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sehr kritisch sehen. Und
Ari Shavit erzählt in
"Mein gelobtes Land - Triumph und Tragödie Israels" eine sehr persönliche Geschichte Israels, die die dunklen Ursprünge nicht verhehlt und dennoch insistiert, dass es keine Alternative zur Gründung Israels gab - aber die auch die tragischen Widersprüche der Akualität nicht verschweigt. Richard Kämmerlings war von dem Buch in der
Welt sehr beeindruckt.
UkraineGeradezu unverzichtbar zum Verständnis der Ukraine scheint der Sammelband
"Testfall Ukraine" in dem internationale Historiker sowie ukrainische und russische Autoren Geschichte, Politik, Wirtschaft und Kultur des Landes erkunden, darunter
Karl Schlögel,
Andrew Wilson,
Serhij Zhadan und
Irina Prochowa. "Wichtig", "informativ", "lesenswert" lautete das einhellige Urteil in
FR,
FAZ,
taz und
SZ. Sehr gelobt worden sind auch die Essays
"Die Kehrseite des Himmels" in denen sich die russische Autorin
Ljudmila Ulitzkaja mit der russischen Gegenwart auseinandersetzt. In der
taz imponiert Katharina Granzin Ulitzkajas unbestechliche Haltung, deren Mischung aus Zivilisiertheit und Toleranz sie als
Kulturnost bezeichnet. In der
FAZ betont Sabine Berking die Lebensklugheit der Autorin.
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