11.11.2012. Romane / Lyrik, Comic, Hörbuch / Essays, Reportagen, Neuübersetzungen / Sachbuch, politisches Buch
Romane / Lyrik, Comic, Hörbuch / Essays, Reportagen, Neuübersetzungen / Sachbuch, politisches Buch LyrikEin halbes Jahrhundert hat
Ezra Pound an den
"Cantos" gearbeitet, Eva Hesse ebenso lange an der Übersetzung. Warum soll man das lesen? 1500 Seiten Lyrik von einem amerikanischen Dichter, den seine Landsleute 12 Jahre in eine Irrenanstalt für
kriminelle Geistesgestörte steckten, weil er Mussolini unterstützte. Ganz abgesehen davon, dass er ein unbelehrbarer Antisemit war. Weil die besten englischsprachigen Dichter nach ihm auf diesem Werk aufbauten, antwortet Dietmar Dath in der
FAZ. Wann immer einer von ihnen "
wahre,
schöne,
knappe Dinge sagen wollte, redete dieser Demagoge, Bekenner, Spinner und Seher mit". Weil er
avancierteste moderne Lyrik, Formenreichtum und Sinnlichkeit kombinierte, antwortet Marie Schmidt in der
Zeit. Hier findet man noch ein sehr schönes
Interview mit Übersetzerin Eva Hesse. Hier die
einstündige Sendung über Pound in der PBS-Serie
Voices and Vision. Und hier
liest er selbst: "With Usura" aus dem Canto XLV.
Für
"Die Eulenhasser in den Hallenhäusern" hat sich
Jan Wagner kühn viergeteilt: Als Herausgeber stellt er drei "verborgene" Dichter vor: Anton Brant ist eigentlich Bauer und schreibt deftige Landlyrik, etwa über "Das Sauen". Theodor Vischhaupt, Angestellter im Berliner Fundbüro, liebt Anagramme und Philip Miller, der - ausgerechnet in Rom! - Elegien schreibt. Alle drei hat Wagner mit Biografien, Kommentar und Literaturnachweisen (Anna Brandt: "
Ich,
Muse und Melkerin - Ein Leben zwischen Versen und Färsen") ausgestattet. In der
FAZ ist Florian Balke hingerissen von Wagners Selbstparodie, "ein Buch, das zwinkert, wenn es ernst wird, und ernst wird, sobald man lacht". In der
Welt ruft Tobias Schwartz: "hochvirtuos".
Günter Grass' israelkritisches Gedicht
"Was gesagt werden muss" hat - wie ein kilometerlanger
Wikipedia-Artikel zeigt - ganz schöne Aufregung ausgelöst, seinem neuen Gedichtband
"Eintagsfliegen" hat das bei der Kritik aber auch nicht geholfen. Gänzlich ironiefrei sind diese politischen Gedichte, murrt Andreas Platthaus in der
FAZ.
Zeit-Kritiker Adam Soboczynski wendet sich lieber gleich den älteren Gedichten von Grass zu.
Sehr gut besprochen wurden
Jeffrey Yangs Gedichtband
"Ein Aquarium" mit dem der Berenberg Verlag eine Lyrikreihe eröffnet hat.
Thomas Tranströmers in Schülerzeitungen veröffentlichte Jugendgedichte
"Ungdomsdikter" die laut
NZZ schon das ganze Talent des späteren Literaturnobelpreisträgers ahnen lassen.
Wulf Kirstens Landschaftsgedichte in
"fliehende ansicht" die die
FAZ wunderbar unzeitgemäß lutherisch findet. Und die Gedichte
"Von Tschwirik und Tschwirka" der Bachmann-Preisträgerin
Olga Martynova, die zwischen den Eigentümlichkeiten der russischen und der deutschen Sprache pendeln. Kostprobe? "Wenn du vom Fahrrad fällst, weißt du auf einmal, / zwischen dir und der Welt ist das Fleisch, / das so fein ist und kapriziös, / dass es der groben und abgehärteten Seele / ein einziger Vorwurf ist."
Comics Ein Comic über einen real existierenden Politiker, der einen ebenso bösen wie witzigen und dabei aufschlussreichen Einblick in die Sphäre der
französischen Außenpolitik gewährt - die Rezensenten sind sich einig, dass
Christophe Blain und
Abel Lanzac mit
"Quai d'Orsay" etwas Außergewöhnliches geschaffen haben. Der Protagonist ist ein Außenminister namens Alexandre Taillard de Vorms, in dem sich unschwer Dominique de Villepin erkennen lässt, für den der (unter dem Pseudonym Abel Lanzac auftretende) Autor einst als Redenschreiber tätig war. "Voller Erzähllust, politisch hellwach",
lobt Christian Schlüter in der
FR. Die Autoren bringen "auf die lehrreichste und amüsanteste Weise" das weltpolitische Klima vor dem Ausbruch des Irak-Kriegs auf den Punkt,
freut sich Katja Lüthge in der
taz. Und Thomas von Steinaecker bescheinigt dem Buch in der
SZ Komik, Spannung und Feinfühligkeit. Auch
David Smalls Graphic Novel
"Stiche" basiert auf eigenen Erfahrungen. Die Geschichte um Kindheit und Jugend im Detroid der Fünfzigerjahre, in der der junge David an
Kehlkopfkrebs erkrankt und seine Stimme verliert, hat Britta Schwem zu Tränen gerührt, wie sie in der
SZ bekennt. Insbesondere die familiäre Atmosphäre findet Scherm packend eingefangen in teilweise großflächigen, sehr filmischen Bildern, wie sie überhaupt an Vorbilder wie
Buñuel,
Bergman und
Hitchcock erinnert wird.
Zu den sehr gut besprochenen Comics in diesem Herbst gehören außerdem
"Die letzten Tage von Stefan Zweig" von
Laurent Seksik und
Guillaume Sorel (deren "literarisches Raffinement" Andreas Platthaus in der
FAZ hervorhebt),
"Die Spaziergängerin" von
Anke Feuchtenberger (die Thomas von Steinaecker in der
SZ als die "wichtigste deutsche Comic-Künstlerin"
bezeichnet) sowie
"Hicksville" von
Dylan Horrocks (das Waldemar Kelser in der
taz ein "essenzielles Buch" über Comics und eigentlich jede ästhetische Leidenschaft
empfiehlt).
HörbuchEs dürfte sich bei
"Erzählerstimmen" um die Hörbuchkassette der Saison handeln, 44 CDs zum nicht ganz schmerzfreien Preis von 150 Euro. Immerhin: Man hört
Originalstimmen der deutschen Literatur! In der
FAZ freut sich Wolfgang Schneider über
Kraus'sche Satire im Originalton, über den kraftvollen Ton Zuckmayers, das gesungene Wienerisch Heimito von Doderers, die hintersinnige Melancholie Herta Müllers, die Aura der Bachmann, eine "phänomenale" Bernhard-Lesung. Er wundert sich eher über die
brüchige Greisenstimme Freuds. Und er hält fest, dass die Kassette keinen Kanon präsentiert, eher eine "Schatzkammer", wie Alexander Cammann in der
Zeit sekundiert, bevor er sich in den Tiefen der Kassette mit den Stimmen von Thomas Mann, Alfred Döblin und sogar Arthur Schnitzler
aufs angenehmste verliert.
Außerdem: Renate Meinhof lobt in der
SZ die Wucht der Geschichten der
"Vier Lehrmeister" Liao Yiwus. Lothar Müller lauscht auf einer Kassette mit sieben CDs einem wahrem Stimmenkonzert, das der polyphonen Erzähltweise
James Joyce in den
"Dubliners" gerecht wird. Mit Interesse wurden auch die acht Hörspiel-CDs mit
Dramen Gerhart Hauptmanns aufgenommen, die insbesondere die
hohe Schauspielkunst der Nachkriegsjahre - Therese Giehse! Albert Bassermann! - beweisen.
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