Bücher der Saison

Essays

Eine Auswahl der interessantesten, umstrittensten und meist besprochenen Bücher der Saison.
05.11.2018. Prophetische Nadas-Quickies, britisches Nature writing, eine kleine Systematik des Fanatismus und eine Schönheit in Blau.
Manchmal findet man in Peter Nadas' Essays ("Leni weint", hierschreibt Arno Widmann in der FR, "den Ozean Nadas'scher Erzählkunst im Reagenzglas eines einzigen Satzes". Nadas ist nur scheinbar ein Autor großer Formate - mit Romanen, die 1.600 Seiten zählen. Er beherrscht auch die Kunst der Vignette. Widmann, der sich zur "Nadas-Gemeinde" zählt, nennt sie liebevoll-respektlos Quickies. Wiebke Porombka erschrickt dagegen in der FAZ angesichts der Aktualität der Essays: vieles habe Nadas richtig vorausgesehen, vor allem das Abdriften Osteuropas in die "illiberale Demokratie", die nur halb vollzogene Wende. Widmann beschreibt es so: "Nadas denkt gründlich wie wenige über die Schrecken des 20. Jahrhunderts nach, kaum jemand beschreibt sie so intensiv wie er. Er tut das nicht, weil er sich die Vergangenheit vergegenwärtigen möchte. Er tut es, weil er wohl von Anfang begriff, dass Massenmord und die Lust daran nicht vergangen sind."

Bücher über Bäume sind in Deutschland natürlich ziemlich angesagt. Mit "Wilde Wälder"  hat der Verlag Matthes & Seitz für seine bereits legendäre "Naturkunden"-Reihe ein älteres Buch des bereits 2006 verstorbenen Autors Roger Deakin übersetzt, das lange vor den urdeutschen Baumumarmungen aus aktuellen Bestsellerlisten geschrieben wurde. In seinem einzigen zu Lebzeiten erschienen Buch "Waterlog" plädierte Deakin für "offenen Zugang" zu Landschaften, vermerkt die englische Wikipedia. Very british in einem Land, wo diese Landschaften zum Teil noch dem Adel gehören. Das aktuelle Buch ist aus nachgelassenen Texten kompiliert, es berichtet von Reisen zu Wäldern in der ganzen Welt. Für Ulrike Fokken in der taz ist es ein Meisterwerk des Nature Writing.

Außerdem mehrfach besprochen: Amos Oz' kleiner Essay-Band "Liebe Fanatiker" über den Nahostkonflikt und die Zweistaatenlösung Behende und instruktiv lege Oz hier eine kleine Systematik des Fanatismus vor - den er vor allem in der nationalen und religiösen Ausprägung untersucht - und benennt auch die Gegenmittel: Witz, zum Beispiel, oder Empathie und die Anerkennung von Vielfalt, schreibt Tobias Krause in der NZZ. "Dieses Buch ist eine Schönheit." Mit dem Satz beendet Rezensentin Antonia Baum den Versuch, ihre Lektüreerfahrung beim Lesen von Maggie Nelsons "Bluets" zu beschreiben - recht feierlich für so einen kleinen Band (wir haben ihn schon im Bücherbrief vorgestellt). Auch Andrea Köhler in der NZZ ist beeindruckt von dem Bändchen, in dem in der Reflexion über die Farbe Blau - auch in ihren bescheidensten Erscheinungsformen, etwa in Gestalt von Mülltüten, die Erfahrung einer Trennung verarbeitet wird.