05.11.2018. Ein rural noir aus Pennsylvania, Kommissar Adamsberg und die tödlichen Einsiedlerspinnen, Spirou in Berlin und sechzehn tote Prostituierte im Iran.
KrimisAuch
Tom Boumans zweiter Krimi,
"Im Morgengrauen" um den Polizisten Henry Farrell, spielt in Wild Thyme, einem Kaff im
tiefen Pennsylvania. Eine drogenabhängige junge Frau verschwindet und Farrell macht sich auf die Suche. Für den
FAZ-Rezensenten Peter Henning sind Boumans Krimis eigentlich "
getarnte Milieustudien" über die vom wirtschaftlichen Niedergang und der grassierenden Drogensucht schwer gezeichnete Region. Je langsamer sich die Handlung entwickelt, desto besseren Einblick gewinnt der hochinteressierte Rezensent in die Lage der an den Rand gedrängten Menschen im ländlichen Pennsylvania. Auch Hanspeter Eggenberger vom
Tages Anzeiger ist von diesem "
rural noir" und seinem stillen Helden Farrell
mehr als angetan: "Bouman wirft einen ungeschönten Blick auf ein ländliches Amerika, in dem der amerikanische Traum für viele zu einem Albtraum wird." Man sollte unbedingt auch Boumans ersten Band lesen,
"Auf der Jagd",
meint Katja Rittig im Blog
Wortgestalt.
Was soll man über die großartige
Fred Vargas noch sagen, außer dass drei Jahre Abstand zwischen den Büchern einfach viel zu lang ist?
"Der Zorn der Einsiedlerin" ist der zehnte Krimi der französischen Archäologin um den Kriminalkommissar und Wolkenschaufler
Jean-Baptiste Adamsberg. Diesmal geht es um vergiftete alte Männer, tödliche Spinnen und Einsiedlerinnen, die sich im Mittelalter einmauerten. "Wie immer beschränkt sich Vargas nicht auf einen simplen Kriminalfall. Die Komplexität ihrer Texte hat sie zu einem Star gemacht. Man folgt gerne ihren exzentrischen Abwegen, spannenden
historischen Exkursen und Reflexionen",
schreibt Ingeborg Sperl in einer Kurzkritik im
Standard. Doch trotz dieser Exkurse haben die Krimis der Vargas immer auch einen
starken Realitätsbezug, so auch hier,
versichert im
Dlf Kultur Sonja Hartl, die sich auch über ein Wiedersehen mit Adamsbergs exzentrischer Brigade freut. Selbst
SZ-Kritiker Lothar Müller hat seine Freude an diesem
intuitiv ermittelnden Kommissar, der so gar nichts von einem Sherlock Holmes hat. Auch
Louise Pennys Kommissar Armand Gamache, der in einem Städtchen bei
Montreal lebt, ist ein Wolkenschaufler,
meint in der FR Sylvia Staude, die hofft, dass Penny mit ihrem Krimi
"Hinter den drei Kiefern" endlich die Anerkennung in Deutschland erhält, die sie verdient. Die verschachtelte Handlung dreht sich um Drogen und die mythische Figur eines
spanischen Schuldeneintreibers. Oh, und von dem harmlos wirkenden Cover sollte man sich auch nicht in die Irre führen lassen: Penny bietet knallharte Krimikost, versichert Staude. Und dank der historischen Referenzen lernt man noch was dazu,
lobt Inga im Blog
Schonhalbelf.
Gut besprochen wurden außerdem
Susanne Saygins Thriller
"Feinde" : Polizist Can ermittelt im deutschen Roma-Milieu, ein "fulminanter" Kriminalroman "in bester Tatortmanier", lobt Tobias Gohlis in der
Zeit.
Volker Kutschers siebter Rath-Roman
"Marlow" lässt den Oberkommissar 1935 gegen einen SS-Gruppenführer ermitteln - spannend, verspricht die
SZ. Und
Friedrich Anis Tabor-Süden-Krimi
"Der Narr und seine Maschine" rührt und erschreckt die Kritiker: So düster war er noch nie, schaudert Sylvia Staude in der
FR. So melancholisch auch nicht, meint
FAZ-Rezensent Hannes Hintermeier, dem bei der Lektüre ganz schwarz ums Gemüt wird.
Weitere Krimiempfehlungen - u.a. zu
Mick Herrons "Slow Horses" und
Tom Franklins "Krumme Type, krumme Type" - gibt Thekla Dannenberg in ihrer
Perlentaucher-Kolumne
"Mord und Ratschlag".
ComicsDas ist ja mal eine Ehre! Der deutsche Comickünstler
Flix durfte eine
Spirou-Episode verfassen.
"Spirou in Berlin" heißt sie und spielt kurz vor dem Mauerfall. Graf von Rumelsdorf wird in die DDR entführt und soll dem bröckelnden Staat mit einer Wundermaschine helfen,
Braunkohle in Diamanten zu verwandeln. Schön verrückt, anspielungsreich und, jawoll,
hintergründig ist das erzählt, lobt Andreas Hartmann in der
taz. Ein
zukünftiger Klassiker, erklärt Christoph Haas in der
SZ. Die Kritiker von
FAZ und
FR sind nicht weniger begeistert. Lob gab's auch für
Pierre van Hooves und
Alessandro Totas "Der Bücherdieb" Er spielt im existenzialistischen
Paris der 50er und dreht sich um einen
Plagiator, der erst nur seine Geliebte beeindrucken will und dann - weil es so schön funktioniert - auch die Literaturwelt. Wie sich die Charaktere durch die schwarz-weiß gezeichneten Salons, die Buchläden und Kneipen der französischen Hauptstadt bewegen,
findet taz-Kritiker Ralph Trommer atmosphärisch und glaubwürdig. Auf
Spon gefällt Timur Vermes der Comic besonders als gut platzierter
Rundumschlag gegen den Literaturbetrieb.
Mana Neyestanis Graphic Novel
"Die Spinne von Mashhad" (bestellen) über eine
Mordserie im Iran der Nuller Jahre ist von geradezu bestürzender Aktualität: ein Maurer und islamistischer "Kämpfer gegen Dekadenz" erwürgt
16 Prostituierte, wird gefasst und hingerichtet. Der in Frankreich lebende Neyestani erzählt die - wahre - Geschichte, die auf den Recherchen einer Journalistin beruht, im wesentlichen aus der Perspektive der Tochter eines der Opfer. Das Bestürzende an der Geschichte sind nicht nur Armut und Gewalt, sondern auch die Menschen, die die
Morde als richtig feiern. Man denkt sofort an die Philippinen oder Brasilien, wo ein Teil der Bevölkerung durchaus zum Mord an angeblich kriminellen oder "volksschädigenden" Elementen bereit ist. Man kann das
gesellschaftliche Klima im Iran mit dieser ganz in schwarz-weiß gehaltenen Graphic Novel gut nachvollziehen,
lobt Katrin Doerksen im
culturemag. Ihr gefällt ebenso wie der
taz-Rezensentin Isabella Caldart die
multiperspektivische Zeichnung der iranischen Gesellschaft. Im Dlf
porträtiert Andrea Heinze den Autor.
Auffällig sind in dieser Saison die vielen Romanadaptionen:
Kristina Gehrmann hat für ihre Graphic Novel
"Der Dschungel" Upton Sinclairs gleichnamigen Roman über eine Auswandererfamilie im 19. Jahrhundert auf den Schlachthöfen Chicagos mit "präziser Strichführung", gekonnt gesetzten Schattierungen, geschickten Perspektivwechseln und authentischen Hintergründen"großartig" adaptiert, lobt Siggi Seuss in der
SZ.
Pascal Rabaté hat für
"Der Schwindler" Alexej Tolstois Roman "Ibykus. Die Emigranten" adaptiert, mit düsteren, sehr sprechenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die die Atmosphäre des Romans, der von einem bis zum Brudermord gehenden Karrieristen in der Oktoberrevolution erzählt, perfekt einfangen, lobt in der
FR Julius Tamm.
Minetaro Mochizuki transferiert mit
"Chiisakobee. Band 1: Die kleine Nachbarschaft" einen japanischen
Roman aus der Edozeit ins Heute und versetzt den
SZ-Rezensenten Gottfried Knapp damit in den Comic-Himmel.
Lucas Harari schließlich adaptiert für
"Der Magnet" keinen Roman, sondern bemächtigt sich gleich einer noch lebenden Figur: Er macht
Peter Zumthors Therme von Vals zum Schauplatz eines Krimis. Da passt seine
ligne clair gut, loben die Kritiker in
taz und
SZ.