26.11.2007. Literatur / Sachbuch / Politisches Buch
Literatur / Sachbuch / Politisches Buch
ReligionNachdem in den vorigen Jahren die Rückkehr der Religion so freudig begrüßt wurde, bringen sich in diesem Herbst die
führenden Atheisten in Stellung - und zwar mit gepfefferten Attacken gegen den Gottesglauben. Die Feuilletons reagieren indigniert: Am besten kommt noch
Christopher Hitchens'
"Der Herr ist kein Hirte" weg (), das
NZZ und
FR als einseitig oder abgedroschen kritisieren. Die
SZ findet es dagegen geistreich, subtil und stilistisch brillant, wie Hitchens die
destruktiven Folgen des Glaubens für das vernünftige Zusammenleben der Menschen beschreibt. Und wie er die Entstehung des
Buchs Mormon durch den Hochstapler Joseph Smith mit den Anfängen des Islam vergleicht, gehört für die
Welt zum "
Lustigsten, was man in diesem Herbst lesen kann". ()
Die
Welt kann auch
Richard Dawkins Buch
"Der Gotteswahn" einiges abgewinnen, das sie einen "
Aufschrei der Vernunft gegen das Wuchern der Unvernunft" nennt. Als gelernter Biologe rückt
Dawkins darin den Darwinismuskritikern und Kreationisten zuleibe, denen er vorrechnet, dass die Existenz Gottes weitaus unwahrscheinlicher wäre als alle Zufälle der Evolution zusammen. Die
NZZ findet dies allerdings rabiat, die
SZ nennt Dawkins gar einen "
biologistischen Hassprediger".
PhilosophieZu einem besseren Zeitpunkt hätte
Rüdiger Safranski seine bestsellernde Geistesgeschichte der
"Romantik" nicht vorlegen können: Es lag viel Romantik in der Luft, wie die
Welt angesichts der Annäherung von
Kultur und Glauben in den Feuilletons schon etwas süffisant konstatiert hat. Trotzdem fühlt sie sich reich beschenkt von diesem Buch und weiß jetzt, dass wir mit dieser "deutschen Affäre" noch lange nicht fertig sind. Für die
Zeit hat Safranski einfach ein "grandioses Buch" vorgelegt, das mit "
Genauigkeit und Hingabe" die Dichter und Theoretiker der Romantik porträtiert. Die
FAZ erklärt rundweg jede Kritik an diesem Buch für gegenstandslos. Und die
taz nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass Safranski die 68er
in die romantische Tradition einordnet. Die
NZZ ist enttäuscht: Ihrer Meinung nach hat sich Safranski zuviel vorgenommen und sträflich den Blick über den deutschen Tellerrand vernachlässigt.
BiografienGroße Anerkennung hat
Thomas Karlauf für seine Biografie
"Stefan George" bekommen. Alles scheint er richtig gemacht zu haben bei seinem Porträt dieses Dichters und Propheten. Der
NZZ gefällt, wie beherzt Karlauf die Homosexualität Georges und seines poetischen Hofstaats unter die Lupe nimmt. Die
FAZ sieht in dem Buch auch ein wichtiges "Lehrstück über den folgenschweren
Irrweg der literarischen Intelligenz in Deutschland". Die
taz lobt Karlaufs stilistische Askese und zeigt sich erleichtert, dass er George nicht in die Gegenwart zerrt, sondern als "fiebernde Figur einer nervösen Epoche" in der Vergangenheit lässt. Und die
FR freut sich, das Karlauf George nicht als einen der "größten Dichter des 20. Jahrhunderts" demontiert. Nur die
Zeit erhebt Einwände, ihr fehlt die "Ergriffenheit vor dem Eigentlichen". ()
Gleich zwei Kleist-Biografien stehen in diesem Herbst im Angebot. Die eine stammt von dem Germanisten
Gerhard Schulz (
"Kleist", ), die andere von
SZ-Redakteur
Jens Bisky (
"Kleist", ). Auch wenn sie letztlich nicht ganz zufrieden gestellt ist, findet die
Welt beide beachtlich, attestiert Schulz jedoch "mehr Intensität, mehr Tiefe, ja sogar mehr Frische". Der
FAZ gefällt dagegen Biskys zupackender Stil.
Auf ein geteiltes Echo traf
Dominique Bourels Biografie des jüdischen Aufklärers
"Moses Mendelssohns". Die
SZ findet dieses voluminöse Werk erhellend, präzise und sehr gelehrsam. Die
NZZ erhebt mehrere Einwände gegen das Buch, hat aber mit Interesse gelesen, welch prekäre Position Mendelssohn zwischen "Bewunderung, Duldung und Ausgrenzung" innehatte. ()
Nur einmal besprochen, dies aber sehr positiv, wurde
Johannes Willms "Balzac"-Biografie, die für die
FAS das turbulente Leben des von ihr verehrten Balzac präzise und unbefangen erzählt. ()
Sehr gelobt wurde
Peter Merseburger für seine Biografie des
Spiegel-Gründers
"Rudolf Augstein". "Glänzend geschrieben" findet die
FAZ sie, auch aus einer wohltuenden "Halbdistanz". Die
Zeit schätzt das Buch als "Mentalitäts- und Mediengeschichte" der BRD, die
SZ attestiert dem Autor "geistige Disziplin" und "intellektuelle Klarheit". ()
GeschichteBeeindruckt hat
Fritz Stern die Kritiker mit seinen Erinnerungen
"Fünf Deutschland und ein Leben". Der
FAZ imponiert, wie der aus einer jüdischen Familie stammende Historiker seine persönliche Geschichte mit einem Jahrhundert deutscher Geschichte zu verbinden versteht. Die
NZZ findet das Buch mit
Geist und Witz erzählt. Die
FR bewundert Sterns unverrückbar liberale Haltung und die Fähigkeit, selbst im Irrtum ganz "gebildeter Grandseigneur" zu bleiben. Der
SZ wird es hin und wieder zu festrednerhaft, vor allem wenn Stern von seinen vielen Begegnungen mit den Großen der Welt aufzählt. In der
Zeit preist
Norbert Frei das Buch seines Kollegen als "lehrreich, klug und menschlich tief berührend". ()
Kulturgeschichte Staunen bei der Kritik: Dass vor
David Blackbourn noch niemand auf die Idee gekommen ist, eine Geschichte der deutschen Landschaft zu schreiben! Denn Blackbourn kann in seinem Buch
"Die Eroberung der Natur" mit einigen erhellenden Erkenntnissen aufwarten. Zum Beispiel, dass bei aller romantischen Verklärung ihrer Flüsse und Wälder die Deutschen vor allem ein technisches Verhältnis zu ihrer Natur haben. Die
FAZ findet dies "in großer Ausgeruhtheit" aufgeschrieben, die
NZZ "glänzend". Die
Zeit findet diese Studie zur Ideengeschichte der deutschen Landschaft nicht nur
tiefschürfend, sondern auch
unterhaltsam. ()
KunstMit seinem Buch
"Galilei der Künstler" hat der Kunsthistoriker
Horst Bredekamp seine Kollegen und die Kritik in Verzückung versetzt. Selten, da sind sich alle einig, habe jemand so profund und so aufregend über das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft geschrieben. Als "Abenteuer der Erkenntnis" bejubelt die
taz das Buch. Die
NZZ vergibt ebenfalls Bestnoten und findet vor allem die erstmals abgedruckten
Mondbilder Galileos spektakulär. Spannend findet das alles auch die
SZ, die
Zeit "atemberaubend" und die
FAZ "betörend illustriert". ()
Unterschiedlich aufgenommen wurde
Hanno Rauterbergs "Und das ist Kunst?!", der einen Bresche durch das Dickicht des Kunstbetriebs, die Museen und die Geschichte schlagen will. Die
FAZ hat von dem Buch viel gelernt und mochte insbesondere die "Sehanleitungen" des
Zeit-Kunstredakteurs. Die
FR ist dagegen gar nicht einverstanden mit Rauterbergs "Ich-Kriterien" zur Beurteilungen von Kunst.
MusikZum 125-jährigen Bestehen der
Berliner Philharmoniker legt Misha Aster in deren Auftrag nun die lang vermisste Studie zur Geschichte des Orchesters im Dritten Reich vor. Aster überzeugt die Kritiker als vielseitig begabter Autor: Der Mann versteht etwas von Geschichte und Dramaturgie, Komposition und Opernregie. Anschaulich, schlüssig und nie einseitig, lobt etwa die
FAZ, erzähle Aster die Geschichte des
"Reichsorchesters", das von den Nationalsozialisten ebenso privilegiert wie instrumentalisiert wurde. Der
Tagesspiegel weiß zu schätzen, dass Aster "penibel" auf einen "sachlichen Ton" achtet und sich moralischer Urteile enthält. Die
SZ zollt ebenfalls ihre Anerkennung, besonders der Auswertung zahlreicher, oft lange ignorierter oder geleugneter Quellen. ()
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