06.11.2017. Dies ist die Saison, in der sich das Eichhörnchen Otto mit einer stachigen grünen Kugel, Italo Calvinos "schwarzes Schaf" mit Dieben und Gaunern, Ich so mit Du so und Angie Thomas' Heldin mit weißem und schwarzem Rassismus auseinandersetzen.
Kinderbücher bis 6 Jahre"Nenn mich nicht Mama!" ruft das kleine Eichhörnchen Otto irgendwann dem puschligen Kerlchen, das aus einer
stachligen grünen Kugel geschlüpft kommt, zu. Das Fellknäuel beschließt bei Otto zu bleiben und wirbelt von nun an sein Leben gehörig durcheinander. Ganz verzaubert betrachtet
SZ-Kritikerin Karin Gruß die abwechselnd zarten und dann wieder "großflächigen" Kreide- und Buntstiftzeichnungen der kanadische Zeichnerin
Marianne Dubuc, die ihr hier von tierischen und menschlichen Schwächen und einer ganz außergewöhnlichen Freundschaft erzählt. Durch einige Kinderhände von Brügge bis Köln muss
Nikolaus Heidelbachs kleiner
"Schornsteinfeger" erstmal, bevor er seine Mission als Talisman erfüllen kann. Für
NZZ-Kritikerin Manuela Kalbermatten ist Heidelbachs Bilderbuch ein Spektakel der sehr fantastischen und hintersinnigen Art. Wie er
Alltag und Fantastik verbindet und zum Glühen bringt, scheint ihr witzig, poetisch und magisch. Und in der
FAZ lauscht Katharina Laszlo ganz verträumt den Kinderfiguren, denn diese Texte sind pure Poesie, schwärmt sie.
Mit seinem Kinderbuchdebüt
"Pelle und Pinguine" begeistert der Wiener Autor
Henning Callsen SZ-Kritikerin Heike Nieder. Die Geschichte um den trübsinnigen
kleinen Eisbären, der lustlos in seiner Schneehöhle liegt, bis sein Papa ihm das Waisenmädchen Pinguine vom Südpol mitbringt, scheint der Kritikerin "frisch und lebendig". Vor allem aber verliebt sie sich in die vielen Nebenfiguren, wie etwa den "liebeskranken Lotsefanten". Ein wunderbares Vorlesebuch mit tollen Zeichnungen von Sabine Willharn, meint sie.
Italo Calvinos "Das schwarze Schaf" sollte man Kindern hingegen lieber nicht zur Nacht vorlesen, rät
FAZ-Kritikerin Ursula Scheer - zu viele
Diebe und Ganoven tummeln sich in der grimmigen Geschichte, in der Calvino von einem fiktional existierenden Turbokommunismus erzählt. Ohnehin bewundert Scheer vor allem
Lena Schalls hinreißende Bilder: Wie die Zeichnerin aus Müll Figuren schafft und mit ihnen den gemalten Raum belebt, das ist was für Bildersüchtige mit Faible fürs Skurrile, meint die Rezensentin. Für die
FAZ hat sich Fridtjof Küchemann mit
Finn-Ole Heinrichs,
Dita Zipfels und
Halina Kirschners "Trecker kommt mit" auf eine Abenteuerreise begeben, die er am liebsten laut lesen möchte.
Kinderbücher bis 12 JahreSo spannend und so ironisch hat selten jemand die Frage umkreist, wie einzigartig man ist und was die Literatur für Trost bereit hält, wie
Alina Bronsky in ihrem Kinderroman
"Und du kommst auch drin vor" schwärmt Ramona Lenz in der
FAZ. Erzählt wird von der fünfzehnjährigen unauffälligen Kim, die gemeinsam mit ihrer exzentrischen Freundin Petrowna bei einer Lesung ihre eigene Geschichte hört, der Autorin auflauert, um zu erfahren, wie es weitergeht und schließlich versucht, einen Todesfall zu verhindern. Eine
aberwitzige Story und große Persiflage zum Thema
Dichtung und Wahrheit mit einem überraschenden Ende, lobt Hilde Elisabeth Menzel in der
SZ.
Der vierzehnjährige Sinan steigt in seiner Heimatstadt
Konstantinopel in den Orient-Express, reist zur
Weltausstellung nach Paris im Jahre 1889, freundet sich mit dem Küchenjungen Pierre an und steckt bald mit in einem Kriminalfall. Für
SZ-Kritiker Stefan Fischer ist dieses Buch von
Stephan Martin Meyer und
Thorwald Spangenberg Abenteuerroman, Sachliteratur, Bilder-, Geschichts- und Lehrbuch in einem. Wie feinfühlig, anschaulich und authentisch die Autoren in
"Mit dem Orient-Express nach Paris" all das ineinander verschränken, spannend erzählen und ihre jungen Lesern mit vielen wichtigen Themen der Zeit wie Klassengegensätze, Grenzen und vor allem
Europa konfrontieren, hat den Kritiker beeindruckt. Mit in die "spröde Schönheit des Eismeeres" lässt sich NZZ-Kritikerin Manuela Kalbermatten von
Frida Nilssons Kinderbuch
"Siri und die Eispiraten" mitnehmen. Vor allem aber geht es um ein junges Mädchen, das sich auf einem Handelsschiff auf die Reise macht, ihre Schwester aus den Händen von kinderraubenden Piraten zu befreien. In der
FAZ staunt Eva-Maria Magel, wie
bildersatt,
bizarr,
fantastisch und doch schlüssig ihr die schwedische Autorin das Panorama einer vormodernen nordischen und
ziemlich blutrünstigen Welt entfaltet und dabei eine antikapitalistische Botschaft unterbringt.
Zunächst ist die kleine Lumi gar nicht begeistert, als
ihre Oma bei ihr zuhause einzieht: Sie vergisst viel, macht komische Dinge und erzählt viel von früher. Bald kann sie sich ein Leben ohne ihre
"Baby Oma" gar nicht mehr vorstellen. Was für ein Debüt, schwärmt
SZ-Kritikerin Andrea Duphorn über dieses Kinderbuch:
Friederike Köpf gelinge das Kunststück, schon Kinder im Grundschulalter mit dem Thema
Demenz vertraut zu machen, und das mit Witz, Einfühlungsvermögen und in "schnoddrigem" Ton. Ebenfalls gut besprochen wurde
Simon Roussins nun ins Deutsche übersetzter Wildwest-Comic
"Der Bandit mit dem goldenen Colt" der von zwei Waisenbrüdern erzählt, die durch ein dramatisches Ereignis voneinander getrennt werden und sich nach zahlreichen Abenteuern wiederbegegnen.
FAZ-Kritiker Andreas Platthaus lobt
Farbenfreude und Bilddramaturgie und in der
taz staunt Eva-Christina Meier, wie Roussin klassische
Wildwestmotive vom überkommenen Pathos und "Heroismus" der Vorbilder berfreit.
Peter Wohlleben, der Deutschen liebster Förster und Sachbuchautor, erklärt nach Bestsellern wie "Das geheime Leben der Bäume" in
"Hörst du wie die Bäume sprechen" nun erstmals auch Kindern, wie
Bäume miteinander kommunizieren. Hubert Filser hat sich in der
SZ gern auf die Entdeckungsreise mit Wohlleben begeben: Er lernt hier die Schmackhaftigkeit von Buchenblättern, die Abwehrmechanismen der Bäume und das "Kaugummi" Fichtenharz kennen, sieht den Wald nach der Lektüre mit ganz neuen Augen und versichert: Kinder werden das Buch neugierig beiseite legen und zu eigenen Erlebnissen in den Wald aufbrechen. Wie man Kinder für
Museen und Galerien begeistern kann, ist in dem von den Museumsleuten
Ondřej Chrobák,
Rotislav Koryčánek und
Martin Vanĕk zusammengestellten Wimmelsachbuch
"Wie kommt die Kunst ins Museum?" zu erfahren. Ob Museumsgeschichte, Raubkunst, Kunstfälschung oder Aufbewahrung und Transport von Kunst - die Autoren blicken spannend und mit fantasievoller Gestaltung
hinter die Kulissen von Museen und Galerien, schwärmt in der
SZ Anette Dittel, der auch die Zeichnungen in diesem Band gut gefallen haben.
Insekten sind wegen der akuten Sorgen um ihren Bestand ein aktuelles Thema -
Anne de Angelis' und
François Lasserres wunderschön illustriertes
"Museum der Insekten" gibt Kindern laut Katrin Blawat in der
SZ einen ersten berauschenden Einblick in die Artenvielfalt der Spezies.
JugendbücherKaum ein Jugendbuch wurde in dieser Saison so oft, und vor allem so begeistert besprochen wie
Angie Thomas' Debütroman
"The Hate u give" Die Geschichte um einen schwarzen Jungen, der
von einem weißen Polizisten erschossen wird, dessen Tat für ihn folgenlos bleibt, mag zwar nicht neu sein, aber Thomas' Erzählung haut die KritikerInnen um:
FR-Kritikerin Susanne Lenz folgt nicht nur tief bewegt der 16-jährigen Heldin Starr, die in einem armen Viertel aufwächst und als einzige Schwarze
eine Privatschule besucht, sondern staunt auch über die hohe Aktualität des Romans. Dass hier nicht moralisch einseitig geurteilt wird, Zwischentöne Platz finden und auch Rassismus von Schwarzen gegen Weiße eine Thema ist, findet Lenz bemerkenswert. Und am Rande ihres
Zeit-Interviews mit Thomas lernt Katrin Hörnlein viel über die Welt der
Gangs,
Drogen und
Gewalt und bleibt nach der Lektüre fassungslos, wütend und verzweifelt zurück. Im
Guardian lobt Alex Wheatle das Buch.
Ein von den Kritikern ebenfalls vielfach empfohlener Jugendroman kommt diese Saison aus Frankreich. In
Clementine Beauvais'
"Königinnen der Würstchen" gewinnen drei ohnehin durch Trennung der Eltern gebeutelte Mädchen den
Hässlichkeitswettbewerb an ihrer Schule und begeben sich schließlich auf einen chaotischen Roadtrip nach Paris, den sie sich durch Würstchenverkauf finanzieren. In der
NZZ ist Alice Werner ganz beglückt, wie Beauvais die Themen
Cybermobbing, soziale Zwänge, Trauer und erste Liebe in einem Buch verbindet, dabei einfühlsam, witzig und mit Verve erzählt. Eine Erweckungsgeschichte und ein aberwitziges Roadmovie, schwärmt sie. Für
SZ-Kritikerin Christine Knödler ist das Buch ein außergewöhnlich scharfer und
moderner Schelmenroman, in der
FAZ erscheint Ramona Lenz das Buch wie ein kluger, sympathischer und unterhaltsamer feministischer Blog. Von der Studentin Nika, die nach einer durchfeierten Nacht ohne Erinnerung durch Siena streift und nach dem Tod ihrer Mitbewohnerin unter Mordverdacht gerät, erzählt
Ursula Poznanski in ihrem Roman
"Aquila" Zeit-Kritikerin Sarah Schaschek liest gespannt, wie die Autorin
seelische Abgründe entfaltet, zwei äußerst ambivalente Figuren zeichnet und vom Verrat unter Freundinnen erzählt. Die psychischen Erkrankungen der Mädchen kommen ihr allerdings zu kurz.
Der syrische Autor
Rafik Schami nimmt uns in seinem neuen Roman
"Sami und der Wunsch nach Freiheit" mit in seine Heimatstadt
Damaskus nach dem Ausbruch der
syrischen Rebellion. Erzählt wird die abenteuerreiche Geschichte der beiden Freunde Sami und Sharif, deren Kindheit und Jugend durch die Diktatur bestimmt ist und die sich schließlich einem geheimen Online-Blog anschließen, der die Revolution gegen die Diktatur plant. In der
SZ ist Roswitha Budeus-Budde beeindruckt, wie Schami verschiedene Szenen zu einem "bunten Erzählteppich" verwebt. Im
Tagesspiegel staunt Rolf Brockschmidt, wie bewegend und unaufgeregt der in Deutschland lebende Autor von der Freundschaft seiner Helden und der Stimmung im vorrevolutionären und revolutionären Syrien erzählt. Ein
ganzes Jahrhundert russischer Geschichte vom Ersten Weltkrieg über die Revolution bis hin zum Zerfall der Sowjetunion, erzählt anhand einer Großfamilie, präsentieren uns die Moskauer Künstlerin
Alexandra Liwina und die Autorin
Anna Desnitskaya in ihrem
"Alten Haus in Moskau" In der
Zeit freut sich Benedikt Erenz über die knappen Dialoge, Gedichte, Fotos und Dokumente in diesem lehrreichen "Wimmelbuch", in der
SZ versteht Tim Neshitov das heutige Russland nach der Lektüre besser und in der
FAZ würde sich Kerstin Holm einen derart originellen Bildband aus Kindersicht auch über Berlin wünschen. Sehr gut besprochen wurde auch
Jon Walters endlich auf Deutsch erschienener Roman
"Mein Name ist nicht Freitag" der von einem schwarzen Waisenjungen erzählt, der als Sklave auf einer Baumwollplantage in den Südstaaten lebt.
SZ-Kritikerin Martina Scherf lobt die eindringlichen Bilder, die vielschichtigen, lebendigen Figuren und den Verzicht auf Sentimentalitäten.