Bücherbrief

Bücherbrief Februar 06

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
31.01.2006. Das Bücherjahr ist in voller Fahrt: Thomas Lang hängt preisgekrönt "Am Seil", zwei Altmeister melden sich zurück, Mozart und Franklin stellen sich vor, und Fernandel plädiert ohne Worte für ein sündiges Leben.
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- in unserer Auswahl der besten Bücher 2005
- in der Auswertung der winterlichen Literaturbeilagen
- in Arno Widmanns Nachttisch
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"
- im vergangenen Bücherbrief



Am langen Seil

Vater Bert und Sohn Gert klettern auf den Dachboden, um ihrem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen. Für das Schlusskapitel von "Am Seil" hat Thomas Lang im vergangenen Jahr völlig zu Recht den Bachmann-Preis bekommen, schwört die taz. Aber nicht nur das Finale sei preisverdächtig, sondern der ganze Roman, der mal komisch, mal traurig, aber immer präzise die Geschichte der beiden Versager erzähle.



Väter und Frauen

Zwei Altmeister melden sich zurück: John Updike lässt in "Landleben" einen 70-jährigen Computeringenieur auf seine "fieberhaft promiske" Existenz zurückblicken. Wie illusionslos der "VIP der Leporellokunst" hier den Sex als Mittel gegen den Tod schildert, imponiert der FR nach wie vor. Auch John Irving zeigt keinerlei Altersmüdigkeit: "Bis ich dich finde" ist mit gut 1100 Seiten nicht nur sein bisher dickstes Buch, sondern laut taz auch das persönlichste und stringenteste. Wenn Jack Burns sich auf die Suche nach seinem Vater macht, ergeben sich hinreißende Szenen, die förmlich nach einer Verfilmung schreien, jubelt sie, und attestiert dem Wälzer eindeutige "Seitenverschlinger-Qualitäten".



Familie frisst Glamour

"Ellis, Ellis, who the fuck is Ellis?", skandiert die taz ein wenig verwirrt. Allerdings hat sich schon halb Amerika den Kopf darüber zerbrochen, was an "Lunar Park" autobiografisch ist und was Bret Easton Ellis nur erfunden hat. Ein junger, talentierter, versumpfter Schriftsteller versucht eine Familie zu gründen. Ebenso wie er alle diesbezüglichen Werte und Konventionen auf den Kopf stellt, will dieser Roman alles zugleich sein, Kolportage und Glamour-Satire und Gothic-Roman, was die taz goutiert und die FR ebenso sympathisch wie ambitioniert findet. Nur der FAZ kommt die bunte Mischung unnötig aufgemotzt vor.



Ein Haus in Lublin

Hanna Krall, neben Ryszard Kapuscinski die bedeutendste Journalistin Polens, fügt ihrem Panorama des vergessenen jüdischen Lebens in Polen ein weiteres Fragment hinzu. In "Eine ausnehmend lange Linie" konzentriert sie sich ganz auf die Bewohner eines Mietshauses in der Altstadt von Lublin. Anfang des 20. Jahrhunderts sind es assimilierte Juden, die dort wohnen. Dann wird das Haus zu einem Sammelpunkt für Menschen, die im Osten vor den Russen und im Westen vor den Deutschen fliehen. Wie Krall mit ihrer Montagetechnik Stück um Stück die Geschichte wieder lebendig macht, lässt die FR so schnell nicht mehr los.



Mozart, der Harlekin


Zu Mozart gibt es bald mehr Literatur als Einträge im Köchelverzeichnis. Wir haben die vier besten Neuerscheinungen ausfindig gemacht. Vom Informationsgehalt her kaum zu übertreffen ist laut Joachim Kaiser die kompakte Minibiografie "Wolfgang Amadeus Mozart" von Gernot Gruber. Der Autor sei "erschreckend" gelehrt, wunderbar behutsam und angenehm nüchtern. Martin Geck hingegen, der in "Mozart" auch sehr ausführlich auf die einzelnen Werke eingeht, finden alle ausnehmend originell, von der ungewöhnlichen Diskografie bis zur Deutung Mozarts als Harlekin. Rundum gelungen findet Joachim Kaiser außerdem die Mozart-Biografie von Piero Melograni, einem Professor für zeitgenössische Geschichte. Kaiser imponiert vor allem die "konkrete Weltfülle" des Buchs. Ein etwas anderer Zugang zu Mozart ist Lorenzo da Pontes "Geschichte meines Lebens" Der Librettist Mozarts erwähnt sein berühmtes Werk "Cosi fan tutte" zwar nur mit einem Satz, beschreibt sein Leben zwischen Wien, London und New York dafür aber so unterhaltsam, dass die SZ gerne mehr gelesen hätte.



Wenn Cäsar hobelt


Ein "luzides Lehrstück", geschult an Thukydides wie Machiavelli, erbilckt die NZZ in Werner Dahlheims Biografie von "Julius Cäsar" Die Legende Cäsar wurde erst nach dem Gallischen Krieg geboren, als er aus Ruhmsucht seine Macht nicht mehr an den Senat abgeben wollte. Die Zeit delektiert sich nicht nur an Dahlheims Sarkasmus, sondern hebt auch lobend hervor, dass er bei seiner spannenden Erzählung diejenigen nicht vergisst, die "bei den Spänen waren, als Männer, die Geschichte machten, hobelten".



Benjamin wird 300


Am 17. Januar war Benjamin Franklins 300. Geburtstag. Edmund S. Morgan schildert das unerhört ereignisreiche Leben des Wissenschaftlers, Erfinders und Staatsmannes in "Benjamin Franklin" inhaltlich so kompetent und stilistisch so elegant, dass die Rezensenten wunschlos glücklich sind. "Leichtfüßig" wirkt die Biografie auf die SZ, während die NZZ nun nicht nur alles über Franklin, sondern auch über die amerikanische Revolution weiß. Besonders auf ein deutsches Publikum zugeschnitten ist Jürgen Overhoffs "Benjamin Franklin" so die NZZ. Neben Franklins Reise nach Göttingen finde sich dort auch eine Rezeptionsgeschichte seiner Werke hierzulande.



Litauische Seelenwanderung

Ganz selbstverständlich reiht sich Eugenijus Alisanka mit seinem Gedichtband "Aus ungeschriebenen Geschichten" in die große Tradition litauischer Lyrik ein, schreibt die FAZ bewundernd. Am besten gefällt ihr der zweite der vier Teile, in dem Alisanka Europa als "tabula rasa" beschreibt, auf der "Reiche und Mächte mit Blut die Spuren ihrer Herrschaft" eingeritzt haben. Die Zeit hält Alisanka gar für den ersten Vertreter einer gesamteuropäischen Literatur, während die NZZ der "nomadischen Seele" des Dichters gebannt an die Ränder des Kontinents folgt.



Wie ist das mit Ihnen?

"Wir Amerikaner lehnen das sündhafte Leben strikt ab. Wie ist das mit Ihnen, Monsieur?" Ohnehin schon knifflig, doch Fernandel durfte wie auf alle anderen Fragen, die der Fotograf Philippe Halsman dem französischen Schauspieler für "The Frenchman" vor gut sechzig Jahren stellte, nur mit seiner zugegebenermaßen sehr ausdrucksstarken Mimik antworten. Herausgekommen ist ein "hinreißend komischer" Fotoband, wie die SZ versichert. "Frappierend" erscheint es der FAZ, wie die damals noch als Kuriosum betrachteten kulturellen Unterschiede zu Tage treten.