Bücherbrief

Bücherbrief März 06

Der Newsletter zu den interessantesten Büchern des Monats.
28.02.2006. Ein hoffnungsvoller Bannerträger der jungen deutschen Literatur, eine kenntnisreiche Bestandaufnahme des Iran, geniöse Schönheit und 1100 Seiten John Irving: die Bücher tauen auf!
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Der Bücherbrief kommt auch per eMail, wenn Sie hier Ihre Adresse eingeben. Weiterempfehlen können Sie ihn natürlich auch. Noch mehr Anregungen gibt es
- in unserer Auswahl der besten Bücher 2005
- in der Auswertung der winterlichen Literaturbeilagen
- in Arno Widmanns Nachttisch
- in Vorgeblättert
- in der Krimikolumne "Mord und Ratschlag"
- im vergangenen Bücherbrief


Der neue Ton

Ein literarisches Versprechen! Der Debütroman des 1977 geborenen Kevin Vennemann hat den Kritikern allesamt den Boden unter den Füßen weggezogen. Auf provozierend melodiöse Weise erzähle Vennemann von zwei jüdischen Familien im Polen des Zweiten Weltkriegs, die von ihren katholischen Nachbarn verraten werden, als als sei es eine Kindergeschichte, gibt die Zeit zu Protokoll, die in "Nahe Jedenew" einen unerhörten, ganz eigenen Ton vernimmt. Die FAZ hat ein meisterhaftes literarisches Exerzitium anzuzeigen und ergibt sich dem Sog von Mord und Inferno. Die SZ fühlt sich gar in ein flirrendes Erzählkontinuum versetzt, dass sich ständig neu zusammensetzt.


Land des Heuchelns

Hochgelobt wird Christopher de Bellaigues Porträt des Iran. "Im Rosengarten der Märtyer" beschreibt die stetige Ernüchterung der iranischen Gesellschaft, seit die Ayatollahs regieren. Da das Original bereits im Juni 2005 erschien, hat der neue Präsident Ahmadinedschad keinen Eingang in das Buch gefunden. Bellaigue, der als ehemaliger Korrespondent der Zeitschrift Economist fließend Farsi spricht, hat auf seinen Reisen mit allen gesprochen - vom Kriegsveteranen bis zum Geheimdienstler. Für die taz bietet das Buch einer faszinierenden Hintergrundanalyse, die FR lobt das Erzähltalent des Autors, die Zeit findet das Kapitel über die Morde an Schriftstellern und Intellektuellen im Jahr 1998 besonders spannend.


Gewaltige Ideenfülle

Der Bosnier Simon kehrt nach dem Exil in Berlin 1991 in seine Heimatstadt Foca zurück, kurz bevor der Balkan explodiert. Wie elegant und kraftvoll Dzevad Karahasan die aufbrechende Gewalt zwischen den Menschen beschreibt, das hat die NZZ umgehauen. Spannend, historisch genau, witzig, ideenreich und klug, all das ist "Der nächtliche Rat" () für sie. In dem Roman, der tief ins Mythologische eingesenkt ist, verleugnen alte Bekannte den Heimkehrer Simon, bis er schließlich des Mordes an vier engen Freunden verdächtigt wird. Dazu eineaus unserem Vorgeblättert.


Kurzweiliges Riesendrehbuch

Hinreißende Szenen, die danach schreien, verfilmt zu werden! John Irvings neuer Roman "Bis ich dich finde" ist mit gut 1100 Seiten nicht nur der längste, sondern auch der stringenteste Irving bisher, bekundet die taz, die dem genau durchkomponierten Buch regelrechte Seitenverschlingerqualitäten attestiert. Die autobiografisch inspirierte Figur Jack Burns, die ihre Karriere von einer Mädchenschule bis nach Hollywood führt, zeichne sich durch ebenso ausgeprägte Ich-Störungen wie ein robustes Ego aus. Der SZ kommt nach viel Komischem und Anrührendem gegen Ende allerdings die Dramaturgie abhanden.


Wahrhaft zutreffend

"Bullshit" ist allgegenwärtig, der Autor des gleichnamigen Buches, Harry G. Frankfurt, ist es ebenso. Seine vor 20 Jahren verfasste und jetzt wieder aufgelegte Suada gegen den Untergang der Wahrheit im öffentlichen Diskurs ist so aktuell wie nie zuvor. Die Begründung für den Irakkrieg etwa war ein Musterfall des "Bullshitting", weshalb der Philosoph gerade Interview um Interview gibt. NZZ und FAZ staunen, was Frankfurt aus dem kleinen Wörtchen alles herausholt, letztere bekommt aber bald zuviel von dem "Sprachpolizisten", der selbst ein bisschen viel heiße Luft produziere. Die SZ hat dagegen ihre reine Freude am fulminanten Gepoltere des Amerikaners.


Killer als Kulturschaffende

Schon mit seinem Pseudonym hat sich der einflussreichste Schriftsteller der japanischen Kriminalliteratur, Edogawa Rampo, in den Windschatten des Meisters Edgar Allan Poe begeben. In seinen Erzählungen mischt Rampo westliche Tradition mit spezifisch japanischen Alptraumwelten. Die taz und die FR freuen sich nun beide über "Spiegelhölle" eine sorgfältig edierte Auswahl von acht Geschichten, gegen die sich zeitgenössische japanische Horrorfilme geradezu harmlos ausnehmen. Zur Abrundung empfehlen wir "Killer, Krimis, Kommissare" Jörg von Uthmanns fruchtbare Kulturgeschichte des Mordes. Laut FAZ ersetzt der kleine Band eine ganze Bibliothek.


Untergründig bitter

Lars Brandts ambitioniertes "Andenken" an den Vater Willy Brandt hat alle Kritiker berührt und beeindruckt. Die taz meint, dass man nicht nur einen scharfen Eindruck vom Politiker Brandt bekommt, sondern auch von der komplizierten Vater-Sohn-Beziehung. Der FAZ dagegen gefällt gerade das Diffuse der Darstellung. Beachtung verdient nach einhelligem Urteil die Prosa von Lars Brandt, der geschliffene Miniaturen hervorbringt, die sich wie "Mosaiksteine" zu einem Bild mit durchaus beabsichtigten Rissen zusammenfügen. Die NZZ glaubt durch die Zeilen die menschliche Knauserigkeit des Vaters und die daraus resultierende tiefe Verletztheit des Sohnes zu spüren.


Ich bin Italien

Nachdem Alexander Stille ausführlich dargelegt hat, wie Silvio Berlusconi vom kleinen Bauspekulanten zum Ministerpräsidenten und Medientycoon aufsteigen konnte, hofft die Zeit umso inbrünstiger, dass der Cavaliere am 9. April nicht wieder gewählt wird. Schockierend und faszinierend lese sich "Citizen Berlusconi" besonders wenn Stille "sehr konkret" auf die Mafiakontakte von Berlusconi und seinem Tross zu sprechen kommt. Und das Erfolgsgeheimnis Berlusconis kennen wir jetzt auch: der unerschütterliche Glaube an Berlusconi als self fulfilling prophecy. Dazu eineaus unserem Vorgeblättert.


Monumente der Schönheit

Die Schönheitsdroge Botticelli wirkt sofort, versichert die FAZ, besonders jetzt, da die Florentiner Bilder nach einem Vierteljahrhundert der Restaurierung in frischer alter Pracht erstrahlen. Für Liebhaber wie Kenner ist Frank Zöllners Monografie "Botticelli" gleichermaßen geeignet, da sie zunächst den Werdegang des Renaissance-Genies beleuchtet, um sich dann wissenschaftlich auf dem neuesten Stand mit dem Werk zu beschäftigen. Der Zeit gefällt vor allem, dass Zöllner Zurückhaltung übt und immer nur so viel zu den Bildern schreibt, dass der Betrachter die vielen versteckten Anspielungen selbst entschlüsseln kann. Der Verlag allerdings erntet Kritik für Aufmachung und Preis.