30.10.2006. Der Aufstand in Ungarn 1956, die Amtszeit Gerhard Schröders, die Soziologie der U-Bahn und alte Lichtspielpaläste. Gewichtiges und Federleichtes im späten Herbst.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen
Bücherbrief- in
Arno Widmanns Vom Nachttisch geräumt- in
Vorgeblättert- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
- in unserer
Auswahl der
besten Bücher 2005Die besten Bücher des Herbstes, inklusive der Beilagen zur
Frankfurter Buchmesse, finden Sie übrigens in den
Büchern der Saison, die demnächst fertig werden sollten.
Buch des MonatsGyörgy Dalos1956Der Aufstand in Ungarn
Im Vergleich mit
Gerhard Schröders Amtszeit erschien uns der Aufstand in Ungarn letztlich doch gehaltvoller. György Dalos' groß angelegten Essay über 1956 lieben alle, ob nun
Zeit,
FR, oder
NZZ. Die
SZ lobt das Buch sogar gleich zwei Mal hintereinander. Besonders angetan sind die Rezensenten nicht nur von den historischen Nahaufnahmen aus dem
chaotischen Budapest, sondern auch vom sympathisch differenzierten Porträt Imre Nagys und von der betont objektiven Gesamtsicht auf die Ereignisse. Noch sachlicher, ja grundseriös ist nach den Aussagen aller Rezensenten der Bericht
"Der Ungarnaufstand 1956" des Journalisten
Paul Lendvai. Eine umfassende Darstellung, durchsetzt mit aufschlussreichen Nahaufnahmen: die Kritikergarde fühlte sich bestens informiert!
LiteraturGerhard SchröderEntscheidungenMein Leben in der Politik
Ob
Gerhard Schröders Erinnerungen nun eher das Werk des Altkanzlers oder seines ehemaligen Regierungssprechers
Uwe-Karsten Heye sind - gut geschrieben findet die
SZ das Buch auf jeden Fall. Beim Inhalt kommt es ihrer Meinung nach ganz darauf an: Die Beschreibung des Konflikts mit den USA über den Irakkrieg etwa bekommt eine Eins, die Einschätzung Putins als nach wie vor
lupenreinen Demokraten eine Sechs. Süffisanter geht die
FR ran, die Schröder hier vor allem verdächtigt, die großen Linien seines Lebens im Nachhinein zu begradigen oder gar zu erfinden.
Ford Madox FordDer Mann, der aufrecht bliebRoman
Wahrhaft umgehauen hat die
NZZ dieser dritte Teil von
Ford Madox Fords Romantetralogie um Christopher Tietjens und den Ersten Weltkrieg. Einzigartig und äußerst zwingend findet sie "Der Mann, der aufrecht blieb", vor allem wegen der Verschränkung von zivilem Alltag, ehelichem Zusammenleben und dem millionfachen Tod auf den Schlachtfeldern. Überrascht haben sie die
akustischen Schrecken des Krieges, die Ford besonders eindrücklich schildern könne. Dass intensive Kriegsdarstellung und satirischer Gesellschaftsroman sich manchmal reiben, bringt das
Gesamtkunstwerk nicht zum Einsturz, so die Zürcher Zeitung.
Georges-Arthur GoldschmidtDer Stoff des Schreibens Unbedingt hinweisen wollen wir auf
Georges-Arthur Goldschmidt. In den Vorlesungen, die er 1996/1997 in Lyon hielt, hat er über die deutsche Sprache und ihre Eigenheiten im Vergleich mit dem Französischen nachgedacht, und zwar am Beispiel der Begriffe, die
Sigmund Freud für die Psychoanalyse entwickelt hat. Die
FAZ staunt über die Einsicht, dass nur ein Deutscher die Psychoanalyse hat entwickeln können. Die
NZZ diagnostiziert eine riskante
stilistische Gemengelage aus Aphoristischem und Allgemeinem. Wunderbar zu lesen ist es auch, meint der
Perlentaucher.
SachbuchHolm Friebe / Sascha Lobo Wir nennen es Arbeit Die digitale Boheme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung
Digitale Boheme oder
urbane Penner: Wie man die selbständigen jungen Kreativen nennen soll, die irgendwie mit oder über das
Internet Geld verdienen, ist noch nicht ganz klar. Holm Friebes und Sascha Lobos Versuch, sie zu beschreiben, hat der
SZ aber gefallen. Schließlich ist die Existenz dieser neuen Spezies nicht mehr zu leugnen.
Treffende Beobachtungen über Gamer und Blogger sind zu verzeichnen, auch wenn eindeutige Definitionen ausbleiben. Nicht restlos aufgeklärt, aber angeregt, so wirkt die
SZ nach der Lektüre.
Lucas CejpekDichte Zugfolge Dass man tiefschürfende Gedanken zur
U-Bahn anstellen kann, verwundert die
SZ nicht. Wie gelungen und in welch dichter Form
Lukas Cejpek das tut, erstaunt sie dann doch, auf angenehme Weise. Viele Beobachtungen, ergänzt mit
skurrilen Begebenheiten und Nebensächlichem, aber auch ein ernsthafter Versuch zur Soziologe der Untergrundbahn: Die
SZ hat sofort ein
MVV-Jahresticket beantragt.
BildbandVolker NothKinosBerlin um die Ecke und Entdeckungen unterwegs
Volker Noth hätte genauso gut Grabsteine fotografieren können, seufzt Michael Althen in der
FAZ, dem das Herz überquillt vor
Wehmut beim Durchblättern der Fotos von alten Kinos in Berlin und Umgebung: Verlorene Paradiese auf jeder Seite, von denen es die meisten schon gar nicht mehr gibt. Ein Buch für alle, die sich unter dem Begriff
Lichtspielpalast noch etwas vorstellen können.