03.01.2007. Eine Reise nach Minsk, die Sonnenstadt der Träume, der letzte der Elefanten-Romane von Dostojewski in der Maßstäbe setzenden Übersetzung von Swetlana Geier und eine tollkühne Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts: nichts ist unmöglich im neuen Jahr.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen
Bücherbrief- in
Arno Widmanns Vom Nachttisch geräumt- in
Vorgeblättert- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
Die besten Bücher der zweiten Jahreshälfte
finden Sie übrigens in den
Büchern der Saison. Und natürlich haben wir sämtliche
Literaturbeilagen ausgewertet.
Buch des MonatsStefan WeidnerFesSieben Umkreisungen
Schon mit den
"Mohammedanischen Versuchungen" hat sich
Stefan Weidner als hervorragender Mittelsmann für eine Annäherung an die islamische Kultur bewiesen. In "Fes" versucht er nun die postkoloniale
Moderne in Nordafrika zu beschreiben. Die
Zeit sieht hier literarische Autobiografie, Essay, Reportage und Fotoband zu einem ungemein anregenden
Brückenschlag verschmelzen. Die
NZZ erfährt in sieben Umkreisungen das radikal Fremde - in weltlicher wie mystischer Hinsicht - und ist wahrlich allumfassend begeistert.
LiteraturArtur KlinauMinskSonnenstadt der Träume
Durch
Artur Klinaus autobiografischen Essay kennt die
NZZ die weißrussische Hauptstadt Minsk jetzt wie ihre Hosentasche, wie der Schweizer sagt. Klinau liefere keine westlichen Klischees, dafür aber
hellsichtige Schilderungen von Gebäuden, Menschen und ihrer Geschichte. Und wenn er die eigene Biografie mit einbringt und etwa erzählt, wie er als Kind mit den Schädeln aus stalinistischen Massengräbern gespielt hat, fühlt sich die
NZZ ganz nah am Puls der Stadt. Nicht zuletzt die couragierte Kritik an Diktator Lukaschenko mache das Buch äußerst lesenswert.
Jörg AlbrechtDrei HerzenRoman
Es geht alles sehr schnell, meint die
NZZ, die noch ein wenig atemlos, aber durchaus begeistert von der Lektüre berichtet.
Jörg Albrecht hat mit seinem Debütroman ihrer Meinung nach die Popliteratur zur bisher reifsten und
aufgeklärtesten Form entwickelt. Das ganze sei ein Familienroman über drei Generationen hinweg, in den en passant eine Mediengeschichte eingearbeitet sei. Der
Zeit gefällt das, genauso wie der Stil, wenn Technikbegeisterung und der
Wille zur Poesie interessante Verbindungen eingehen.
Fjodor DostojewskiEin grüner JungeRoman
Natürlich ist ein "
Ein grüner Junge" auch für sich lesenswert, denn trotz einiger Konstruktionsmängel spürt die
FAZ auch hier das süchtig machende Dostojewski-Gefühl des Spätwerks. In erster Linie möchten wir aber auf
Swetlana Geier hinweisen, die mit diesem Band ihre vor 20 Jahren begonnene Neuübertragung der fünf "
Elefanten"-
Romane von Fjodor Dostojewski vollendet. Die über achtzigjährige Geier ist die bedeutendste Vermittlerin russischer Literatur im deutschen Sprachraum. Dass "ihr" Dostojewski auf Jahrzehnte hinaus den Maßstab setzen wird, gilt in Kritikerkreisen als so gut wie sicher.
Lajser Ajchenrand Aus der Tiefe Gedichte
Einzigartig findet die
Zeit die poetische Welt
Lajser Ajchenrands. Der hierzulande völlig unbekannte Ajchenrand verbindet moderne Bilder mit
jüdisch-mystischem Gedankengut und expressionistischer Metaphorik. Es geht um Auschwitz - Ajchenrands Mutter und Schwester wurden dort ermordet - und die Möglichkeit eines Gottes angesichts des allgegenwärtigen Verbrechens. Dass sich Übersetzer
Hubert Witt zurückhält und nicht alles überträgt, rundet diese späte, aber bedeutende Entdeckung für die
Zeit in schönster Weise ab.
SachbuchChristopher A. Bayly Die Geburt der modernen WeltEine Globalgeschichte 1780-1914
Überaus klug, nicht reißerisch, aber subtil: Wie der Kollege
Christopher A. Bayly das eurozentrische Bild des 19. Jahrhunderts knackt, nötigt Herfried Münkler in der
Zeit einigen Respekt ab. Die damals durchstartende Globalisierung ging keineswegs von Europa aus, erfährt er, sondern war ebenso polyzentrisch wie multikausal, und die
Taiping-Revolution mindestens genauso bedeutend wie 1848. Die
FAZ delektiert sich an der klaren Sprache und dem hohen Reflexionsniveau und kann es kaum glauben, wie gut dieses
tollkühne Vorhaben einer Globalgeschichte gelungen ist.
Michael HagnerDer Geist bei der ArbeitHistorische Untersuchungen zur Hirnforschung
Zweihundert Jahre Hirnforschung, und was bleibt? Nicht viel, außer dass gerade die Wissenschaft sehr von der Zeit abhängt, in der sie betrieben wird. In der Wissenschaft ist nichts endgültig, das haben alle Kritiker aus der vorzüglichen wissenschaftshistorischen Studie von
Michael Hagner gelernt. Auch für den Laien nachvollziehbar beschreibe Hagner die Entwicklung der Hirnforschung mit einem weiten Blick, der Studien an Gesichts- und
Hirnversehrten des Ersten Weltkriegs ebenso einschließt wie das Verhältnis von filmischer Ästhetik und Wissenschaft in einem Experimentalfilm von
Wsewolod Pudowkin.
Wolfgang BenzAusgrenzung - Vertreibung - VölkermordGenozid im 20. Jahrhundert
Vergleichende
Genozidforschung muss nicht auf die Relativierung des Holocaust herauslaufen, lernt die
SZ aus
Wolfgang Benz' Überblick über den Völkermord im 20. Jahrhundert. Gut gefällt ihr auch, dass hier keine Typologie der Genozide entwickelt wird. Sehr interessant fand sie auch das Kapitel über die
Rezeptionsgeschichte von Völkermorden.
Harry Graf KesslerDas Tagebuch 1880-1937Sechster Band: 1916-1918
Die
SZ outet sich als Fan von
Harry Graf Kessler im Allgemeinen und seiner Tagebücher im Besonderen. Nicht weniger als das
Grundbuch der Epoche liege mit den ausführlichen Aufzeichnungen vor, und auch der sechste Band profitiere von Kesslers scharfem Blick, seiner Beobachtungsgabe und
Formulierungskunst. Zeigten die bisherigen Bände Kessler vor allem als Kunstmäzen und Mann der intellektuellen Szene, so agiert er hier als "
Propaganda-Attache", Diplomat und graue Eminenz in den Wirren des Ersten Weltkriegs, wie die beeindruckte
SZ reportiert.
BildbandClaude W. Sui / Alfried Wieczorek (Hrsg.) Ins Heilige LandPilgerstätten von Jerusalem bis Mekka und Medina
Als Zeitzeugnis
unersetzbar, lautet das Verdikt der
SZ zu dem Band mit Fotografien aus dem 19. Jahrhundert, die bei Reisen zu Pilgerstätten wie Mekka und Medina entstanden. Hier könne man den modernen
Orientalismus in nuce miterleben und beobachten, dass auch die Bilder von Forschern eben nur scheinbar objektiv waren.
Informativ und beeindruckend, auch wenn die Rezeptionsgeschichte der Bilder in Deutschland leider nur stiefmütterlich behandelt werde.