03.07.2009. Mit blanker Wut inszeniert Pawel Huelle ein letztes Abendmahl in Danzig. Mahmud Doulatabadi lässt die Revolution im Iran scheitern. A. J. Liebling lehrt uns die Kunst des Boxens. Natascha Wodin liebt Wolfgang Hilbig. Monika Maron fährt nach Bitterfeld. Dies alles und mehr in den besten Büchern des Monats Juli.
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Bücherbriefen, unseren Notizen zu den
Literaturbeilagen vom
Frühjahr 2009, Ekkehard Knörers
Krimikolumne Mord und Ratschlag, den
Leseproben in
Vorgeblättert und in den
Büchern der Saison vom
Herbst 2008.
Literatur Pawel Huelle Das letzte Abendmahl Roman
C. H. Beck Verlag, München 2009, 266 Seiten, 17,90 Euro
Bestellen Schon wegen seiner bitterbösen und witzigen Grundidee möchte man den Roman lesen: Ein Maler lädt dreizehn Freunde zu einem Fototermin ein, bei dem sie als
Jesus und seine Jünger beim Abendmahl posieren sollen. Das ganze ist als Parabel über den Zustand des
heutigen Polen, den Niedergang der Ideale der Solidarnosc und mehr noch der Kirche gedacht - und es scheint zu funktionieren. Stefanie Peter hebt in der
FAZ Huelles Fähigkeit hervor, die Ereignisse eines einzigen Tages zu einem verwickelten Plot mit fantastischen Elementen, religionswissenschaftlichen Exkursen und Seitenhieben gegen die Kunst und den Klerus zu verarbeiten. Und Florian Kessler staunt in der
SZ, zu welcher
Wut dieser eigentlich gleichschwebend ironische Autor fähig ist.
Mahmud Doulatabadi Der ColonelRoman
Unionsverlag, Zürich 2009, 280 Seiten, 19,90 Euro.
Der Roman der Stunde. Nur die
NZZ war kosmopolitisch genug, um ihn vor den Unruhen im
Iran der Besprechung für würdig zu befinden. Die anderen folgten flugs nach dem 12. Juni. Mahmud Doulatabi, der aus kleinsten Verhältnissen kommt und bereits unter dem Schah in Bedrängnis geriet, gehört zu den großen iranischen Romanciers der Gegenwart. Sein Roman "Kelidar", so meldet der Klappentext des Zürcher Unionsverlags hoch beeindruckt, hat sich trotz 3.000 Seiten 100.000 Mal im Iran verkauft. "Der Colonel" reflektiert die
iranische Revolution als tragisches Geschehen, in das sich die Kinder der Titelfigur zuerst begeistert und dann traumatisiert hineinstürzten. Der Roman löste bei der Kritik
leicht gereizte und doch beeindruckte Reaktionen aus. Christian Thomas lehnte den Roman wegen politische Holzschnittartigkeit in der
FR letztlich ab. Erschüttert äußert sich dagegen Eberhard Falcke in der
Zeit. Ähnlich schreiben die Kollegen der anderen Zeitungen. Im
Perlentaucher gibt's übrigens eine
Szilard RubinKurze Geschichte von der ewigen LiebeRoman
Rowohlt Verlag, Berlin 2009, 17,90 Euro
Die
FR mag kaum glauben, glauben, dass dieser "poetische und illusionslose" Roman mehr als 40 Jahre unbemerkt blieb. Auch die
FAZ nimmt den späten Erfolg fassungslos zur Kenntnis, denn für sie gehört Szilard Rubins "Kurze Geschichte von der ewigen Liebe" schlichtweg zu den "
aufregendsten Liebesromanen des zwanzigsten Jahrhunderts". Rubin erzählt die Geschichte einer
amour fou im stalinistischen Ungarn der 40er und 50er Jahre, und zwar laut
FAZ "erschütternd schön und mühelos vollkommen".
Laszlo F. Földenyi hält den Roman nicht nur für eines der bedeutendsten Werke der ungarischen, sondern der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts überhaupt, wie er in der
NZZ schreibt.
Natascha WodinNachtgeschwisterRoman
Antje Kunstmann Verlag, Müchnen 2009, 18, 90 Euro
Alkohol-Exzesse, Entziehungskuren,
Liebeswut, Eifersucht, vergebliche Fluchten - Natascha Wodin schenkt sich und ihren Lesern nichts, wenn sie in diesem Schlüsselroman von ihrer Liebe zu dem vor zwei Jahren verstorbenen Dichter
Wolfgang Hilbig erzählt. Die Rezensenten habe es gern hingenommen. Karl Corino erklärt in der
FR Wodins Erinnerungen zum bewegendsten Buch, das er in den letzten Jahren überhaupt gelesen hat. In der
Zeit ist Ursula März fasziniert von Wodins literarischer Intelligenz, ihrer Schonungslosigkeit und der eigentlich etwas aus der Mode gekommenen Form der "verzehrenden Künstlerwildheit". Für den
Tagesspiegel ist das Buch vor allem eine "berückende Liebesgeschichte", die aber auch verrät, was eine Frau zehn Jahre an der Seite eines
Gefühlsmonsters hält: die Überredungskünste eines Lektors.
Reportagen Monika Maron Bitterfelder Bogen Ein Bericht
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 176, Seiten, 18,95 Euro
Monika Marons Roman "Flugasche" gehörte zu den Büchern, die Anfang der achtziger Jahre dafür sorgten, dass die Endzeitstimmung in der DDR greifbar wurde.
Umweltverschmutzung wurde beim Namen genannt, etwas das es in der marxistischen Theorie nicht gab und das man in der DDR darum geflissentlich übersah. Im "Bitterfelder Bogen" wird ausgerechnet die einst "schmutzigste Stadt Europas" zum Sinnbild eines gelungenen Aufbruchs. Blau ist das Cover nicht von ungefähr! Und ausgerechnet Q-Cells, ein
Solarbetrieb von ehemaligen Kreuzberger Alternativen wurde zur Triebkraft des Aufschwungs: Christoph Schröder feiert die Reportage in der
FR als "Therapieversuch gegen den von den Medien potenzierten ostdeutschen Selbsthass". Sehr positiv auch die Kritiken in der
FAZ und
im Tagesspiegel. Hier noch ein
Spiegel-
Interview mit Maron.
A. J. LieblingDie artige KunstBerenberg Verlag, Berlin 2009, 24 Euro
Vor einem Jahr hatte der Berenberg Verlag bereits die kulinarischen Paris-Reportagen "Zwischen den Gängen" des
New-
Yorker-Autors
A.J. Lieblings herausgegeben, nun beglückt er die Kritiker mit Lieblings Reportagen aus der großen Zeit des
Boxsports, als die Kämpfe von Joe Louis, Rocky Marciano und Sugar Ray Robinson als intellektuelles Vergnügen galten. Für die
Zeit markieren die Reportagen den Punkt, an dem der Journalismus in Literatur umschlug. Die
FAZ las mit Freude, wie genau Liebling nicht nur die Kämpfe - und selbst einen "blitzschnellen Uppercut" - beschreibt, sondern auch das ganze dazugehörige
halbseidene Milieu. Der ebenfalls begeisterte
Tagesspiegel lernte von Liebling, dass Boxen nicht nur Sport und Show war, sondern ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem sich "der
demokratische Geist Amerikas deutlicher zeigte als im Kongress".
Sachbuch Wilhelm von Sternburg Joseph Roth - Eine Biografie Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2009, 576 Seiten, 22,95 Euro
Johannes Willms, selbst als
Napoleon-Biograf ausgewiesen, ist sich in der
SZ sicher, dass diese Biografie auf absehbare Zeit das
Hauptwerk zu Leben und Werk des im galizischen Brody geborenen Schriftstellers Joseph Roth sein wird. So sieht es auch Oliver Pfohlmann in der
NZZ. So "
glänzend wie souverän" sei die Biografie erzählt, es gelinge ihr, die Selbststilisierungen des Schriftstellers zu korrigieren und, wo die Quellen dürftig sind, das wenige, was man weiß, in sachkundige Ausführungen über die
historische Zusammenhänge einzubetten. Zudem begrüßt Pfohlmann, dass Sternburg den Journalisten Roth ebenso intensiv beschreibt wie den Erzähler. Auch die psychologischen Deutungen etwa von Roths Alkoholismus scheinen ihm sensibel und nie denunzierend. (Hier eine
Martin van CreveldGesichter des KriegesSiedler Verlag, München 2009, 22,95 Euro
Ordentlich schlucken mussten die Kritiker bei der Lektüre von Martin van Crevelds "Gesichter des Krieges". Für den in der
Zeit rezensierenden
Herfried Münkler bewegt sich die Nüchternheit, mit der der israelische Militärhistoriker hier den Wandel des Krieges beschreibt, "am Rande des Skandals", aber was Creveld dann über
Kriegsführung, Logistik und Technik zu sagen hat, sei höchst lehrreich und absolut seriös. Auch Gustav Seibt in der
SZ war überzeugt: So zupackend, so detailliert und zugleich so mitleidlos wie Creveld in diesem "
ziemlich schrecklichen Buch" hat noch niemand geschildert, was im Krieg passiert: Pazifisten Europas, so sein Ruf, lest dieses Buch!
Eva IllouzDie Errettung der modernen SeeleSuhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009, 26,80 Euro
"Unsere Besessenheit, glücklich zu sein, macht das Leben nicht einfacher", hat Matthias Wulff von der Jerusalemer Kultursoziologin
Eva Illouz gelernt, der er ein
großes Porträt in der
Welt widmete. In ihren neuen Buch "Die Errettung der modernen Seele" erklärt Illouz, wie und warum die Psychologie immer größeren Bereiche der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt. Auch die
FR nahm dankbar zur Kenntnis, wie unaufgeregt, unideologisch und süffisant Illouz die allgemeine Verehrung der
emotionalen Intelligenz untergräbt, die mittlerweile nicht nur Talkshows und Unternehmensführungen beherrscht, sondern auch
Mafia-Serien.
Hörbuch Joanne K. Rowling Harry Potter Vollständige Lesung aller sieben Bände. DHV - Der Hörverlag, München 2009, 118 CD, 249,95 EUR
118 CDs. 145 Stunden. Da kann man Harry Potter nochmal ganz neu entdecken. Felicitas von Lovenberg, Literaturchefin der
FAZ, zeigt sich von der Lesung des Schauspielers
Felix von Manteuffel beeindruckt: Im Unterschied zu Rufus Beck, dessen Lesung für sie etwas sehr Kinderbuchartiges hat, scheint ihr Manteuffels Version auch für
Erwachsene bestens geeignet. Und auch die Charakterisierung der Figuren hat ihr gefallen.