04.03.2008. Von Müttern ohne Scheu vor Schrotflinten, der Elite ohne Anstand und einem Bestattungsunternehmer ohne Bezug zu seiner Tochter, davon handeln unsere besten Bücher des Monats März.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen
Bücherbrief- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
Die Besten der Besten des vergangenen Jahres finden Sie in den
Büchern der Saison 2007.
LiteraturAlison BechdelFun HomeEine Familie von Gezeichneten
Das
Time Magazine hat
Alison Bechdels gezeichnete Annäherung an ihren Vater zum besten Buch des Jahres
gekürt. Bechdel erzählt von ihrer Kindheit mit ihrem Vater, einem Bestattungsunternehmer und Englischlehrer, der seiner Tochter gegenüber als
distanzierter Ästhet auftritt. Kurz vor seinem frühen Tod findet Alison heraus, dass ihr Vater homosexuell ist, ebenso wie sie. Sehr
intelligent und prägnant erzählt findet die
SZ das, wenn sie auch manchmal die Ironie vermisst.
Verena StefanFremdschläferRoman
Sowohl mit der Sprache als auch mit dem Inhalt ihres sogenannten Romans betritt Verena Stefan
Neuland, merkt die
SZ beeindruckt an. "Fremdschläfer" bezeichnet in der
Schweizer Amtssprache einen nicht an seinem angegebenen Schlafplatz nächtigenden Asylbewerber. Die in Kanada lebende und in Bern geborene Autorin münzt den Begriff nun auf ihre Erfahrungen mit einem fremden Land, einer fremden Frau und einem durch den Krebs
entfremdeten Körper. Wie schon in ihrem berühmten Buch "
Häutungen" vor dreißig Jahren gelinge es ihr dabei wieder, Sprache auf ihren Wesenskern zu reduzieren, lobt die
Zeit. Ein Roman sei diese autobiografisch durchwirkte Erzählung zwar nicht, fügt die
NZZ hinzu, dafür ein Buch, das nachhallt.
Elke ErbSonanz5-Minuten-Notate
Zwei Jahre lang hat sich Elke Erb
jeden Tag fünf Minuten hingesetzt und aufgeschrieben, was ihr so durch den Kopf geht. "Schon bei der Niederschrift zeigten sich
irritierende Obsessionen", kommentiert die
Siebzigjährige ihren Selbstversuch. Das Ergebnis ist jede Irritation wert, versichert die
NZZ. Der Witz, die Geistesgegenwart
und den Reichtum an Assoziationen, den man in den kurzen Texten vorfinde, sei schlicht betörend. Die
FR gesteht
Elke Erb kurzum ihre Liebe.
Jonathan LittellDie WohlgesinntenRoman
Vielleicht nicht das beste, aber das bestdiskutierte Buch des Monats: Unerhörte neun Rezensionsnotizen gibt es bei uns zu
Jonathan Littells Riesenwälzer zu finden. Das liegt daran, dass gleich mehrere Zeitungen zwei Rezensenten bemühten, um den fiktiven Erinnerungen eines
homosexuellen SS-Karrieristen gerecht zu werden. Oder besser, um ihn in der Luft zu zerreißen. Das in Frankreich zum Teil hoch gelobte Werk fällt in Deutschland fast ausnahmslos durch.
Pornografisch, kitschig und monströs findet es die
SZ, plastikhaft obszön die
FR, öde und floskelhaft die
Zeit. Das hatte Folgen: In der Sonntags-
FAZ schleuderte Klaus Theweleit den Kritiker entgegen: "was hat man erwartet? Dass wir so etwas erzählt bekommen in Thomas Mannscher Distanzschreibe? Literarisch poliert?"
SachbuchBarack Obama Ein amerikanischer TraumDie Geschichte meiner Familie
Nicht nur als Redner, sondern auch als Autor scheint
Barack Obama Starqualitäten zu besitzen. Schon seine vorgezogene Regierungserklärung
"Hoffnung wagen" traf auf Wohlwollen in der deutschen Kritik, seine jetzt ins Deutsche übertragene Autobiografie erscheint der
taz nun gar wie ein
guter Roman. Vom seichten deutschen Titel sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, meint sie. Reflektiert berichte Obama unter anderem von der Erfahrung mit Rassismus innerhalb und außerhalb seiner Familie. Richtiggehend beseelt gibt die
taz schließlich Obamas tatsächlich attraktive Botschaft wieder, nämlich "wie
Wandel und Versöhnung möglich werden, wenn man Verantwortung für sich und die Gemeinschaft übernimmt".
Götz AlyUnser Kampf1968
Ja, wir sind voreingenommen.
Götz Alys kritische Betrachtung der 68er ist bei uns in Auszügen vor dem Erscheinen
veröffentlicht worden. Trotzdem ein beachtenswertes Buch, wie wir finden. Die Reaktionen der Kritik waren gespalten. Die
SZ fand in dieser "Hasstirade" viel "
Quark", die
Zeit "schrill konstruierte Thesen". Positive Stimmen kamen von links: Die
taz, die immerhin für eine
Rudi-Dutschke-Straße vor der Berliner Springer-Zentrale eintritt, pflichtet Aly bei, dass die Achtundsechziger weder an Aufarbeitung der Nazi-Zeit noch an Demokratisierung wirklich interessiert waren. Und auch die
FR vermutet bei den 68ern schon seit längerem einen abschreckend
antiliberalen Habitus. Ihnen eine Nähe zum Totalitarismus zu unterstellen, sei zwar zugespitzt, aber immer noch im Rahmen einer "
knackigen", aber empfehlenswerten Polemik.
Julia FriedrichsGestatten, EliteAuf den Spuren der Mächtigen von morgen
Die
FAZ ist bestürzt über Deutschlands Elitenachwuchs, wie er sich in
Julia Friedrichs Buch präsentiert. Ein Jahr lang hat Friedrich an den Akademien, Internaten und Universitäten recherchiert, in denen sich die
Söhne und Töchter der Führungsschicht ausbilden lassen. Wie aus Friedrichs Schilderung hervorgeht, bedeutet Elite für diese Generation nicht viel mehr als
Profit, und schon die Abstammung werde oft mit voller Berechtigung als Erfolgsgarantie verstanden.
Status und Habitus sind demnach entscheidend, nicht die Leistung. Für die
FAZ deprimierend, aber aufschlussreich.
Ulrich LadurnerBitte informieren Sie AllahTerrornetzwerk Pakistan
Pakistan trägt die zweifelhafte Auszeichnung, das
gefährlichste Land der Welt zu sein. Doch die Lage ist vielschichtig, zu differenziert, um in einen Zeitungsartikel zu passen. Deshalb ist die
SZ froh, dass der
Zeit-
Reporter Ulrich Ladurner die Erfahrungen, die er auf seinen zahlreichen Reisen nach Pakistan gemacht hat, nun in ein "ausgewogenes,
sehr prägnantes" Buch gepackt hat. Ladurner tauche wirklich ein ins Geschehen und spreche mit allen Seiten, mit
Mullahs und
Ministern, mit Anwälten und Studenten. Besonders positiv fällt der
SZ auf, dass Ladurner die eigenen Vorurteile nicht verschweigt und diese mit dem Leser gemeinsam überwindet.
HörbuchStefan Spranghelden:tot1 CD
Schlichtweg durchschlagend findet die
taz diese Hörversion von
Stefan Sprangs Monolog eines Gescheiterten, der Rache nehmen will an der Gesellschaft, die ihn ausgehebelt hat. Wie
Flipperkugeln klacken die Sätze durch die Hirnwindungen der
taz, was sie aber nicht nur dem Autor, sondern auch auch der "mehrspurig" denkenden Regie und dem Sprecher
Andreas Fröhlich zuschreibt, der es fertigbringe, gleichzeitig
pathetisch und ironisch zu sein.
BildbandKyle CassidyBewaffnetes AmerikaWaffenbesitzer und ihr Zuhause im Porträt
130 Amerikaner in ihren eigenen vier Wänden und vor allem mit ihren eigenen
geliebten Waffen. Zwei Jahre lang ist
Kyle Cassidy durch die USA gezogen, hat Waffenbesitzer fotografiert und sie nach dem Grund befragt, warum sie sich all die
Maschinenpistolen, Schrotflinten und Revolver zugelegt haben. Republikaner und Demokraten, Hausfrauen und Anwälte,
Ehemänner und Atheisten. Für die
FAZ allesamt Dokumente "amerikanischer Normalität" und gerade deshalb so verstörend. In Cassidys Band werde eine tiefe Verunsicherung deutlich, diagnostiziert die
FAZ, und urteilt: "
brillant".