
Bücherschau des Tages vom 24.08.2020
Joch der Herkunft
Notizen zu den Buchkritiken des Tages aus FAZ, FR, NZZ, SZ, taz, Zeit, Welt, DLF und DLF Kultur. Täglich ab 14 Uhr.24.08.2020. Die SZ feiert Deniz Ohdes Roman "Streulicht", der sie mit beschreibungsmanischer Düsternis in das migrantischen Industrieproletariat führt. Dem DlfKultur gefällt der wilde Mix aus Selbstgespräch, Rilke-Versen und DDR-Kinderliedern, mit dem Judith Zander von "Johnny Ohneland" erzählt. Großes Lob vergibt der Dlf an Klaus Viewegs Hegel-Biografie. Die FAZ empfiehlt Kinderbücher, darunter Rüdiger Bertrams und Heribert Schulmeyers Bilderbuch "Richtig dicke Freunde" und Michael Siebens Jugendroman "Das Jahr in der Box".
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Freischwimmen.
(Ab 10 Jahre)

Carl Hanser Verlag, München 2020,
ISBN
9783446266070, Gebunden, 224
Seiten,
15,00
EUR
Mit Illustrationen von Benji Davies. Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. EineGeschichte über die Dinge, die man selbst erfahren muss, weil einem Erwachsene mal wieder nichts sagen. Cym ist noch nie geschwommen - kein einziges Mal. Kein Wunder, dass ihn die Aussicht auf den ersten Schwimmunterricht in der Schule nervös macht. Andererseits - wie schwer kann das schon sein? Cym trägt schließlich die Badeshorts seines Vaters. Leichtherzig lässt er sich zu einem Wettkampf gegen seinen Widersacher hinreißen. Dass Cym dabei fast ertrinkt, hätte niemand erwartet. Dass der Unfall eine Familienkrise auslöst, erst recht nicht. Cym muss einer Wahrheit auf die Spur kommen, die sein Leben völlig auf den Kopf stellt. Doch das Beste ist, dass er dadurch echte Freunde gewinnt.
Richtig dicke Freunde.
(Ab 4 Jahre)

Annette Betz Verlag, Wien 2020,
ISBN
9783219118247, Gebunden, 32
Seiten,
14,95
EUR
Ein Bilderbuch über das Vermissen und Endlich-Wiedersehen. "Wenn du hier bist…", denkt der Storch. Und malt sich aus, was er mit seinem allerbesten Freund für tolle Sachen machen könnte: Ein Baumhaus bauen, zur Eisdiele fahren oder in den Horizont schauen. Denn all das macht zu zweit viel mehr Spaß als allein. Und während er noch überlegt, geht sein Traum schon in Erfüllung. Wahre Freunde gibt es in jeder Form und Größe!
Louisianas Weg nach Hause.
(Ab 9 Jahre)

dtv, München 2020,
ISBN
9783423762878, Kartoniert, 208
Seiten,
12,95
EUR
Aus dem Amerikanischen von Sabine Ludwig. "Falls sich jemand fragt: Ach du meine Güte, was ist denn mit Louisiana Elefante passiert? Hier ist meine Geschichte: Ich wurde mit einem Fluch belegt. Dem Fluch des Verlassenwerdens. Das hat Granny gesagt. Granny hat auch gesagt, dass ich mein Zuhause verlassen muss. Und meine besten Freundinnen Raymie und Beverly. Mitten in der Nacht hat Granny mich geweckt und wir sind mit dem Auto losgefahren. In irgendein Hotel in irgendeiner Stadt. Ich wollte nach Hause. Aber wie? Was sollte ich nur tun? Ich werde euch erzählen, was ich tat."
Das Jahr in der Box.
(Ab 14 Jahre)

Carlsen Verlag, Hamburg 2020,
ISBN
9783551583963, Gebunden, 256
Seiten,
16,00
EUR
Der Umzug muss sein, sagt Pauls Mutter. Aber Paul will nicht. Nicht packen. Nicht raus aus Opas alter Villa. Und vor allem nicht in die Box schauen, diese Schatulle voller Erinnerungen. Denn was er dort versteckt hat - die Superhelden-Story, die blöden Kondome, das Messer und mehr -, bringt nur das letzte Jahr zurück. Das harte Jahr, in dem so viel passiert ist. Ken, Mehmet, Mara. Die durchgeknallten Aktionen, das Mobbing und … das völlig Unfassbare. Aber Wegsehen hilft nicht. Paul muss sich der Erinnerung stellen, Stück für Stück.
Frankfurter Rundschau
Frausein.

Carl Hanser Verlag, München 2020,
ISBN
9783446267466, Gebunden, 128
Seiten,
18,00
EUR
Was Frausein bedeutet, zeigt sich in jedem einzelnen Leben: Mely Kiyak erzählt von den Gesprächen über Weisheit und Nichtwissen, die sie als Mädchen mit dem Vater führte. Von den Cousinen, die vom Begehren erzählten. Vom Aufwachsen zwischen Ländern und Klassen, zwischen "Herkunftsgepäck" und Neugier auf unbekannte Erfahrungen. Vom Alleinsein, von Selbsterkundung, von Familie. Was ist Weiblichkeit, wenn man den öffentlichen Blick überwindet und zurückbleibt mit sich selbst? Aufrichtig, lebenslustig, zärtlich und entwaffnend klug erinnert Mely Kiyak daran, dass es die Verhältnisse sind, die einem beibringen, wie man liebt und lebt.
Neue Zürcher Zeitung
Heute leider keine Kritiken!
Süddeutsche Zeitung
Raunen des Winds und bebende Distel.
Skizzen aus seinem Leben

Golden Luft Verlag, Mainz 2020,
ISBN
9783981855586, Gebunden, 44
Seiten,
18,00
EUR
Aus dem Englischen von Esther Kinsky. Seit seiner Wiederentdeckung gilt der Außenseiter John Clare, Zeitgenosse von Hölderlin, Coleridge und Keats, als einer der großen englischen Dichter des 19. Jahrhunderts.Der hier vorgestellte Text stammt aus den 1821 entstandenen "Sketches in the Life of John Clare", einer für seinen Londoner Verleger John Taylor angefertigten Darstellung seines Lebens, die einen von Clares ersten Prosaversuchen darstellt. In dem autobiographischen Text kehrt er immer wieder zurück zu den prägenden Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend in den Fens, der weiten, leeren Landschaft um seinen Heimatort, die während seiner Jugend durch die Fluraufteilung eine dramatische Veränderung erfuhr. Clares Prosa zeichnet sich durch einen eigenwilligen, poetischen Stil aus und ist auch Zeugnis seiner seelischen Labilität, seines lebenslangen Ringens um eine Identität.
Die Scham.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020,
ISBN
9783518225172, Gebunden, 110
Seiten,
18,00
EUR
Aus dem Französischen von Sonja Finck. Juni 1952, die kleine Annie ist 12 Jahre alt. Eines Sonntagnachmittags geschieht etwas Entsetzliches - ohnmächtig muss sie miterleben, wie der Vater die Mutter umzubringen versucht. Nach kurzer Zeit beruhigt sich der Vater, und Annie versucht, den Eklat zu vergessen. Bis sie, nahezu ein halbes Jahrhundert später, auf ein altes Foto stößt, das eine Flut von Erinnerungen auslöst. Aber was genau ist damals geschehen? Und wie ist es dazu gekommen?Je tiefer Annie in dieses entscheidende Jahr eintaucht, umso deutlicher wird ihr die Spannung, in der die Eltern lebten, zwischen dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem demütigenden Rückfall in die alten Verhältnisse. Und auch Annies Zerrissenheit gewinnt an Kontur, ihr immer wieder schmerzhaftes Bemühen, dem Einfluss einer religiösen Erziehung zu entrinnen und der bohrenden Sehnsucht nach Aufbruch und einem besseren Leben zu folgen.Scham ist das beharrliche Gefühl der eigenen Unwürdigkeit. Annie Ernaux seziert es an sich selbst, indem sie weit zurückschwingt in eine eigentlich unfassbare Episode ihrer Kindheit und in eine Vergangenheit, die nicht vergehen will.
Gute Karten.
Deutschland, wie Sie es noch nie gesehen haben

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020,
ISBN
9783455008821, Gebunden, 216
Seiten,
25,00
EUR
Tin Fischer und Mario Mensch zeigen Deutschland in 100 faszinierenden Karten in all seinen Facetten: Wer sind wir? Woran glauben wir? Und was macht dieses Land besonders? Sie zeigen, wo Deutschlands einsamste Inseln liegen, warum das Herz von VW längst nicht mehr in Wolfsburg schlägt, wie lang man in Brandenburg bis zur nächsten Apotheke unterwegs ist, warum die Untersuchung des Abwassers viel über die Partyszene einer Stadt aussagt, und wann die Mitgliederzahl des ADAC die der katholischen Kirche überholt (bald!). Auch, was Heinrich Heine vor fast 180 Jahren den Schlaf kostete, wird geklärt.
Die Stimmen vom Nil.
Eine Archäologie der ägyptischen Revolution

Carl Hanser Verlag, München 2020,
ISBN
9783446265790, Gebunden, 544
Seiten,
26,00
EUR
Aus dem Amerikanischen von Thomas Pfeiffer und Andreas Thomsen. Noch immer blickt die Welt auf den Nahen Osten, um die Folgen des Arabischen Frühlings zu verstehen. Doch aus der Distanz bleibt vieles verborgen. Peter Hessler erzählt die ägyptische Revolution aus dem Alltag der Menschen heraus. Ein Abfallsammler, der aus Kairos Müll mehr herauslesen kann als jeder Archäologe. Ein Arabischlehrer mit Faible für Ägyptens sozialistische Vergangenheit. Und ein schwuler Mann, der in einem Muslimbruder einen unerwarteten Verbündeten findet. In einer literarischen Reportage bringt Peter Hessler Persönliches und Politisches, Gegenwart und Geschichte zusammen und entwirft so ein schillerndes Porträt einer Gesellschaft im Umbruch.
Streulicht.
Roman

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020,
ISBN
9783518429631, Gebunden, 284
Seiten,
22,00
EUR
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis nicht nur der Hausrat, sondern auch die verdrängten Erinnerungen hervorquollen. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, bis sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst - zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden. Deniz Ohde erkundet in ihrem Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.
Die Tageszeitung
Heute leider keine Kritiken!
Die Welt
Heute leider keine Kritiken!
Die Zeit
Heute leider keine Kritiken!
Deutschlandfunk
Erwachsenwerden hinter Gittern.
Als Teenager im DDR-Knast

Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2020,
ISBN
9783374065493, Gebunden, 200
Seiten,
12,00
EUR
Falk Mrázek ist 17 Jahre alt, als er sich am 14. September 1978 durch die Grenzabsperrung am Brandenburger Tor zwängt und sich mit erhobenen Händen langsam Richtung Westen vorwärtsbewegt. Mit dieser Aktion will er dem Familienausreiseantrag Nachdruck verleihen. Was folgt sind endlose Verhöre und ein Urteil zu 14 Monaten Haft. Er durchläuft verschiedene Gefängnisse. In Görlitz erlebt er seinen 18. Geburtstag. Schließlich landet er in Bitterfeld, wo er im Chemiekombinat unter unvorstellbaren Bedingungen an der Aluminium-Presse arbeiten muss. Der tägliche Kampf ums Überleben als "Ofenmann" wird gekrönt von einer Brandkatastrophe, die man ihm in die Schuhe schiebt. Die Stasi erpresst ihn, bleierne Routine macht sich breit, doch irgendwann darf er ausreisen. Falk Mrázek erzählt in diesem spannenden Buch eindrücklich davon, wie ein Teenager DDR, Stasi und Gefängnis überstand, bis er endlich ein neues Leben beginnen konnte.
Hegel.
Der Philosoph der Freiheit

C.H. Beck Verlag, München 2019,
ISBN
9783406742354, Gebunden, 824
Seiten,
34,00
EUR
Jedes Jahr am 14. Juli soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein Glas Champagner auf den Beginn der Französischen Revolution getrunken haben. Diese Revolution war das sein Leben und Denken prägende Ereignis. Das Grundmotiv der Freiheit durchzieht den gesamten Denk- und Lebensweg des bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts.
Nach Kindheit und Jugend in Stuttgart und Studium im benachbarten Tübingen ging der junge Philosoph zunächst als Hofmeister nach Bern und nach Frankfurt am Main. Die akademische Laufbahn begann mit einer Privatdozentur in Jena, wo Hegel eng mit dem einstigen Tübinger Kommilitonen Schelling zusammenarbeitete. Erst nach zwei Stationen in Franken ereilte ihn der Ruf nach Heidelberg. 1818 schließlich wurde Hegel Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Johann Gottlieb Fichte im königlich-preußischen "Mittelpunkt" Berlin, wo er zum herausragenden Philosophen des Zeitalters aufstieg.
Deutschlandfunk Kultur
Die verwundbare Welt.
Eine Hypothese

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020,
ISBN
9783518587546, Gebunden, 112
Seiten,
12,00
EUR
Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser. Angesichts von Klimawandel und Pandemien wächst global das Bewusstsein, dass die Welt, wie wir sie kennen, womöglich nicht ewig währt - dass die Lebenserwartung der menschlichen Zivilisation als ganzer maßgeblich von unserem Handeln abhängt. Unsere Welt ist verwundbar, ja, es sind sogar Szenarien der vollständigen Selbstzerstörung denkbar, sofern keine geeigneten Maßnahmen zu ihrer Stabilisierung ergriffen werden. Dies ist die Hypothese, die Nick Bostrom in einem Text aufstellt, der nun erstmals in deutscher Übersetzung erscheint. Bostrom geht davon aus, dass die technologische Entwicklung unweigerlich auf einen Punkt zusteuert, an dem es kritisch wird. Historisch gesehen, war das schon einmal fast der Fall, wie er mit einem atemberaubenden Gedankenexperiment illustriert, das in der Zeit des Kalten Krieges spielt. Dann entwickelt er einige nur allzu plausible Szenarien, die den Untergang der menschlichen Zivilisation mit großer Wahrscheinlichkeit herbeiführen würden - es sei denn, wir treffen rechtzeitig Gegenmaßnahmen.
Kampf der Systeme.
Das geteilte und wiedervereinigte Deutschland

Olzog Verlag, München 2020,
ISBN
9783957682178, Gebunden, 388
Seiten,
26,00
EUR
Die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR erfolgte nicht auf Augenhöhe, sondern als Beitritt eines unterlegenen Systems zu einem wirtschaftlich und politisch erfolgreicheren. Sie war weder ein Anschluss oder eine Übernahme noch eine Einverleibung.Die Deutschen hatten 45 Jahre in unterschiedlichen, in den meisten Bereichen sogar gegensätzlichen Systemen gelebt. Bis zum heutigen Tag wirken die jeweiligen systembedingten Prägungen ebenso wie die Erfahrungen im Transformationsprozess bei vielen Menschen nach. Die beiden Deutschlands bildeten gleichsam die Speerspitze im jahrzehntelangen Kampf der Systeme, den die freiheitlichen Demokratien des Westens gegen die sozialistischen Diktaturen des Ostens gewannen. Je länger die Teilung zurückliegt, desto blasser wird jedoch die Erinnerung daran, warum das westliche Gesellschaftsmodell siegreich war. Ja, im wiedervereinigten Deutschland besteht heute sogar die Gefahr, dass die Erfolgsrezepte in Vergessenheit geraten.1989/90 war die DDR am Ende. Doch der Blick darauf wird immer unschärfer. Viele problematische Entwicklungen werden dem Wiedervereinigungsprozess und nicht der DDR-Schlussbilanz angelastet.
Johnny Ohneland.
Roman

dtv, München 2020,
ISBN
9783423282352, Gebunden, 528
Seiten,
25,00
EUR
Joana Wolkenzin weiß früh, dass sie anders ist. Sie liest stundenlang und lernt Songtexte auswendig; später verliebt sie sich in Jungs und in Mädchen. Im vorpommerschen Niemandsland der Neunziger gibt sie sich einen neuen Namen: Johnny. Aber bringt ein neuer Name auch neues Glück? Als die Mutter über Nacht die Familie verlässt, kreisen Johnny, ihr Bruder Charlie und ihr Vater auf wackligen Bahnen um eine leere Mitte. Schließlich macht Johnny sich auf die Suche nach einem Leben und einer Erzählung, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen, in Deutschland, Finnland und Australien.