Dokumentation

Der Streit um die China-Berichterstattung der DW

16.10.2008. Aktualisiert am 21.10. In den letzten Monaten ist die China-Berichterstattung der Deutschen Welle unter Beschuss geraten. In dem Streit geht es vor allem um die stellvertretende Leiterin der China-Redaktion der Deutschen Welle, Danhong Zhang. Ihr wird vorgeworfen, die Kommunistische Partei Chinas zu freundlich zu beurteilen. Hier eine Chronologie der Debatte mit Links zu den verschiedenen Artikeln und Offenen Briefen.
Aktualisierung vom 21. Oktober: wir verlinken auf eine Antwort einer Gruppe chinesischer Dissidenten auf den Offenen Brief deutscher China-Experten.

Im Mai hatte Danhong Zhang in einer Diskussion mit dem Menschenrechtler Wu Man-Yan beim Kölner Stadtanzeiger, die Chinaberichterstattung in den deutschen Medien als zu einseitig beschrieben: "Mein Kritikpunkt an der westlichen Berichterstattung über China ist, dass eigentlich nur über negative Dinge berichtet wird. Da wünsche ich mir einfach mehr fundierte Hintergrundberichte", erklärte Zhang. Tatsächlich gehe es den Menschen in China wirtschaftlich immer besser und sie hätten auch mehr Freiheiten als früher: "Die Chinesen haben jetzt Reisefreiheiten. Das hatten sie nicht." Selbst die Meinungsfreiheit habe Fortschritte gemacht: "Ich würde das aufteilen in die große Öffentlichkeit und mehrere Unteröffentlichkeiten. In akademischen Kreisen kann man zum Beispiel über die Todesstrafe diskutieren, man kann sie auch scharf verurteilen. Das ist alles erlaubt. Ich will damit dieses System nicht rechtfertigen, aber es gibt gewisse Grenzen für die chinesische Regierung, und die dürfen nicht überschritten werden, und das wissen auch die Dissidenten." In der Demokratisierung Chinas "sehe ich auch Fortschritte. Ich denke, die Kommunistische Führung besteht nicht mehr aus Greisen, aus Betonköpfen. Es gibt innerhalb der kommunistischen Partei mehrere Strömungen. Es gibt sehr reformfreudige und es gibt sehr linksgerichtete und es gibt noch die alte Maoisten. Deswegen bin ich auch vorsichtig, was China betrifft, das Wort Diktatur in den Mund zu nehmen."

(Hier das Video von der Sendung, hier das - allerdings stark gekürzte - Transkript des Kölner Stadtanzeigers.)

Am 4. August 2008, kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele, nahm Zhang an einer Diskussion über Internetzensur im Deutschlandfunk teil. Dass die Sperrung der Internetseiten von BBC, Deutsche Welle und Amnesty International in China aufgehoben worden war, fand Zhang richtig. "Ich habe gerade die paar Seiten genannt, für die es wirklich keinen Grund, gibt sie zu sperren. Und wir, die Deutsche Welle, betreiben auch wirklich eine möglichst objektive Berichterstattung über China. Aber andere Seiten wie zum Beispiel Free Tibet oder die Seite von Falun Gong - ich denke, hier in Deutschland kann man auch nicht jede Seite aufrufen, da gibt es auch bei Kinderpornografie oder rechtsextreme, also inwieweit jetzt Berichterstattung mit Falun Gong oder Free Tibet zu tun hat, ich denke, da rufe ich einfach auch zu etwas Besonnenheit auf."
Die Diskussion lässt sich hier als mp3-Datei nachhören.

Focus meldete am 11. August: "Expertin lobt Chinas KP". In der Berliner Zeitung bezweifelten Sabine Pamperrien und Jan-Philipp Hein am 20. August, dass die Äußerungen Zhangs den Grundsätze der Deutschen Welle entsprechen. Sie zitierten den innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz: "'Die Dame hat die Zensurversuche der chinesischen Regierung bereits im Kopf'. Ihre Kommentare seien eine 'einzige Katastrophe'.

Am 22. September erklärte die Deutsche Welle, man werde die Vorwürfe gegen Zhang überprüfen. Bis dies geschehen sei, werde sie keine Sendungen mehr moderieren.

Hätte es nicht genau andersrum sein müssen, fragte daraufhin Thomas Gehriger am 26. September im Kölner Stadtanzeiger. "Ihr wurde vom eigenen Sender das Mikrofon abgedreht", schrieb er und fragte sich, wie es eigentlich "um die innere Meinungsfreiheit der Deutschen Welle bestellt ist"?

Auch chinesische Medien reagierten mit heftiger Kritik an der Deutschen Welle, berichtete Sabine Pamperrien in der Berliner Zeitung vom 9. September: "Chinesische Dissidenten sprechen von einer orchestrierten Kampagne." Und auf SpiegelOnline schrieben Pamperrien und Jan-Philipp Hein am 19. September: "Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hat mit einer Artikelserie zum publizistischen Angriff auf Deutschland geblasen. Unter anderem wird behauptet, die Deutschen hätten die Nazi-Vergangenheit nicht reflektiert und würden 'leichtfertig die Hetze der Politik und die einseitige Berichterstattung der Medien' glauben. Wörtlich heißt es in einer Überschrift: 'Der Nazi-Geist kehrt wieder zurück'".

In Deutschland lebende chinesische Dissidenten nahmen den Vorfall in einem Offenen Brief vom 13. September an den Deutschen Bundestag auf und forderten, "die China-Redaktion der Deutschen Welle gründlich neu zu organisieren. Wir sind der Ansicht: die China-Redaktion der Deutschen Welle, die vor allem in chinesischer Sprache sendet, ist weitgehend von der deutschen Gesellschaft isoliert und bildet quasi eine Insel. Dies führte dazu, dass sie von ihrer Aufgabe, das Leitbild der Deutschen Welle, nämlich Menschenrechte und Demokratie zu fördern und der Welt Deutschland zu vermitteln, eklatant abweicht."

Am 23. September veröffentlichte der "Autorenkreis der Bundesrepublik" einen Offenen Brief an den Deutschen Bundestag, in dem die China-Berichterstattung der DW ebenfalls kritisiert wird. Zhang sei kein Einzelfall, die Deutsche Welle habe vielmehr ein "manifestes Strukturproblem". Der Autorenkreis fordert eine Überprüfung der Mitarbeiter und die Einsetzung eines "diktaturimmunen Beobachters", der "Qualitätskontrollen" durchführt. Zu den Unterzeichnern gehören prominente Autoren wie Imre Kertesz und Mario Vargas Llosa.

Allerdings stellte Christiane Florin am 16. Oktober im Rheinischen Merkur fest, dass einige Unterzeichner offenbar nichts von ihrer Unterschrift wussten: "Der Schriftsteller Lutz Rathenow etwa geisterte zwar als Unterzeichner durch die Medien. Darauf angesprochen, reagiert der Dichter erstaunt: 'Ich wüsste nicht, was ich dem China-Programm der Deutschen Welle vorzuwerfen hätte', sagt Rathenow. Zu Ungereimtheiten wie dieser erklärt der Erste Vorsitzende des Autorenkreises, Jörg Sader: 'Es gibt einen Beschluss, wonach der Vorstand solche Aktionen im Namen aller Mitglieder unternehmen darf.'" (Korrektur vom 28.10.: Lutz Rathenows Name steht allerdings auch nicht auf der Lister der Unterzeichner. Anm. PT-Redak.)

Im Spiegel vom 24. September schrieben derweil Sabine Pamperrien und Jan-Philipp Hein noch einmal über den "Eklat bei der Deutschen Welle" und nannten den Vorfall eine "peinliche Personalie für die Deutsche Welle". In der FAZ vom 26. September fassten sie die gegenseitigen Vorwürfe und die Stellungnahmen der Deutschen Welle zusammen.

Nach einer Personalentscheidung der Deutschen Welle am 25. September verliert Zhang ihre Position als stellvertretende Leiterin. Sie bleibt Redakteurin und darf auch wieder moderieren. China.org.cn nennt dies eine "Degradierung wegen Chinalob".

Mit Wei Jingsheng hat sich am 1. Oktober einer der bekanntesten und angesehensten chinesischen Dissidenten eingeschaltet. In einem Offenen Brief an den Deutschen Bundestag hob er die Verantwortung und Bedeutung demokratischer Radiosender für die Chinesen hervor und fordert eine Untersuchung: "German Parliament must give full attention to this 'Zhang DanHong incident'.

Am 1. Oktober warnte die Kölner Exildichterin und Falun-Gong-Anhängerin Xu Pei im China Observer vor einer "roten Infiltration" Deutschlands. "Unter den deutschen Journalisten fällt auch nicht nur Zhang Danhong von der Deutschen Welle als Sprachrohr der KP auf. Alle rot infiltrierten Deutschen werden im China-Programm der Deutschen Welle immer wieder vorgestellt und zitiert. Ein Re-Import der roten Propaganda findet auf diese Weise statt."

Am 9. Oktober warf Frank Sieren, Chinakorrespondent der Zeit, den Journalisten Sabine Pamperrien und Jan-Philipp Hein vor, sie hätten sich von Xu Pei für eine Kampagne gegen DW-Mitarbeiterin Zhang einspannen lassen (der Artikel ist nicht online). "Dass Xu sich auf die Stelle des Vorgesetzten von Zhang beworben hatte und nicht einmal in die engere Auswahl kam, macht den Fall nicht einfacher", schreibt Sieren. "Was die Pauschalverdächtigungen mit dem chinesischen DW-Programm zu tun haben, bleibt unklar: Es ist so regimekritisch, dass der Internetauftritt der DW in Chima immer wieder gesperrt wurde."

Am 12. Oktober wehrten sich Pamperrien und Hein in der Achse des Guten gegen die "ehrabschneidenden Vorwürfe" von Sieren: Er füge sich in eine "Desinformationskampagne" ein und liefere eine völlig falsche Chronologie und Auslegung der Sachlage. "Gefragt hat er uns nicht. Sonst hätte er erfahren, dass wir von Xus Kritik an Zhang erst erfuhren, nachdem unser erster Artikel im August erschienen war."

Am 13. Oktober protestiert 65 Chinawissenschaftler, Publizisten und Politiker einen Offenen Brief an den Bundestag gegen die vom "Autorenkreis" geforderte Überprüfung der Deutschen Welle. Für sie grenzt diese Maßnahme an eine Zensur: "Das angestrebte Ziel ist offenkundig die Unterbindung jeder um Differenzierung bemühten öffentlichen Kommunikation über die Entwicklung Chinas".

(Aktualisierung:) Am 17. Oktober antwortet eine Gruppe chinesischer Dissidenten auf den Brief der 65 Chinawissenschaftler. "Verehrte Wissenschaftler, die Sie in einem Land leben, das die freiheitlichen Grundrechte verteidigt, wie kann es sein, dass Sie Partei für die Mächtigen ergreifen, wenn Sie zwischen den mächtigen Verfolgern und den machtlosen Opfer entscheiden müssen? Warum haben Sie sich entschlossen, die Rechte von Zhang Danhong zu verteidigen, die nichts weiter zu befürchten hat als den Verlust ihrer Funktion als stellvertretende Leiterin innerhalb der China-Redaktion der Deutschen Welle, wenn Sie sich andererseits noch nie für die Rechte der zu schweren Haftstrafen verurteilten Chen Guangcheng oder Shi Tao eingesetzt haben?"

Im Perlentaucher verteidigt der in Schanghai lebende ehemalige FAZ- Kulturkorrespondent Zhou Derong die Deutsche Welle und Zhang: "In ihrer Funktion als leitende Redakteurin, so darf ich annehmen, muss sie doch einen nicht unwesentlichen Anteil daran gehabt haben, dass die chinesische Seite der Deutschen Welle in China gesperrt war. Sie nun als 'extrem regimefreundlich' zu bezeichnen, das nenne ich, mit Verlaub, glatten Unsinn."

Das größte Problem, so berichtete Christiane Florin am 16. Oktober im Rheinischen Merkur, bei der Beurteilung dieser Angelegenheit, sei die Tatsache, dass Zhangs Berichte nun mal auf Chinesisch verfasst seien. Der DW-Intendant Erik Bettermann, lasse derzeit "alle Beiträge der China-Redaktion aus diesem Jahr ins Deutsche übertragen. Ende November wird sich der Rundfunkrat mit den Vorwürfen befassen. Dem Kulturausschuss des Bundestages liegen beim Gesprächstermin mit dem Intendanten noch keine Sendungsprotokolle auf Deutsch vor."

Auf Deutsch findet man tatsächlich nur sehr wenig von Danhong Zhang im Internet. Neben dem Gespräch mit dem Kölner Stadtanzeiger (Video, gekürztes Transkript) fanden wir einige bei Maybritt Illner zitierte Sätze von Zhang: "Aber China ist nicht mehr kommunistisch. Auch die Regierungspartei ist keine Revolutionspartei mehr. Ich sage immer: China ist nicht die DDR!"

Im Rückblick auf die Sendung heißt es bei Illner: "Die Beziehungen zwischen China und Deutschland seien gut. Allerdings habe Bundeskanzlerin Angela Merkel den 'Nährboden für die Projektion vom neuen Reich des Bösen' gelegt. Merkels Konfrontationskurs mache China zu dem 'bösen Buben, der sich nicht an Regeln hält', kritisierte Zhang." In der Welt berichtete Christian Pohl über die Talkshow.

Hier die mp3-Datei zur Diskussion mit Zhang im Deutschlandfunk über Internetzensur.

Hier ein Kommentar Zhangs vom 23. August in der Deutschen Welle zum Wahlsieg des taiwanesischen Präsidenten Ma Ying Jeou.

Am 15. Juli gab sie dem Hamburger Abendblatt ein Interview über Zensur und die Tibetpolitik Chinas.


Charlotte Hauswedell / Anja Seeliger