Efeu - Die Kulturrundschau

Kein cooler Star

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.02.2014. Die Welt ärgert sich über die Heroisierung Wolfgang Beltracchis im Fernsehen. In der taz erzählt Ingrid Caven von ihrer Liebe zu Fassbinder. Die Presse fragt angesichts der Franz-Sedlacek-Ausstellung in Wien: Kann man das Werk von der Gesinnung trennen? Alle trauern um Philip Seymour Hoffman und Maximilian Schell.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.02.2014 finden Sie hier

Film

Das Wall Street Journal meldete es zuerst gestern Nacht: Der Schauspieler Philip Seymour Hoffman, 46 Jahre alt, wurde mit einer Nadel im Arm tot in seinem New Yorker Appartement aufgefunden. Christiane Peitz würdigt Hoffman im Tagesspiegel als einen der intelligentesten und furchtlosesten Schauspieler seiner Generation: "Er war selber alles andere als abgebrüht, kein cooler Star, auch wenn er in etlichen Hollywoodfilmen auftrat... Sein aus dem Leim gehendes Gesicht mit kleinen, hypnotischen Augen, hat er jedoch vor allem den Getriebenen verliehen, den Zerknitterten, den hoffnungslosen Fällen. Dem spielsüchtigen Banker in 'Owning Mahoney'. Dem zweiten Geiger in 'Saiten des Lebens', den der Frust als ewige Nummer Zwei im Streichquartett irgendwann wild um sich schlagen lässt. Und Andy im Thriller 'Tödliche Entscheidung' von 2007, Sydney Lumets letztem Film über zwei Brüder, die das Juweliergeschäft ihrer Eltern überfallen und alle mit den Abgrund reißen."

Im Rolling Stone schreibt David Fear: "No modern actor was better at making you feel sympathy for fucking idiots, failures, degenerates, sad sacks and hangdogs dealt a bum hand by life, even as - no, especially when - he played them with all of their worst qualities front and center. But Philip Seymour Hoffman had a range that seemed all-encompassing, and he could breathe life into any role he took on".

Hier eine wunderbare Szene mit ihm aus der Zeit , in der er noch Nebenrollen spielte, aus "Der Krieg des Charlie Wilson":



Außerdem lesen wir, dass Maximilian Schell gestorben ist. In der Welt schreibt Florian Stark: "Die tragische Ironie im Künstlerleben des Maximilian Schell bestand darin, eben diese Führerfiguren - den eitlen, kalten, eleganten Sadisten in schneidiger Uniform - immer und immer wieder spielen zu müssen, obwohl seine Familie unmittelbar nach dem 'Anschluss' Österreichs ans großdeutsche Reich aus der Wiener Heimat in die Schweiz floh." (Weitere Nachrufe in der Berliner Zeitung, NZZ, Zeit, SZ, taz, FAZ - einen internationalen Überblick finden wir bei Keyframe Daily).

Das Berliner Kino Arsenal widmet Ingrid Caven eine Hommage. Für die taz hat sich Toby Ashraf mit der Schauspielerin und Sängerin unterhalten. Dabei kommt sie auch auf ihre berufliche und private Partnerschaft mit Rainer Werner Fassbinder zu sprechen: Mit ihm "war es sehr interessant und sehr eng, denn wir hatten ja eine Art von seltsamer, und wie wir meinten, neuer Liebe ausprobiert. Rainer hatte lange nicht gedacht, dass er mit einer Frau so eng zusammenleben würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit jemandem zusammenleben oder jemanden heiraten könnte, der sich als Homosexueller erklärt. Bis anderthalb Jahre vor seinem Tod hatten wir immerhin noch eine gemeinsame Wohnung in Paris und sind zusammen verreist." 2010 stand sie für ein schönes Musikvideo von Tocotronic als Diva vor der Kamera:



Weitere Artikel: Im Standard resümiert Isabella Reicher das Filmfestival Rotterdam, das ihr vor allem wegen der Entdeckung des dänischen Autorenfilmers Nils Malmros wichtig war. Ebenfalls im Standard erzählt Gerhard Polt, warum er mit "Und Äktschn!" einen Film über das Privatleben Adolf Hitlers gemacht hat.

Besprochen werden Henry Alex Rubins Internet-Thriller "Disconnected" (Tagesspiegel, SZ), eine Ausstellung von Stefan Panhans Videoarbeiten im Haus am Waldsee in Berlin (Tsp) und die Ausstellung "Traumprotokolle" mit Videoarbeiten von Hanna Schygulla in der Berliner Akademie der Künste (FAZ).
Archiv: Film

Literatur

In ihrem Blog love german books singt Katy Derbyshire ein Loblied auf die Webseite des Chemnitzer Buchladens Lessing und Kompanie: "has the world's most beautiful Tumblr. According to the trade mag Börsenblatt they invested a big fat €3500 in an all-day session with a professional photographer taking shots of 127 of their customers in the shop, with their favourite books. My friends and I have been perving over the pictures for a week or so now. This is how internet dating should actually work. Actually attractive photos, no stupid self-descriptions, and don't you think you can tell so much about someone by their favourite book?"

Besprochen werden Haruki Murakamis neuer Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" (in der taz hat Frank Schäfer vollstes Verständnis dafür, dass die Schwedische Akademie damit hadert, den japanischen Autor mit dem Nobelpreis auszuzeichnen) und ein Essay von Christian Welzbacher über die Architektur des Bunkerbaus (Welt). Mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.
Archiv: Literatur

Bühne

In der Welt porträtiert Jonny Erling den chinesischen Regisseur Meng Jinghui, der demnächst nach Deutschland kommt: "Meng Jinghui, der weltbekannte Avantgardist unter Chinas Regisseuren, hatte schon 2012 in Peking das pausenlose Leid des durch wirre revolutionäre Zeiten stolpernden Bauern Fugui nach der heute in zehn Sprachen übersetzten Romanvorlage von Schriftsteller Yu Hua inszeniert. Seine Bühnenfassung war nach der 1994 in Cannes preisgekrönten Verfilmung, die in China wegen Zensurwillkür nie gezeigt werden durfte, so erfolgreich, dass Meng sie bisher in 16 chinesischen Städten spielen konnte. Nun geht er mit 'Leben' erstmals auf Auslandstournee. Der 49-jährige Regisseur zeigt das Stück erst in Hamburg und dann in Berlin: 'Glauben Sie mir, ich bin aufgeregt wie ein Kind', sagt er."

Santiago Blaums in Berlin aufgeführtes Weltkriegs-Tanzstück "Die Geschichte vom Soldaten Elik" hat Doris Meierheinrich von der Berliner Zeitung nicht überzeugen können: Seinem "in allerlei Symbole verpacktem Antikriegsmärchen will Blaum (...) eine zweite Perspektive einfädeln, die eine ebenso realistische wie aktuelle Geschichte beisteuert. ... Dass sich in diesem komplizierten Wechselspiel so einfach aber nichts preis gibt, ist bald klar und so bleibt der Abend technisch und tänzerisch blendend: leere Hülle."

Besprochen werden die von Angelin Prelijocai choreografierte Berliner Ballettaufführung "The Nights" (Tagesspiegel/Berliner Zeitung), Felicitas Bruckers Wiener Inszenierung von Jenny Erpenbecks "Aller Tage Abend" (Nachtkritik) und Simon Stones Inszenierung der "Orestie" nach Aischylos am Theater Oberhausen (damit empfiehlt er sich für "eine Vorabendserie des Privatfernsehens", höhnt Andreas Rossmann in der FAZ, Vasco Boehnisch ist in der SZ dagegen begeistert: "Diese 'Orestie' erzählt vom Jetzt - ernsthaft, nicht ironisch. Simon Stone ist die Antwort des Regietheaters auf HBO.")
Archiv: Bühne

Musik

In der Berliner Zeitung bilanziert Jens Balzer das CTM-Festival: "Es [gibt] in Berlin kein besser programmiertes, abenteuerlustigeres Festival", auch wenn Dinos Chapmans Auftritt bitter enttäuschte. Im Interview mit Monopol erklärt Chapman, wie er komponiert.

Fumiko Lipp porträtiert in der taz den Gitarrist Jens Schärdel der Band The Hidden Cameras. Im Tagesspiegel kürt Frederik Hanssen die Berliner Aufnahmen des Dirigenten Sergiu Celibidache zur "Klassik-CD der Woche". Hier ein Konzertausschnitt von 1992:



Besprochen werden das neue Album des Deutschrappers Marteria (in der Welt lässt sich Michael Pilz "vom wütendsten und klügsten Stück Musik auf Deutsch seit vielen Jahren" überwältigen), eine Aufführung von Magnus Lindbergs "Kraft" bei den Berliner Philharmonikern (Berliner Zeitung) und ein Arvo-Pärt-Abend bei den Mozartwochen in Salzburg (FAZ).

Außerdem: Im Logbuch Suhrkamp gibt Soundarchäologe und Schriftsteller Thomas Meinecke Video-und Musiktipps. Hier als Playlist:

Archiv: Musik

Kunst

In der Welt ärgert sich Cornelius Tittel darüber, wie Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi im Fernsehen bei 3nach9 präsentiert wurde: Er "wurde empfangen wie ein Held. Als er gleich zu Beginn erklärte, ja durchaus keine armen Leute geschädigt zu haben, feixte die Talkrunde bereits mit dem Studio-Publikum um die Wette."

Etwas irritiert geht Almuth Spiegler für die Presse durch eine Ausstellung im Wien-Museum mit Werken des lange vergessenen österreichischen Malers Franz Sedlacek : "Das große Comeback eines lange vergessenen Malers? Ja. Aber auch eines Mannes von deutschnationaler Gesinnung, der Mitglied bei der Vaterländischen Front und bei der NSDAP war. Kein Wort davon etwa auf der von einer Galerie betriebenen Seite (www.franzsedlacek.at). Die Gleichzeitigkeit der Ausstellungen von Emil Nolde (Antisemit, Nazi und 'entarteter' Künstler) und Sedlacek ist eine Art verschärfter Moraltest für Kunstliebhaber und -kritiker. Fehlt noch eine Otto-Muehl-Schau über seine Kommunenzeit. Wie wäre es einmal mit einer Ausstellung 'Kunst und Verbrechen' von einem Kurator, der sich noch zu polarisieren traut? Beginnend bei Caravaggio, dem Mörder?" (Bild: Franz Sedlacek, Der Chemiker, 1932, Wien Museum, © Bildrecht)

Außerdem: Manuel Brug reist für die Welt zu den Feierlichkeiten der Kulturhauptstadt Umeå, bei denen es mitunter so zuging wie bei der "Eröffnung der Skihaserl-Woche in Zell am See". In der NZZ führt Lilian Pfaff durch die Moshe-Safdie-Retrospektive in Los Angeles. Auf Zeit online resümiert Jörg Scheller die Münchner Medienkunstmesse Unpainted. Bei den TEDTalks finden wir dazu passend einen Vortrag des Architekts:



Besprochen werden die Ausstellung "Jakob Christoph Miville (1786-1836). Ein Basler Landschaftsmaler zwischen Rom und St. Petersburg" im Kunstmuseum Basel (NZZ), eine Velazquez-Ausstellung im Prado (Welt) und die Ausstellung "Jürgen Partenheimer. Das Archiv" in der Pinakothek der Moderne in München (SZ).
Archiv: Kunst