Efeu - Die Kulturrundschau

Die neue alte Göttlichkeit

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.03.2014. Die NZZ besucht die Biennale in Cartagena, Kolumbien. Der Tagesspiegel findet die deutsche Literatur zwar meist langweilig, möchte das aber lieber nicht so laut sagen. Die Berliner Zeitung bewundert Techniken des Boulevards bei Sebastian Hartmanns Inszenierung von John Goldmanns "Der Löwe im Winter". Alle trauern um Alain Resnais.Und die Oscars. Mit dem Selfie.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.03.2014 finden Sie hier

Film

Alain Resnais ist tot! Seinen letzten, gerade auf der Berlinale ausgezeichneten Film "Aimer, Boire et Chanter" hat Lukas Foerster für den Perlentaucher besprochen. In unserem Blog haben wir die Nachrufe der Feuilletons verlinkt und Resnais" Klassiker "Mon Oncle d"Amérique" eingebunden. In der Welt schreibt Cosima Lutz den Nachruf. In Le Monde erinnert sich André Dussollier, einer der Lieblingsschauspielers Alain Resnais": "Ein unvergesslicher Moment für mich geschah bei den Dreharbeiten zu "On connait la chanson". In der Unifom der Garde républicaine sollte ich ein Lied von Bashung singen. Aber die Garde Républicaine wollte das nicht autorisieren. Sie können sich nicht vorstellen, welche Energie Resnais aufwandte, um diese Sequenz zu drehen, die mir so am Herzen lag."

Hier reitet und singt er:



Außerdem: Für die Welt berichtet Gerhard Midding wenig begeistert von der 39. César-Verleihung: "Eine Kaskade fader Pointen und Sketche".

Und die Oscars! Gestern Nacht wurden sie verliehen, Preise gingen an "12 Years a Slave" (bester Film - unsere Kritik), Alfonso Cuarón (beste Regie für "Gravity" - unsere Kritik), Cate Blanchett (beste Hauptdarstellerin für "Blue Jasmine" - unsere Kritik), Matthew McConaughey (bester Hauptdarsteller), Jared Leto (bester Nebendarsteller) und Lupita Nyong"o (beste Nebendarstellerin). Im Detail findet man alle Preise aufgelistet bei der IMDB. Die besten Roben zeigt der Guardian.

Dieses live während der Verleihung von der großartigen Moderatorin Ellen Degeneres geschossene Foto ging letzte Nacht um die Welt. Binnen einer halben Stunde wurde es das am meisten weitergeleitete Bild in der Geschichte von Twitter. Der bisherige Rekordhalter hat für diese Menge an Re-Tweets noch deutlich mehr als ein Jahr gebraucht.



Und so sah es von hinten aus:
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Literatur

Gut, dass es den Biller gibt, meint Gerrit Bartels im Tagesspiegel, denn ohne dessen Polemik in der der Zeit wäre die Debatte um die deutsche Gegenwartsliteratur ja längst schon wieder abgekocht. Und die deutsche Literatur hält Bartels ja auch für meist uninteressant: "Sie ist natürlich oft ziemlich öde und langweilig, diese deutsche Literatur; auch schlecht, also alles andere als kunstvoll oder ein ästhetischer Genuss - und doch werden alle Halbjahre Sensationen aus Deutschland ausgerufen und Bücher aus Deutschland gefeiert, die so schnell vergessen sind, wie sie von Kritikern gelesen wurden, werden Preise vergeben an Bücher, die das vom Stoff her rechtfertigen, aber nicht ästhetisch. Das mag man nur nicht so gern allzu oft oder überhaupt sagen, schon gar nicht, wenn ein Frühjahr, Herbst oder aufmerksamkeitsökonomisch wichtige Buchmessen anstehen, das würde die eigene Arbeit ja entwerten."

Außerdem: Für den Standard besucht Katharina Teutsch gemeinsam mit Jonatham Lethem das Kleist-Grab in Berlin. In der NZZ erinnert Thomas Leuchtenmüller an den Schriftsteller Ralph Ellison, der am 01. März seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Besprochen wird Helmut Lethens für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiertes Buch "Im Schatten des Fotografen. Bilder und ihre Wirklichkeit" (Standard)
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Bühne



Im Deutschen Theater Berlin gibt Sebastian Hartmann mit John Goldmanns "Der Löwe im Winter" sein Debüt im Haus. Im Vergleich zu früheren Inszenierungen des Regisseurs hält Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung diese Darbietung zwar für "relativ unstrapaziös und unmutig", doch für die Verhältnisse am Deutschen Theater in dieser Hinsicht doch noch für herausragend. Die "sehr schön märchenfilmartig eingekleideten Schauspieler werden ins Bild arrangiert und mit einem Zustand ausgestattet, den sie dann virtuos, formal und antipsychologisch ausspielen: flüsternd, rennend, kichernd, schreiend, fickend. Einmal (...) darf man einer Situation dabei zusehen, wie sie sich entwickelt. Und hier zeigt Hartmann, dass er die Techniken des Boulevards, denen er zurecht misstraut, durchaus beherrscht." (Bild: Arno Declair)

In der taz gesteht eine ermattete Katrin Bettina Müller, dass sie am Freitagabend dann doch lieber zuhause "Game of Thrones" gesehen hätte: "Tatsächlich leuchtet der Aufwand nicht ein, mit dem hier erzählt wird, während doch das Erzählte selbst eher als nebensächlich abgetan wird, als x-ter Aufguss einer Hetze gegeneinander, die schon lange vor Stückbeginn tobte und die nun wirklich keiner mehr verstehen kann." Und auf nachtkritik.de berichtet Esther Slevogt von einem "tollen Stoff", "gewaltigen Bildern" und einem hervorragenden Ensemble. Doch die Wucht der Inszenierung wird auch ihr am Ende zu viel: Mit dieser "Bildmacht erschlägt Hartmann das Stück, das vom understatement, von geschliffenen Dialogen voller Ironie und feinster Menschenkenntnis und -beobachtung lebt."

In der FAZ beobachtet Gerhard Stadelmaier mit Grausen, wie Barbara Weber in "Die Jagd nach Liebe" (im Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels) und Johan Simons in "Spielhalle" (in den Münchner Kammerspielen) zwei Unangepasste massakrieren und warnt: "Zweimal drückt sich in München das Theater völlig lieblos vor denen, die eigentlich seine Lieblinge sein sollten. Es interessiert sich nicht für sie. Es dreht sich nur um sich selbst. Und wird, wenn es so weitermacht, wohl irgendwann auch in sich selbst verschwinden."

Besprochen werden Jan Lauwers" Inszenierung des Cassavetes-Stücks "Begin the Beguine" im Wiener Akademietheater (Standard und SZ loben, die Presse verreißt, da kann die Burg noch was lernen, meint die NZZ), Johan Simons "März" in München (Welt, SZ), Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von Borodins "Fürs Igor" an der Met (Welt), Berlioz" in Berlin aufgeführte "Faust"-Oper (Welt), Jenö Hubays Oper "Anna Karenina" am Staatstheater Braunschweig (FAZ) und die Berliner Wiederaufführung des Musicals "La Cage aux Folles" (Tagesspiegel, Berliner Zeitung).
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Musik

In der Welt schreibt Frédéric Schwilden einen wahren Liebesbrief an Pharrell Williams und dessen neues Album "G I R L": "Der Groove ist die neue alte Göttlichkeit der afroamerikanischen Tanzmusik. Williams hat den Groove wiedergefunden. Disco, Funk und Falsett. Seit den Jackson Five haben wir nichts derart Verspietes gehört. ... Williams beherrscht den Pop gerade, wie ihn lange keiner verstanden hat." Pitchfork hat sich mit dem neuen Popgott unterhalten.

Außerdem: Jan Brachmann resümiert in der Berliner Zeitung das Berliner Nordlichter-Festival. Die Popleiche lebt noch, allen Totengräbern zum Trotz, freut sich Karl Bruckmaier in der SZ.

Und: Viele neue Musikvideos - hier und hier, zusammengestellt von René Walter von Nerdcore.
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Kunst

Die erste Biennale im kolumbianischen Cartagena protzt zwar mit ihrem Reichtum, doch leider stehen die ausgestellten Werke nur selten in einem Zusammenhang zum Ausstellungsort, bemängelt Samuel Herzog in der NZZ. Ausnahmen gab es aber doch: "Zu den wenigen Arbeiten, die in situ produziert wurden, gehört "Paisaje adaptado" von Raúl Val-verde. Der Spanier hat auf einem Wachturm der Befestigungsanlage von Cartagena de Indias einen Garten mit typisch mediterranen Pflanzen angelegt, die er aus der spanischen Hafenstadt Cartagena (bei Murcia) nach Kolumbien hat schiffen lassen. So schafft er einen Ort, an dem sich trefflich über die vielfältigen Beziehungen zwischen diesen zwei Realitäten nachdenken lässt. Auch Gijs van Bon aus den Niederlanden hat sich auf Cartagena eingelassen..." (Raul Valverde: Reference image for Adapted Landscape, 2014. Photograph taken in Cartagena, Murcia, Spain.)

Besprochen werden die Kölner Emil-Orlik-Ausstellung (NZZ), die Ausstellung "Dionysos. Rausch und Ekstase" im Wettiner Schloss (Welt), zwei Ausstellungen, die an den dänischen Künstler und Philosophen Asger Jorn erinnern - im Kopenhagener Statens Museum for Kunst und im Jorn-Museum in Silkeborg (SZ) und die Berliner Schadow-Ausstellung (Tagesspiegel)
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